Viele Sonnenaufgaenge hat sie erlebt. Viele Tage und Naechte sind dahingeganngen ohne dass sich etwas geaendert haette. Sie ist ein Punkt in einer weiten Ebene. Die Felsbarriere ist laengst nicht mehr zu sehen und ueber ihr spannte sich wie immer ein ein wolkenlos blauer Himmel. Heute ist er jedoch, kaum nennennswert, aber doch, mehr gruenlich denn blau und weit in der Ferne vor ihr glaubts sie etwas zu sehen, nicht mehr als eine Unebenheit auf einem sonst flachen Grund. Eine Welle der Erregung laeuft durch ihren Koerper. Vorahnungen, - etwas wird geschehen. Sie haelt nicht inne. Wozu auch! Sie ist nicht muede. Da ist auch ein leichtes Bangen obwohl das schon garnicht erklaerbar ist. So ueberlaesst sie es der Logik, sie zu beschwichtigen. Sie hat nichts zu verlieren, kann nur gewinnen, von welcher Seite man es betrachten mag. Damit koennen sich ihre Gedanken beschaeftigen, denn es bereitet mehr Vergnuegen, sich als Gewinner zu sehen. Das laesst auch ihren Koerper in Ruh, so dass er Distanzen hinter sich bringen kann, ohne sich aufzuhalten. Eine Weile geht das gut, doch weil sie ihre Gedanken nicht kontrolliert, beginnen diese wieder, sie mit Fragen zu plagen. Es ist daher besser, wenn sie sich auf den Weg unter ihren Fuessen konzentriert. Vielleicht entdeckt sie heute etwas, eine seltene Pflanze oder gar die Spur von einem Tier. Bis jetzt hat sie naemlich noch nie etwas derartiges entdeckt. Es wird sich schon zeigen, ob oder was sich ereignen wird.
Nach einer Weile spuert sie, wie sich die Luft zu veraendern beginnt. Eine sanfte Brise streicht um sie. Das ist ganz ungewoehnlich. Seit sie ihre Wanderung begann war nichts dergleichen geschehen. Es umgab sie immer vollkommene Stille, nicht einmal die Luft war davon ausgenommen. Sie loest ihre Blicke vom Boden, schaut neugierig umher und entdeckt am Himmel eine kleine weisse Wolke. Der einsam Dahinwandernden huepft das Herz. Ach, arme Seele! Wuensche, die sich erfuellen, bringen nur neue Sehnsuechte mit neuen Fragen, naemlich ob denn diese erfuellt werden koennen. Das oeffnet die Tore zu einer ganz anderen Art von Schmerz.
Die weisse Wolke am Himmel bleibt nicht allein. Andere folgen. Wind treibt sie vor sich her. Es werden ihrer immer mehr. Eine wilde Jagd beginnt, als wollten sie sich vom Wind befreien. Sie eilen voran vom freien weiten Himmel zum Himmelsrand. Dort bilden sich massive Wolkenberge. Die sind aber nicht mehr unschuldig weiss. Graue Wolkenarme greifen nach der Sonne. Lautlos verschlingen sie sie samt Waerme und Licht. Sogar der Wind verliert seinen Atem und die Luft bewegt sich nicht mehr. Die Wolken werden immer dunkler, sind an manchen Stellen beinahe schwarz. Sie schliessen sich zu einer dichten Decke aus der dicke und schwere Baeuche nach unten haengen. Vereinzelt sieht sie Wetterleuchten, einmal hier, einmal da. Zuerst ist es noch stumm und die Stille um sie ist dichter als je zuvor. Sie fragt sich ob das was sie in der Ferne zu sehen glaubte, ihr Schutz bieten koennte und sie beschleunigt ihren Schritt. Doch nicht lange danach kehrt der Wind zurueck, wuetend, wie ihr scheint ob der Pause, die ihm aufgezwungen worden war. Fauchend rast er nun ueber die Erde. Nichts haelt ihn zurueck, kein Baum, kein Strauch, kein Huegel, kein Haus. Er treibt Staub und trockene Graeser vor sich her und lustvoll heulend faehrt er in die Wolkenbaeuche, um deren Schleusen zu oeffnen. Zuerst ist sie weiter gegangen, doch der Wind wird immer staerker, ist jetzt ein Sturm, gegen dessen wuetende Boen sie sich kaum zu wehren vermag und die sie von allen Seiten angreifen. Vielleicht wollen sie auch nur ein Spiel mit ihr treiben wie eine rauhe Mannschaft sich mit einem Ball vergnuegt. Der Himmel ist so schwarz, dass man glauben moechte, die Nacht sei