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DNS II, Kapitel 3, Teil 3

Veröffentlicht von am in Buch Kapiteln

 

Wie damals, obwohl es dafuer keine Erklaerung gibt, die Glueckswoge, die sie durchstroemt, findet weder in ihrem Koerper noch in ihrem Verstand eine Barriere, und laesst sie glauben, die Zeit stuende still. Baba ist, wie immer, barfuss. Sein von der Sonne gebleichter Lungi ist um die Huefte geschlungen, mit einem Ende ueber einer seiner Schultern; seine Haare stecken unter einem Turban von derselben Farbe, aus dem ein paar Straehnen hervorschauen. Sie sind von hellem Braun und nur ein winziger Hinweis auf die Fuelle seiner ‚dreadlocks‘, die, wenn frei zu fallen erlaubt, weit ueber seinen Ruecken reichen. 

Sie ist verrueckt nach seinem Haar, obwohl sie es nie beruehrt hat. Trotz der filzigen Dichte der Straehnen ist es nicht glanzlos. Es hat ausserdem hellere Anteile, die wie Goldlichter zwischen dem Braun aufleuchten, so dass der Eindruck entsteht, als sei da eine seidige Weichheit, und die fest gedrehten kordelartigen Straenge erinnern mehr an Locken als rauhe Straehnen. Die Sonne hat seiner Haut, im Gegensatz zum Lungi, Farbe gegeben, er ist aber keineswegs braun gebrannt.

Erneut muss sie feststellen, was fuer ein schoener Mann er ist. Hohe Stirn, schoen geschwungene Augenbrauen, gerade Nase und ein voller Mund, das Gesicht eine eigenartige Kombination von Weichheit und Maennlichkeit. Seine Gesichtszuege sind durchaus markant, aber frei von Haerte oder gar Brutalitaet, wie das so manche gutaussehende Maennergesichter aufweisen. Doch was ganz besonderes sind seine Augen. Sie koennen alles sein, - waermende Feuer, ein stiller See, oder schwarze mondlose Naechte. 

Meist traegt er die Haare hochgetuermt, zusammengerollt zu einem Knoten auf seinem Kopf, aus dem ungezaehmte Straehnen auf die Schultern fallen, aber manchmal oeffnet er die unter Kontrolle gehaltene Haarpracht, so dass sich die fest gedrehten Locken dann wie Kaskaden eines maechtigen Wasserfalles ueber Brust und Ruecken ergiessen. Es veraendert sein Gesicht, grad so, als wandere Zeit in die entgegengesetzte Richtung, in dem es die maennliche Reife verliert und jugendliche Zuege widerspiegelt, mit vergnuegten Augen und ansteckender Froehlichkeit. Ach was, genug der Schwaermerei! Er ist Baba, er ist Sadhu. Er kann alles sein, jung oder alt, dies oder das. 

Er steht nach wie vor da, abwartend, in seiner Rechten, Messingkaennchen  und  Wanderstock, zu seinen Fuessen ein Buendel, das tatsaechlich eine Decke ist, in dem er seine wenigen Habseligkeiten transportiert. Sie steht auf, geht mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, ihn willkommen heissend und mit der Einladung sich zu ihr zu gesellen. Waehrend sie auf ihn einredet und dies mit diversen Gesten begleitet, antwortet er mit lautlosem Lachen. Es fuellt sein ganzes Gesicht, doch bleibt es ohne Ton, denn Baba ist stumm. Er hat sich irgendwann  zum freiwilligen Schweigen entschlossen. Sie weiss, dass manche Sadhus selektive Stummheit waehlen, fuer eine bestimmte Zeit, oder manche sogar fuer immer. Obwohl sie einige wenige Informationen ueber Baba herausfinden konnte, generell ist es so gut wie nichts. Es ist ihr schon garnicht oder in irgendeiner Weise damit geholfen, dass er sehr wohl schreiben kann, um sich verstaendlich zu machen, denn sie sprechen nicht nur eine andere Sprache, sondern selbst die Schrift, deren sie sich bedienen, ist von voellig anderer Art. Mit einem Wort, das Wort ist nutzlos, weder gesprochen noch geschrieben. Sie mussten andere Methoden der Verstaendigung finden und offensichtlich gilt das immer noch. Sie kann sich nicht erinnern, dass das ein Problem gewesen waere, doch Konkretes kann man damit nicht herausfinden, ist es doch unmoeglich eine Unterhaltung zu fuehren oder gar einen Gedankenaustausch zu betreiben. Freilich,  das ist wohl der Sinn eines solchen Unternehmens, wenn man die Sprache aufgibt, - zudem, viel unnuetzes Geplapper bleibt einem damit erspart. 

