Der naechste Tag bringt genau das, was sie vorausgesehen hat. Die Zukunft zu deuten ist nicht schwierig, wenn man Fakten zusammenzaehlen kann. Freilich muss das Ueberraschende als Unsicherheitselement beruecksichtigt werden, - unfehlbar duerfen nur Goetter sein.
So will es der Zufall, dass die Arbeit nicht ganz so bitter schmeckt. Es ist einer jener Tage wo nicht viel los ist und Femina hat daher Zeit, sich einen Kaffee nach dem anderen einzugiessen und sich der Lektuere, die da herumliegt, hinzugeben.
In der Tageszeitung findet sich das Gleiche wie tags zuvor, - aendern tun sich nur die Namen und Lokalitaeten. Sie blaettert das Ganze lustlos durch und raucht schon wieder eine Zigarette. Fruehstueck hat sie keines gegessen. Sie war froh, ueberhaupt aus dem Bett zu kommen. Der Kaffee haelt sie auf Touren, bloss die Haende zittern ein wenig. An der Zigarette zwischen ihren Fingern kann sie den Tremor ganz deutlich sehen. Sie sucht sich eine Fachzeitschrift und beginnt zu schmoekern. Es stehen interessante Sachen drin, doch fuer die hiesigen Verhaeltnisse grenzen sie an Utopie, weil sie nicht „realisierbar“ sind. Na ja, Femina wiederholt nicht umsonst so oft die Phrase, ‚auf dem Mond, hinter dem Mond leben.‘ Sie war zwar noch nie auf dem Mond, was sie sehr bedauert, aber hinterwaeldlerisch geht’s dort oben sicher nicht zu, noch nicht wenigstens. Dafuer sind sie’s hier und das in erschreckendem Masse. Schildbuerger! Na ja, sie geht ohnehin. Dabei faellt ihr ein, dass sie die Mittagskonferenz nicht versaeumen darf. Wie spaet es wohl ist? Sie hat keine Uhr bei sich und schaltet daher das Radio ein. Leichte Popmusik fuer einen „frischen neuen Morgen“ toent ihr entgegen. Sie dreht auf leise. Immer zur vollen Stunde bringen sie Nachrichten und die Zeitansage. Zeit! Wie wichtig sie ist! Viel zu wichtig, meint sie. Aber die Auslegung von Zeit, zumindest in diesem System, laesst nichts anderes zu. Sie muss immer auf die Uhr schauen, ohne Uhr ist man „aufgeschmissen“. Zeit ist gleich Geld ist gleich Leben. Komischerweise haben die wenigsten Menschen Zeit noch Geld, leben, scheint’s, koennen sie trotzdem. ‚Was soll’s,‘ denkt sie, ‚s’ist doch voellig egal. In den Wuesten gibt’s viel Sand, Millionen, Millionen Sandkoerner. Alles nur eine Frage der Lebensbedingungen und der Notwendigkeit, sich anzupassen, weil es schliesslich eine Frage des Ueberlebens ist. Darum geht es ihr jetzt allerdings nicht. Ihr stellt sich mehr die Frage nach dem Genuss und der Freude......, sie muss zugeben, dass ihre Gedanken durcheinander purzeln. Heute ist wirklich nicht der Tag, tiefsinnig sein zu wollen. Sie ist zu muede. Da tut’s die Oberflaeche auch.
Grade ertoent der Gongschlag aus dem Radio, der die Nachrichten ankuendigt, als die Tuer auffliegt und eine Kollegin hereinstuermt. Sie macht viel Krach dabei, wie immer, bei allem was sie tut. Femina kann die Zeitansage nicht hoeren. ‚Ausgerechnet diese Plustergans muss mich stoeren,‘ faehrt es ihr durch den Kopf. Die Gegenwart dieser ‚Unperson‘ hat sie noch nie geschaetzt. Abgesehen davon, dass sie koerperlich aufgetrieben ist wie ein Ballon und damit ihre Angeberei bereits strukturell dokumentiert, ist ihr Geplapper wirklich quaelend. Sie gibt Seifenblasen von sich, ohne Inhalt und leider auch ohne deren schillernden Farben. Doch eine Uhr hat sie und Femina fragt sie auch gleich nach der Zeit. ‚Elf Uhr.‘ Ah, das ist gut. Da geht sich grad noch ein Kaffee und eine Zigarette aus. Die Kollegin hat ein paar Bananen mitgebracht und fragt sie, ob sie eine wolle. Femina nickt und bedient sich. Sie findet, dass sie wunderbar zum Kaffee passt und irgendwie freut sie sich auf das nicht mehr so ferne Mittagessen. Der Hunger meldet sich nun recht deutlich. Sie muss zugeben, dass sie ein gluecklicher Mensch ist, der sich die Frage nach dem Genuss stellen kann und nicht jene nach dem Ueberleben.