zurueckgekehrt. Durch ihn zucken nun die ersten Blitze und donnerndes Rollen und Krachen erfuellt die Luft. Sie zittert. Angst bemaechtigt sich ihrer. Sie kauert sich auf den Boden so flach sie kann. Die ersten dicken Wassertropfen klatschen auf ihre Haut. Ein Blitz folgt dem andern knapp nacheinander. Der vorige hat noch nicht sein Werk beendet, wenn der naechste bereits ein neues Feuerwerk beginnt. Sie werden immer greller und mit dicken Venen zeichnen sie bizarre Muster auf bleischwerem Grund. Donner rast pausenlos ueber sie drueber, uebertrumpft das Sturmesgebruell. Der Regen stroemt gnadenlos aus dem Himmel. Die Erde kann garnichts mehr aufnehmen, nachdem sie sich schnell satt getrunken hat. Es formen sich riesige Pfuetzen und wilde Rinnsale breiten sich aus. Der Boden wird schlammig. Es bleibt ihr nichts anderes uebrig als aufzugeben. Sie kauert sich mitten hinein in den Schlamm, denn das ist nun ihr bester Schutz. Der Regen verdichtet sich so sehr, dass sie kaum Luft zum Atmen hat. Aber die Anst, die sie verspuert, wird langsam stumm. Da ist nichts, was sie tun koennte. Sie kann weder dem Blitz sagen, dass er aufhoeren soll so ohrenbetaeubenden Laerm zu machen. Noch kann sie dem Donner befehlen, sein grausames grell leuchtendes Zucken aufzugeben. Auch der Sturm wuerde ihr den Gefalllen nicht tun, seine peitschende Naesse abzulegen. Der Regen ist der schlimmste von allen. Seine Tropfen werden zu blankem Eis. Sie versucht so tief wie moeglich in den schlammigen Boden zu kriechen. Mit den Armen schuetzt sie ihren Kopf. Ihr Herz schlaegt ganz wild. Sie laesst ihren Willen wegwandern und laesst sich von ihren Sinnen betaeuben. Ploetzlich wird alles so leicht. Die Empfindungen sind von ihr gewichen und sie beginnt zu traeumen. Man koennte ihren Zustand dahindaemmern nennen, dort wo die Realitaet zwar ein Muster ergibt, doch ihre Forderungen enden. Es ist ein Zustand, der durchaus angenehm ist. Keine Verantwortung mehr, keine laestige Konsequenz, - damit laesst es sich leben und ohne Furcht sterben. Gerechterweise muss gesagt werden, da ist wirklich nichts, was sie tun koennte. Sie muss sich einfach ergeben.
Wilde Traeume bemaechtigen sich ihrer und sie verliert den Zugang zu ihrem Verstand. Sie kann nicht mehr unterscheiden, was Wirklichkeit ist oder Traum. Sie weiss nicht, wie lange sie sich in diesem Zustand befunden hatte, denn irgendwann kommt sie zu sich, aber so bizarr diese Traeume auch gewesen sein moegen, mit dem Oeffnen ihrer Augen fallen diese, wie Traeume das so tun, in den Brunnen des Vergessen. Sie hat immer noch das Sturmgebruell in den Ohren, doch da ist kein Unwetter mehr. Das scheint nun eine Gewohnheit zu werden, dass sie an Orten erwacht, die sie nicht kennt und dann nicht weiss, wie sie dahin gekommen ist. Freilich, diesmal ist es nicht ganz so losgeloest von Erinnerung, auch wenn sie sich vieles selbst zusammenreimen muss, gibt es doch eine bessere Erklaerung. Sie befindet sich naemlich in einem Haus, lehnt mit dem Ruecken an einem grossen Tor. Sie hoert den Regen draussen gegen das Holz trommeln, was soviel heisst, dass sie sich irgendwann weitergeschleppt haben muss, und die wilden Traeume durchaus mit dem Wirklichen im Zusammenhang standen. Wahrscheinlich hatte sie ihren Weg fortgesetzt, nachdem das Aergste des Sturmes vorbei war, in der Hoffnung, dass das Etwas in der Landschaft, das sie wahrgenommen hatte, doch keine Fata Morgana war, sondern eben etwas, das ihr helfen konnte. Dass sie nun in einem Haus gelandet ist, ist natuerlich eine mehr als willkommene Ueberraschung. Im Moment hat sie keinen Platz fuer Fragen oder Vorbehalte oder was auch immer ihr Verstand vorbringen koennte, denn sie ist, wie sie glaubt, mehr beim Sterben gewesen, als in Erwartung zu ueberleben.