Eigenartigerweise bringt sie die Einseitigkeit des Gespraeches im Moment in Verlegenheit, obwohl Baba sie zu verstehen scheint, denn er setzt sich, wie gewuenscht, mit ihr nieder. ‚Was jetzt,‘ faehrt es ihr durch den Kopf. ‚Ich kann ihm nicht einmal etwas anbieten!‘

Sie schaut ihn an, hebt die Handteller hoch und zuckt mit den Schultern. Er lacht nur, deuted auf sein Buendel, oeffnet es und rollt seine Habseligkeiten vor ihr aus. Da ist keine Wolke mehr in ihrem Kopf. Sein Lachen  vertreibt sie alle. Aber noch etwas anderes wird ihr ploetzlich klar, grad so, als haette ein Paket gefuellt mit Erinnerung seinen Weg in ihr Bewusstsein gefunden: Ihre Verlegenheit ist darauf zurueck zu fuehren, dass sie sich viel zu  lange auf die Sprache als das wichtigste Verstaendigungsmittel verlassen hat. Ohne sie muss sie sich wieder der anderen Faehigkeiten bedienen, wie in diesem Fall, Gefuehle und Sinne. Da wo sie herkommt, ist Koerpersprache kein Problem! Sprache ist schliesslich nur eine Erweiterung seiner Kommunikationsweisen. Sie ist jedoch ein wenig eingerostet, hat sie die koerperliche Sprache doch lange nicht benutzt, und wenn schon,  dann eben nur selten, und, ohne sich dessen bewusst zu sein.

‚Oh, Baba!‘ jubelt ihr Herz in Dankbarkeit. Wenn das nun kein Grund zum Feiern ist; - zuerst, dieses unerwartete Wiedersehen, und dann, dass er ihr ein Stueck ihrer Erinnerung als Geschenk mitgebracht hat. Obendrein glaubt sie nun auch zu wissen, wie der Ring funktioniert. Ganz bestimmt bedarf es keiner speziellen Faehigkeiten, sondern nur seiner Bereitschaft, seinen Sinnen und Gefuehlen freie Hand zu lassen, nicht dem Verstand und seinen Konditionen, Grundsaetzliches ist gefragt, nicht Spezialisierung! Zudem kommt noch die Freude, dass der Raum der Antennen zu ihr gehoert wie das Atmen und vielleicht ist er sogar ein anderer Weg aus dem Haus.  

Gluecklich schaut sie Baba zu wie er ein Shilom baut. Er bietet ihr an, es zu beginnen, aber sie lehnt ab. Ihre Lungen wuerden dem nicht gewachsen sein. So nimmt er es denn und fuehrt es an seine Stirn in kurzer Besinnung. Erst dann ist er bereit und sie gibt ihm Feuer. In tiefen Atemzuegen bringt er den Inhalt zum Gluehen und die aufsteigenden Rauchschwaden sind aromatisch suess. So feiern sie zusammen und geniessen das Miteinander. Was brauchen sie mehr! Sie beide jedenfalls garnichts!

Ein junger Mann gesellt sich zu ihnen. Er kommt ihr irgendwie bekannt vor, aber er versichert ihr, dass er sie noch nie gesehen habe. Das ist ihr des oefteren passiert, dass sie glaubt, jemandem bereits begegnet zu sein, obwohl es sich dann herausstellt, dass es unwahrscheinlich so sein konnte. Wie auch immer! Es bringt sie bloss zurueck zur oft gestellten Frage, ob, oder wann sie wohl ihr Gedaechtnis zurueck bekommen wird. Es scheint ein recht muehseliges und zeitraubendes Unterfangen zu sein. Stueck fuer Stueck gehts voran, doch mit fruchtlosen Intervallen dazwischen. Sie haelt inne. Jetzt ist nicht der Augenblick vor sich hin zu lamentieren. Nicht in Baba’s Gesellschaft, und nicht in Gegenwart dieses netten jungen Typs, der ununterbrochen auf Baba einredet, obwohl er ganz dieselben Probleme mit der Verstaendigung hat. Aber das bekuemmert ihn wenig, denn er demonstriert mit Gesten und in der Tat mit seinem ganzen Koerper, was er sagen will. Baba amuesiert sich koestlich und sie kann sich dem nur anschliessen. Ob er jemals still sein mag oder still sitzen kann?