Es kommen noch mehrere Kollegen ins Dienstzimmer. Mit der Ruhe ist es endgueltig vorbei. ‚Was wird heute zuerst kommen,‘ ueberlegt Femina, ‚der Klatsch oder die Fachsimpelei?‘ Das eine ist grad so gut wie das andere. Sie wollen sich ohnehin nur uebertreffen. So schnappt sie sich ihr Magazin und zieht sich vom Tisch zurueck auf’s Bett, das etwas abseits steht. Sie vertieft sich in einen Artikel, um nicht hinhoeren oder hinsehen zu muessen. Ihre Energien sind ihr heilig, speziell, wenn sie nur auf halber Kraft laeuft und sie lehnt Verschwendung ab. Sie wird sich nicht ablehnen, nur weil sie diese Typen und deren Getoens nicht mag.
Leider ist der Artikel auch nicht gerade begeisternd. Es geht um eine halluzinogene Droge, wobei sich der Autor nicht nur auf die Informationen, die keineswegs etwas Neues enthalten,beschraenkt, sondern er kommentiert in hoechst subjektiver Weise und manipuliert fuer seine Ziele. Das ist ein offensichtlicher Missbrauch wissenschaftlicher Berichterstattung! Vielleicht sollte er selber einmal auf einen Trip gehen. Femina schmunzelt vor sich hin. Er wuerde den Horror kriegen.......Sie wird wieder ernst. So laeuft es schliesslich zu oft ab, es ist einfach zu muehsam. Sie findet es durchaus wuenschenswert, wenn sich Spezialisten mit Daten vollstopfen, - der eine kennt die Hundertstesekunden und das Mikrogramm, der andere kennt Namen und fuegt begeistert neue hinzu, - aber mehr soll’s bitte garnicht sein! Jeder soll sich seine eigene Meinung bilden!
Femina schaut auf. Es herrscht allgemeine Aufbruchsstimmung. Die Truppe junger Weisskittel eilt zur Konferenz.
„Du bist heute aber auch nicht gerade guter Laune,“ sagt Plustergans zu ihr, waehrend sie auf den Lift warten.
„Nicht unbedingt,“ antwortet sie und schweigt wieder. Sie zwaengen sich in den Lift und einer der Kollegen, die sie Ballonkoepfe nennt, weil sie nicht viel mehr als Luft in ihren Schaedeln haben, beginnt ueber Parties und lange Naechte zu schwafeln.
„Na und du?“ sagt sie, „hast du heute schon den Stein des Weisen gefunden?“
Ein paar der Anwesenden grinsen, einige schweigen betreten. Keine Antwort!
„Ja aber Femina, so kenne ich dich garnicht!“ Die Plustergans braucht Ovationen, auch das noch! Femina meint achselzuckend,‘so sei nun mal das Leben, voller Ueberraschungen, nicht wahr?‘ Da lassen sie sie in Ruhe.
Bei der Mittagskonferenz trifft sich das gesamte Team. Darunter sind einige Kollegen die sie mag und wie sich herausstellt, ist der Boss in Hochform. Einige Wuensche, bezueglich seiner Station, sind wieder einmal nicht durchgegangen, sondern in der Klebrigkeit der Institutionen haengen geblieben. Die zynischen Bonmots, die er von sich gibt, erheitern Femina und wirken erfrischend. Manchmal findet sie es bedauernswert, dass er ansonsten so ein ‚Versager‘ ist, denn er hat sehr wohl Faehigkeiten und konnte sich im ‚Ausland‘ weiter profilieren. Sie kann Sozieterna Material in ihm sehen. Aber das ist natuerlich fuer Sozieterna zu wenig. Sie ruft sich zur Ordnung. Werbung fuer Sozierterna steht nicht auf dem Programm, weder hier, noch jetzt, noch anderswo.
Nach dem meeting gehen die meisten in die Kantine zum Essen. Sie isst lieber zu Hause, daher kehrt sie ins Dienstzimmer zurueck und braut einen neuen Kaffee. Eine nette Kollegin taucht auf und sie wollen es sich gerade gemuetlich machen, als das Telefon Femina zur Arbeit ruft. Zu dumm! So kurz vor Dienstschluss hat die Arbeit sie also doch noch eingeholt. Es bleibt ihr grade noch Zeit fuer den Kaffee und ein paar Scherze, dann schwirrt sie ab.
Sie kommt trotzdem rechtzeitig zum Essen nach Hause. Tina und die Kleine sind unterwegs und werden erst am Abend eintrudeln. Sie hat also den restlichen Nachmittag fuer sich. Sie zieht sich ins Badezimmer zurueck und widmet sich eine zeitlang nur ihrem Koerper und seinem Wohlbefinden. Sie traegt eine Gesichtsmaske auf und waehrend der Einwirkungszeit entspannt sie sich in einem duftenden Creme-bad, danach Wechseldusche und Hautpflege. Sie fuehlt sich nach einer Stunde wie Aphrodite, - die wurde ja auch schaumgeboren. Um das ganze abzurunden verschreibt sie sich fuer den Rest des Nachmittags Ruhe. Daraus wird ein erquickender Schlaf, der erst durch die Rueckkehr ihrer Gaeste ein Ende findet. Sie bleibt noch ein paar Minuten liegen und lauscht auf die ungewohnten Geraeusche ausserhalb ihres Zimmers. Das Lachen der Kleinen ist ein heller reiner Ton, der hin und wieder darin auftaucht. Femina schluepft in was Bequemes und erscheint im Wohnzimmer.