Sie sind in grossartiger Schlemmerlaune, muessen sich allerdings selber bedienen, da sich Femina’s Hausroboter in der Aufladephase befindet. Tina hat ihn bereits sorgfaeltig inspiziert. Sie muss sich selbst einen anderen besorgen, nachdem der ihre seinen Geist aufgegeben hat. ‚Sie will keinen neuen‘, sagt sie, ‚ein weniger komplettes Modell wuerde ihren Anspruechen durchaus genuegen, und kaeme wesentlich billiger.‘ Femina hat einen Servo X 100, ‚genau das Richtige‘, meint sie. Das metallene Gehaeuse ist einer antiquen Statue nachempfunden, was damals die grosse Mode war, als diese Art Haushaltstechnology auf den Markt kam. Er oelt sich sogar selber, wenn seine ‚Gelenke‘ zu quietschen beginnen. Femina hat ihn ausserdem matt schwarz lackiert. Das moebelt ihn ungemein auf. Er hat natuerlich nicht alle Programme, ist schon garnicht mit den neuesten Typen zu vergleichen, weder was die ,hardware‘, noch die ‚software‘ betrifft. Die letzten in dieser Serie sind bereits so ausgereift, dass sie sich kaum mehr von Menschen unterscheiden und ihre Funktion ist dermassen umfangreich, dass sie durchaus Menschen ersetzen koennen. Freilich, in diesen Breitengraden kriegt man die besagten Supertypen noch nicht, so wie vieles andere nicht. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis das grosse Exportgeschaeft beginnt. In den grossen Weltstaedten der hochentwickelten Industriestaaten sind sie bereits auf dem Markt und sehr populaer. Tina war erst kuerzlich in der Techno-Metropolis der West-Union auf einer internationalen Konferenz gewesen. Sie kann in diesem Zusammenhang einiges berichten.
Die Leute dort muessen wirklich ziemlich wohlhabend sein. In den Shopping Centers, die sie aufsuchte sah sie die neuesten Modelle auffallend haeufig. „Es wird nicht lange dauern, bis du dort kaum mehr wirkliche Leute antreffen wirst“, sagt sie. „ Ausser vielleicht dem Aufsichtspersonal“. Sie lacht. „Stell Dir vor, ich habe gesehen, wie sie einen solchen Superroboter als Ladendieb verhaftet haben.“
Femina und Tina finden das ungemein erheiternd und sie beginnen von Raubrobotern und Robotergangstern zu phantasieren, waehrend sie sich an den Dingen delektieren, die Femina auf dem Tisch angehaeuft hat. Dabei werden sie nicht nur langsam satt, sondern auch wieder nuechterner. Die Raubroboter- geschichten verlieren dabei ihre Witzigkeit. Die Aussicht, dass man Menschen und Roboter unter Umstaenden nicht mehr auseinanderhalten kann, ist fuer sie beide nicht gerade ein Lichtblick. Allerdings finden sie es schlimmer, wenn wirkliche Menschen zu Maschinen umprogrammiert werden, oder auch Tiere, wie zum Beispiel die Huehner. Das tut man naemlich in diesen Breitengraden, um das technische Manko auszugleichen. Beide schaudern beim Gedanken, was diese Menschen und Tiere durchmachen. Fliessbandarbeit, eintoenig an Inhalt und unter staendigem Druck der vorgeschriebenen Leistung, wobei der Mensch noch ein besseres Los hat. Er kann sich wenigstens noch von seinem Arbeitsplatz entfernen und die Fuesse vertreten. Den Huehnern ist selbst das nicht gestattet! Kein Wunder, dass der Dotter so bleich ist, kein Wunder, wenn der Mensch seine Gesundheit verliert. Beide tun ihnen ungemein leid.
Sie gehen ins Wohnzimmer zurueck. Femina legt eine neue Platte auf. Der verbliebene Sekt ist etwas warm geworden. Macht nichts! Das reicht noch fuer zwei Glaeser und dann wird sie sich ins Bett begeben. Wenigstens ein bisschen Schlaf! Ihre Laune faellt auf Null und gereizt zischt sie:
„Verdammter Mist! Mich interessiert das alles nicht mehr! Weder der Job, noch die Leute. Die Gegend ist oed, die Gesellschaft schlimmer als langweilig! Ach Tina,“ seufzt sie. Die Melancholie ist zurueckgekommen. Sie in Worte zu kleiden ist ihr unmoeglich, weil ihre Gefuehle schneller sind als ihre Gedanken. Kraefte stossen aufeinander und dazwischen laeuft der Schmerz nach oben und nach unten. Sich gegen ihn zu wehren waere logisch. Mit ihm zu reisen, ist abenteuerlich.
Sie raeuspert sich, laechelt ploetzlich wieder, waehrend sie Tina aufmerksam mustert. „Ich habe grade stuermische Wasser gesehen“, sagt sie. „Giftig gruen, leuchtend wie Phosphor, die Gischt ein Funkenregen......“
Tina nimmt einen Schluck. „Prost“, erwidert sie kuehl und faehrt dann ungehalten fort: „Jetzt langt’s mir aber! Ich bin zwar deine Freundin, aber das geht ueber mein Verstaendnis hinaus. Was willst du denn? Hast du wirklich soviel Aggressionen aufgestaut, dass es dich auseinander reisst? Das tut mir leid, aber da bist du selber schuld dran.“ Sie haelt inne, durchbohrt ihre Freundin mit stechendem Blick. „S’ist hoechste Zeit fuer dich abzuhaun! Ich habe, so scheint’s, nie bemerkt, wie zerbrechlich du bist. Manchmal bist du theatralisch, impulsive, aber schwach.......? Sie schuettelt ihren Kopf.