„Ich geh nach Somnia“, sagt er zu ihr und deutet mit dem Daumen ueber seine Schulter. Dort hat sie diese fernen Konturen gesehen, wo sie nicht sicher war, was sie waren.

„Somnia?“ wiederholt sie und denkt angestrengt nach. Ihre Computer arbeiten fieberhaft. „Ist das in Anarkie?“

Er nickt. „Aber du weisst ja, ob ich hinkomme, steht auf einem anderen Blatt. Hast du mitgekriegt, was die letzte Meldung war?“

Sie ist ein wenig unsicher, mit dem ‚weisst ja‘ und  ‚letzter Meldung‘, aber sie kann nur annehmen, dass er damit die letzte beeindruckende Ringaktion meint, die sie miterlebt hat, ohne allerdings zu verstehen, worum es sich handelte.  Sie schuettelt daher verneinend den Kopf.

„Holocaust,“ sagt er nur

„Ph,“ erwidert sie, „na und wenn schon.....!“

Das hoert er aber garnicht gerne und er sieht sie schraeg an.

„Musst du denn nach Somnia?“ fragt sie deshalb ablenkend.

Er setzt ein traeumerisches Laecheln auf und antwortet weich: „Muessen eigentlich nicht, aber ich treffe dort wahrscheinlich jemanden...........“

Sie laesst ihn weitertraeumen und schaut zu Baba. Er kauert gemuetlich, den Kopf auf eine Hand gestuetzt, auf der Erde. Seine Augen glaenzen vergnuegt. Seine Stille tut ihr so gut, sie ist grad so ansteckend wie des anderen Redefluss. Was fuer eine wunderbare Nacht! Ueber den Himmel wandern unaufhaltsam die bunten Bilder und die laue Luft ist gefuellt mit Klang. Baba ist wie der stille Hafen, der dem seefahrenden Volk Rast gewaehrt und sie ist mittendrinnen, ihr Boot sicher angelegt.

„Bist du schon einmal in Somnia gewesen?“ fragt er

Sie schuettelt langsam, aber verneinend den Kopf, sagt aber dann ehrlich: „Ich weiss nicht.“

Er schaut sie verdutzt an, faehrt jedoch ohne zu fragen fort: „Ich war des oefteren dort. Ich find’s total super. Es ist ein richtiger meeting-joint. Ein langer Weg, weil die Stadt wie eine Fata Morgana vor dir herlaeuft, aber ich kann dir garantieren, es lohnt sich.“

Somnia, Somnia! Ihr Gehirn arbeitet angestrengt. Das Wenige, das es in diesem Zusammenhang ausgespuckt hat, ist aber alles, was rauskommt. So ein verdammter Dickschaedel, ihr Schaedel. Was hat man von einem Safe, an den man nicht ran kann, auch wenn er einem gehoert. Und ihr Gehirn ist ein Fleckerlteppich, so schoen bunt, bloss mit vielen Loechern.

„Und du meinst, Holocaust ist angesagt?“ fragt Femina nun doch auf das andere Thema zurueckkommend. Tatsaechlich ist es ihr im Moment voellig egal, ob die Welt untergeht oder sie mitsamt dem Haus in die Luft fliegt. Was soll sie sich ueber den Holocaust aufregen, schon garnicht zu einem Zeitpunkt, wo sie sich rundum gluecklich fuehlt. 

Der junge Mann nickt. Er heisst uebrigens Ian, und ist ein Wellenreiter, wie sich herausstellt, naemlich dann, als er seine Sachen zu ihnen heruebertraegt, einschliesslich eines Surfbretts. Er habe das immer bei sich, sagt er. Mit dem Surfbrett nach Somnia! Sie lacht Traenen. Baba hat so ein Brett noch nie gesehen und inspiziert es neugierig. Ian klaert ihn auf, wofuer es gut ist, auch wenn das ein wenig dauert. Als er schliesslich versteht, lacht er begeistert. Sie neckt Ian, doch er nimmt es ihr nicht uebel. Er ist ein sonniger Typ, baut lieber ein Shilom, als sich aufzuregen.