Sie schaut vom grossen Tor geradewegs in einen langen Gang, mit einem Steinboden, glatt und kalt. Er ist nur spaerlich beleuchtet. Das Haus scheint allerdings sehr gross zu sein, mehr ein Gebaeude, denn Haus. Die nackten Lampen, die von der Decke haengen, schwingen in der Zugluft, die wahrscheinlich durch irgendwelche offene Tueren oder Fenster kommt. Sie froestelt, blickt an sich runter. Sie ist bedeckt mit Schmutz und Schlamm. Die nassen Haare kleben an ihr und ihr Koerper schmerzt, doch hat sie keine Wunden. Sie hat also alles heil ueberlebt.
Ist das nun die Rettung oder ist es nun doch nur Einbildung oder ein anderer Traum? Nein, nein! Es hat schon alles seine Richtigkeit, denn gleich am Anfang des Ganges, nur wenige Schritte von ihr, steht eine Tuer offen. Als sie darauf zugeht, vernimmt sie Stimmen und Geraeusche. Sie bleibt im Tuerrahmen stehen und schaut in einen einfachen Raum. In einer Ecke steht ein Bett mit frisch bezogenem Leinen, in einer anderen ein grosser Holzbottich, aus dem heisses Wasser dampft. Eine rundliche, aeltere Frau ist damit beschaeftigt mehr Wasser heranzuschaffen, um den Bottich anzufuellen. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch voll mit Speisen und Getraenken, an dem eine andere junge Frau geschaeftig Teller und Tassen arrangiert. Der Frau mit den Kruegen entfaehrt ein Schrei, als sie die Gestalt im Tuerrahmen erblickt. Sofort hoeren die beiden mit ihren Arbeiten auf und stuerzen sich auf den Ankoemmling, gerade rechtzeitig, denn die Gestalt haelt sich nur noch mit Muehe auf den Beinen. Die Junge drueckt sie liebevoll an sich und plappert drauf los, ohne auf Antworten zu warten. Das waere ohnehin sinnlos, denn sie sprechen eine fremde Sprache.
Man ist sehr besorgt um sie, steckt sie ins heisse Bad und gibt ihr frische Kleider. Sie wollen auch, dass sie etwas isst, aber sie kann nur etwas trinken und ist froh, als sie ins Bett kommt. Ein Mann erscheint, inspiziert sie sorgfaeltig, scheint mit den Ergebnissen zufrieden. Er und die aeltere Frau verlassen den Raum, waehrend die Junge sich ans Bett zu ihr setzt und froehlich drauf los redet, sie immer wieder taetschelt und gluecklich lacht. Es scheint ihr nichts auszumachen, dass die Unterhaltung voellig einseitig ist. Weil der Neuankoemmling ohnehin muede ist, klingt das pausenlose Reden, wie ein beruhigendes Lied und sie faellt alsbald in einen erquickenden Schlaf.
Sie braucht Tage, bis sie sich erholt. Es fehlt ihr an nichts. Man sorgt fuer sie umsichtig und liebevoll. Nach einigen Tagen gibt man ihr einen Namen, wie sie feststellt. "Goerlim“ rufen sie sie. Wie laecherlich!
„Ich heisse nicht Goerlim,“ protestiert sie empoert. „Ich heisse Femina!“ -------, es durchfaehrt sie heiss. Sie koennte vor Glueck zerspringen! Sie weiss wieder, wie sie heisst! Sie kennt wieder ihren Namen! Was macht es da schon aus, dass niemand ihre Sprache versteht und keiner auf ihre Proteste reagiert! Sie laesst es, bis auf weiteres bei ‚Goerlim‘ bewenden.