Femina‘s Augen sind halb geschlossen. Die Bindehaeute brennen und der Alkohol spielt sein paradoxes Spiel. ‚Was sie denn will‘, hat Tina gefragt, und, ‚ob es sie auseinanderreisst‘. Bunte Gedanken fliegen durch ihren Kopf. Sie mag das giftig gruene Wasser und seine Phosphorgischt, aber auseinanderreissen laesst sie sich nicht. Oder? Sie laechelt still und nimmt das Glas mit dem schalgewordenen Sekt, hebt es in Augenhoehe, haelt es gegen das Licht. Ein paar Kohlensaeureperlen erinnern an einstige Spritzigkeit, doch die Perlen spruehen nicht mehr, sondern bilden glaenzende Faeden, die an der Oberflaeche ins Nichts entschwinden.
„Prost“, sagt sie und trinkt, laesst die laue Fluessigkeit in ihrem Mund herumkreisen. Die Waerme veraendert zwar den Geschmack, doch die Qualitaet ist gut, das aendern auch triste Umstaende nicht. Damit spuelt sie gleich den Rest durch ihre Speiseroehre.
Sie blinzelt Tina heftig zu und setzt einen naiven Augenaufschlag als Schlussakzent. Das ganze untermalt sie mit einem tiefen Seufzer: „Ach ja, ...... die Welt ist so boese, nur ich bin gut.......“
Tina schuettelt den Kopf. „Du hast das Saufen noch nie vertragen! Machen wir Schluss fuer heute! Ich bin ohnehin auch muede.“
Sie trinken den Rest der Flasche und machen sich ans Schlafengehen. Femina fliegt beinahe ueber ihre eigenen Fuesse, verheddert sich im Teppich und faellt rittlings auf den Boden. Das zu Bett gehen ist offensichtlich garnicht so einfach. Die beiden verursachen betraechtlichen Laerm und koennen sich vor Lachen gegen all die widrigen Umstaende, die eigenartigerweise in ihrem Wege stehen, nicht durchsetzen, was sie nur noch mehr erheitert und noch mehr zum Stolpern bringt. Bis zum Schlafzimmer gibt es volle Aktion,sie kugeln wie die jungen Hunde am Boden herum. Ein voller Aschenbecher geht dabei zu Bruch. Die Kippen fliegen in alle Richtungen. ‚Wie gut, dass es ‚Robbi‘ gibt!‘ Der wird puenktlich um 5 die erste Reinigungstour machen, und um 7 steht das Fruehstueck auf dem Tisch, ‚falls sie das Aufstehen schafft........‘
Die Kleine liegt selig schlummernd in Femina’s grossem Bett. Die Nachttischlampe ist an, verbreited ein sanftes und beruhigendes Licht. Sie hat sich offensichtlich heimlich dahin begeben, denn Tina versichert, dass sie sie ins Gaestezimmer gebracht hat. Freilich hatte Femina diesen Vorschlag gemacht und dabei bleibt es nun. Sie wuerden sie nicht aufwecken. Die beiden Frauen kuscheln sich vorsichtig unter die gemeinsame Decke, die Kleine in ihrer Mitte.
Es gibt soviele Kinder auf der Welt. Es muessen und sollen nicht nur die eigenen sein, die man liebt. Sie alle brauchen Liebe, nicht so sehr eine spezielle Person, obwohl das unbestritten ein Vorteil ist. Femina faellt eine Zeitungsnotiz ein, die sie kuerzlich gelesen hat und die sie ziemlich veraergerte. Natuerlich musste sie in Betracht ziehen, dass sie sich in einem Lande befand, dass technologisch rueckstaendig und moralisch schrecklich konservativ ist. Es ging um das Problem der ‚Leihmuetter‘, ueber das sich die diversen Moraltheologen und – theoretiker nicht einigen koennen. Ein frisch Geborenes, eben durch eine Leihmutter geboren, wurde vom Staate „beschlagnahmt“, wegen Klaerung der Rechtslage, die zum Schutz des Neugeborenen geltend gemacht werden sollte. Hm, da verpassen sie einem Frischling Paragraphen und nehmen ihm gleichzeitig die Liebe. Es war kein ungewolltes Kind, nicht in diesem Falle jedenfalls. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man Gesetze zu diesem Zwecke ausarbeitet und falls das Volk zustimmt, rechtsgueltig macht, aber ein Neugeborenes der Staatsfuersorge zu uebergeben, wenn es ein Heim haben koennte, waehrend sich die Moralaposteln ihre Koepfe zerbrechen, das ist ganz gewiss nicht im besten Interesse des Kindes. Aber das nennen sie moralisch und verantwortungsbewusst! Nein wirklich, die Welt kann noch so schoen sein, mit solchen Buerokraten, ist sie immer nur ein verlorenes Paradies.
Femina’s Augen fliegen ueber das Gesicht der Kleinen und dann zu Tina. Die hat sich bereits zufrieden ausgestreckt und sagt nur noch: „Gute Nacht“.
„Gute Nacht“, antwortet Femina und schaltet das Licht aus.
Der Schlaf ist ein koeniglicher Geliebter. Heute ist er Nosferatu, schwarz-rot ist sein Umhang, bleich sein Gesicht. Perlmuttnacht, Ewigkeitsduft,......mmmmh..., und sie beginnt zu traeumen.