„Und Holocaust?“ fragt sie schliesslich wieder.

„Ich tu, was ich kann,“ sagt er und wirft ihr wieder diesen schraegen Blick zu. Aber sie lacht nur und zieht an seinem Shilom.

„Hoer mal,“ faehrt er fort, „hast du das ernst gemeint, dass du nicht weisst, ob du in Somnia warst? Einmal sehen genuegt, das wuerdest du nicht vergessen!

Sie zuckt mit den Schultern: „Eines Morgens bin ich aufgewacht,“ sagt sie, „und ich wusste nichts mehr. Weder wer ich war, noch woher ich kam, oder gar, wohin ich sollte. Ich tappe noch immer im Dunkeln, aber ich mache Fortschritte.“ Sie haelt einen Moment inne, um gleich wieder fortzufahren, „- recht gute sogar. Aber mir geht es so wie dir, - ich tu was ich kann. Ob du oder wann du nach Somnia kommst, ist ungewiss, nicht wahr? Ob ich unter den gegebenen oder zeitlichen  Umstaenden mein volles Gedaechtnis wieder erlange, ebenso.“

Er nickt und ist mit einem Male durchaus ernst: „Das muss ganz schoen arg sein, so ploetzlich ohne Orientierung.......“

„Wie gesagt, ich mache Fortschritte, aber ja, es war arg“. Sie zoegert. „Es ist eigentlich noch immer arg. Nur, so glaube ich wenigstens, habe ich mich daran gewoehnt. Aber sag einmal, wie ist das mit dir, - du bist doch auch in diesem schrecklichen Bau, aus dem man nicht raus kann. Laesst dich das kalt?“

„Schrecklicher Bau?“ wiederholt er. „Was fuer ein schrecklicher Bau? Ich bin auf dem Weg nach Somnia. Ich bin in keinem Bau!“ Er versteht nicht, wovon sie spricht.

„Du bist also frei, kannst dich entscheiden, wie du willst, kannst tun und lassen, was du willst? Keiner kann dich aufhalten, abhalten oder gar zu etwas zwingen?“

Da ist wieder dieser schraege Blick. „Natuerlich,“ sagt er, „du etwa nicht?“

Sie schuettelt den Kopf. Ihr ist ploetzlich zum Heulen. 

„Nur nicht verzagen,“ meint er troestend, „das wird sich schon aufklaeren. Wie eine Gefangene siehst du mir eigentlich nicht aus. Und im Augenblick befindest du dich ganz sicher nicht in Gefangenschaft. Frag Baba! Der wird dir bestaetigen, du bist sowenig gefangen wie er oder ich.“

Sie schaut zu Baba und das bringt sie zum Lachen. Ihn fragen? „Das waere garnicht so einfach,“ meint sie schliesslich. Ian stimmt ihr grinsend zu. 

„Du weisst, was ich meine,“ sagt er. „Baba, ein Gefangener? Niemals! Aber ich weiss, dass du derzeit arm dran bist, in deiner Situation. So ohne Referenzen hast du es sicher schwer. Kannst nicht einmal wissen, auf was oder wen du dich verlassen kannst.“ Er taetschelt ihre Haende und ist voll Zuversicht: „Du machst das schon, da bin ich sicher! Du bist nicht der Typ, der hilflos ist, oder der aufgibt, nur weil was schwierig ist. Und fuer eine Gefangene siehst du mir verdammt strahlend aus!“

„Ach,“ meint sie, „mir geht es ja nicht schlecht, oder besser gesagt, einmal so und einmal so. Einmal oben, einmal unten. Du kennst doch die Wellen besser als ich. Mehr brauch ich dir wohl nicht zu erklaeren.“

„Tja, ich versteh dich ganz gut,“ sagt er, aber seine Augen sind bei den Worten ueber die Wellen schwaermerisch weit geworden, bringt es ihn doch auf sein Lieblingsthema, das Surfen. Und schon beginnt er von seinen Abenteuern zu erzaehlen, schildert Ritte und Stuerze mit theatralischer Begeisterung und Darstellung. Baba und Femina sind sein Publikum und sie amuesieren sich koestlich dabei.