Mit jedem Tag fuehlt sie sich besser. Nicht einmal der Umstand, dass sie eine Fremde ist, macht ihr zu schaffen. Da sind haufenweise Gefuehle, nach denen sie sich orientieren kann. Gefuehle sind ueberall gleich und damit leicht zu begreifen. Der Rest ist eine Frage der Zeit und der Bereitschaft zu lernen. Sie entwickelt eine besonders gute Beziehung zu der jungen Frau, die sie von Anfang an so liebevoll aufgenommen hat. Mit ihr kann man auch ohne Worte viel lachen und manchmal ist es schon allein deshalb komisch, weil man nicht immer weiss, ob man sich ueber diesselben Dinger amuesiert. Pia heisst sie, das hat sie verstanden. Ein huebscher Name, passt gut zu ihr. Sie hat sich mit ‚Goerlim‘ abgefunden, wenn man sie schon unbedingt so rufen will. Das ist doch nur zur allgemeinen Erleichterung. Sprachen haben ganz allgemein diesen Zweck, sind eine Hilfe und im weitesten Sinne Notwendigkeit. Somit beginnt sie sich mit der ihr fremden Sprache intensiv zu befassen. Sie lernt sie sehr schnell, doch hoert sie lieber zu, als selber zu sprechen, - vorlaeufig wenigstens.
Es hat ziemlich viele Besuche gegeben seit sie aufgenommen worden ist, so hat sie vernommen. Da sie nicht weiss, wie sie sich verhalten soll, zieht sie es vor, reserviert zu bleiben. Ehrlich gesagt, die meisten Leute interessieren sie auch nicht. Aus einer ganzen Schar konnte sie nur zu drei weiteren Personen gefuehlsmaessige Beziehungen herstellen. Einer davon ist Dimitri, Pia’s Lebensgefaehrte. Die anderen zwei sind ebenfalls ein Paar, etwas aelter an Jahren und Freunde der Familie, von seiten Pia’s, wie man sowas zu bezeichnen pflegt. Dimitri ist ein gutaussehender junger Mann mit dichtem Schwarzhaar und blauen Augen. Er war anfangs richtig unbeholfen, wenn er versuchte mit ihr zurecht zu kommen, allein schon wegen der sprachlichen Schwierigkeiten. Aber er war sehr geduldig und aufmerksam, das knuepfte die ersten Bande. Inzwischen sind diese durchaus stark geworden. Er ist selber kein Mann vieler Worte, geht jeden Tag zur Arbeit, kommt immer gleich nach Hause und verbringt jegliche Freizeit mit Pia und natuerlich jetzt mit ihnen beiden. Er scheint ebenso wenig, wie Femina, an jeweiligen Besuchern interessiert zu sein. Er liest viel und weiss viel zu erzaehlen, denn er ist viel herumgereist. Viele seiner Reisen waren bei Fuss, als Handwerksbursche und das ist ihm geblieben. Er liebt das Wandern und geht, wo er nur kann, ueberallhin zu Fuss. Pia ist ganz und gar anders. Sie ist von geselliger Natur und hat ein offenes Herz fuer alle. Allerdings, mit dem Wandern hat sie es nicht. Das muss Dimitri meistens alleine tun, obwohl er nun ohnehin nur mehr Ausfluege macht, nicht grosse Wanderungen. Nein wirklich! Sie hat grosses Glueck gehabt, von diesen beiden aufgenommen worden zu sein. Es ist ihr Zuhause, sagen sie. Na ja, das ist es nun wohl nicht, das weiss sie besser, aber sie fuehlt sich zu Hause bei ihnen und will sie nicht kraenken, indem sie sich ablehnend verhaelt.
Manchmal schluepft sie hinaus in den langen Gang mit dem kalten Steinboden und den mueden Lampen. Doch das Eingangstor ist weg. Da ist nur eine mit Holz verkleidete Wand. Sie fragt sich natuerlich, was wohl damit geschehen ist und warum. Irgendwann wird sie Pia und Dimitri darueber befragen. Offensichtlich, der Weg aus dem Haus muss nun ein anderer sein, denn ein zurueck gibt es nicht, obwohl sie das auch garnicht wollte. Trotzdem kann sie sich aber nicht damit anfreunden, das Haus als Endstation zu sehen, und, es stimmt sie unbehaglich, dass ein Tor nicht zum Hinein- und Hinausgehen dienen sollte und nun wegge- schlossen war oder gar ueberhaupt nicht mehr existiert.
Bin immer so gespannt auf´s weiterlesen!