Sie hat voellig auf die Sendeanlage vergessen, nicht aber Ian, denn ploetzlich springt er auf und kuendigt an, dass er unbedingt in den Ring muesse, denn da kaeme eine Meldung herein von einem Kuenstler, den er total bewundere. Er nennt seinen Namen, aber Femina hat von ihm noch nie gehoert. So bleibt sie denn auch bei Baba, waehrend sich Ian in den Ring begibt. Niemand kann ihr mehr sagen als Baba, auch wenn er, so wie jetzt, seine Lotusposition einnimmt und in Meditation versinkt. Sie setzt sich ebenfalls gerade und verschraenkt ihre Beine unter sich, obwohl sie nicht vor hat, zu meditieren. Sie laesst sich bloss von Baba’s Stille anstecken und von seiner sonnigen Waerme einhuellen. Sie fuehlt sie nicht nur, sie kann den goldenen Schein, der ihn umgibt sehen, der an Intensitaet zunimmt, je groesser die Stille in ihm wird.

Bildet sie sich wirklich nur ein, eine Gefangene zu sein? Moeglicherweise hat sie einen anderen Ausgang aus diesem Haus gefunden. Und Dimitri? Hat er nicht gesagt, Menschen kommen und gehen? Sie haette sich bloss mehr mit diesem Haus beschaftigen muessen, anstatt sich der Gehirnwaesche auszuliefern. Sie hat schliesslich nur versucht, durch das als Ausgang bezeichnete Tor zu gehen, anstatt alle anderen Tueren aufzumachen. Mea culpa, mea culpa! Es tut ihr ploetzlich sehr leid, dass sie Dimitri und Pia Kummer gemacht hat. Freilich, sie kann Dimitri nicht voellig vergeben. Sich als Meister ueber sie aufzuspielen war nicht notwendig gewesen! Doch in seiner Welt konnte er wohl nicht anders handeln, und er ist ganz gewiss kein boeser Mensch. Aber der Zwiespalt der Gefuehle fuer ihn bleibt, doch hat es weniger Bedeutung. Fuer Pia hat sie nur eindeutige Gefuehle. Sie sind das Echo dessen, das Pia so reichlich ausgesandt hat. Und doch, ohne Zweifel, sie liebt beide. Moegen sie ihr allen Kummer vergeben!

Ian kommt zuruck und laesst seiner Begeisterung freien Lauf. „Ich steh auf diesen Typ. Er ist ein Genie, eine echte Inspiration. Seine Musik geht unter meine Haut und was er zu sagen hat, und wie er es sagt, einfach bewundernswert!“ Er nennt wieder seinen Namen. „Bist du sicher, du hast noch nie von ihm gehoert?

Nein, sie hat nicht, zumindest, sie kann sich nicht an einen solchen Namen erinnern. Sie war allerdings nie besonders scharf auf Namen. Wenn ein Name gerufen wird, ist er Schall, wenn er geschrieben steht, ist er ein Wort. Worte und Laute sind Symbole. Man muss wissen, was sich mit ihnen verbindet. Tatsaechlich bilden sie ein raffiniertes System, wenn man bedenkt, wie schoen die Nachtigall singt oder wie die Whale im Meer sich ueber die Distanzen hinweg verstaendigen und erst recht der Mensch, mit allen seinen Reden und Buechern,- man kann nur, staunen, wortlos, denn das bedarf keiner Worte. Und doch, Worte sind, ja Sprache ist, ein Werkzeug, ohne dem sich der Verstand schwer tun wuerde. Also der Name dieses Kuenstlers sagt ihr garnichts, sie ist aber durchaus bereit, sich von Ian aufklaeren zu lassen, nur ob sie sich je an seinen Namen erinnern wird, kann sie nicht sagen.

Und so berichtet Ian denn auch, was ihn so begeistert. Er versteht es, Femina’s Interesse zu wecken und dem Namen Sinn zu geben. Aber mehr noch beeindruckt sie Ian. Er ist wie ein uebermuetiger Wirbelwind, ganz gewiss ein Typ, dem sie gerne in die Arme faellt. Sie laechelt still in sich hinein. Und Somnia? Ph! Somnia ist dort und sie sind hier. Kein Grund, sich Gedanken zu machen.

Baba ist in Meditation versunken. Hin und wieder wirft sie einen Blick auf ihn. Sie betrachtet ihn gerne, wenn er so still ist und sie ihm so nah. Sie beschliesst jedoch, selber in den Ring zu gehen, wie sie es sich ja vorgenommen hatte. Ian kommt mit. Er bestaetigt, dass Vibrationen der Schluessel zum Verstaendnis und die Basis sind, wie die Anlage funkitioniert. Er gibt auch zu, dass es durchaus der Uebung bedarf, das System zu meistern und dass manche besser damit umgehen koennen als andere, aber generell sei es keine Schwierigkeit, man muesste tatsaechlich nur seine Sinne schaerfen und die Wirkung der Vibrationen vorurteilslos ihren Weg finden lassen, dann ist man in jedem Fall faehig zu empfangen. Um zu senden bedarf es der selektiven Eigeninitiative, muesste man doch die Vibrationen erzeugen. Auch kein Problem, generell, meint er, denn es sei wie in der Musik, man muss nur die Noten kennen. Und die Noten? Sind die ein Problem? Keineswegs, meint er. Aber sie solle sich einfach zuerst einmal in den Ring setzen und empfangen, ‚der Rest entwickelt sich, zwangslaeufig,‘ versichert er. Also wie sie sich’s gedacht hat: Probieren geht ueber Studieren und Erfahrung ersetzt den Unterricht. Doch was ist mit dem gruenen Licht? ‚Auch kein Problem,‘ sagt er, ‚es ist der Wunsch, ohne dem man sich ja nicht in den Ring setzen wuerde, der sich als gruenes Licht projeziert.‘ 

Sie ist beeindruckt und ja es ist phantastisch, aber umso mehr, weil es eigentlich so einfach ist. Freilich, sie fuehlt sich im Moment benachteiligt. Ihre Erfahrungen sind schliesslich nicht griffbereit, nur die juengsten stehen ihr zur Verfuegung. Aber vielleicht kann sie altes Wissen auffrischen, allein durch die erforderlichen Aktionen, denen sie sich jetzt aussetzt. Und damit schreitet sie hinein in den Ring und laesst sich an einem der leeren Plaetze nieder. 

Unmittelbar durchlaeuft sie eine Sensation von Staerke und Gerichtetheit, als wollten alle ihre Zellen eine aufrechte Haltung einnehmen. Sie sitzt mit verschraenkten Beinen und ihre Wirbelsaeule streckt sich kerzengerade, keineswegs steif oder unangenehm, doch von einer Nachdruecklichkeit, als seien alle Muskeln daran beteiligt. Ihre Augen schliessen sich und ohne ihr Zutun wandert ihr Blick nach innen. Licht durchstroemt sie und jede Zelle ihres Koerpers scheint sich in ihr Bewusstsein draengen zu wollen. Sie haengen aneinander wie die Waben der Honigbienen, mit Zellwaenden klar und translucent wie feines Glas, gefuellt mit klarer Fluessigkeit oder Wasser, in dem kleinste Partikel schweben, eingehuellt in glatten Membranen als seien sie Pakete, die auf den Versand warteten. Sie fuehlt sich schwerelos, mehr als Koerper von Licht, wenn auch nicht von gruener Farbe, sondern aller Farben, vom einfachen weissen Licht  bis zum Regenbogen und allen moeglichen Kombinationen. Mit dem Eintritt der Klangbilder in ihren Koerper, veraendern sich die Farben und die Zellwaende, ja die Zellen vibrieren und diese setzen andere in Bewegung. Es entstehen Wellen  beschraenkt auf einem Platz, andere setzen sich fort, in diese oder jene Richtung, aber letztlich enden sie alle im Gehirn. Dort sind die Aktionen ganz besonders intensiv. Jede Schwingung, jede Welle wird fein saeuberlich weitergeleitet und findet ihren Platz, aussortiert und zugeordnet. Hat sie den Ring phantistisch gefunden, das Gehirn begeistert sie noch mehr. Sie hat es noch nie auf diese Art und Weise erlebt und obwohl es so klein ist im Vergleich zum Rest ihres Koerpers, hat Alles darin Platz.  

Sie findet bald heraus, dass sie sich bloss auf das Geschehen zu konzentrieren braucht, um spezielle Informationen zu erhalten. Ian hat recht, man muss es geschehen lassen. Konzentration ist aber nicht nur den passiven Vorgaengen dienlich sein auch den aktiven. Es ermoeglicht den Schritt von Initiative zur Mobilisation. Das heisst, mit Hilfe der Konzentration koennen Meldungen in  beiden Richtungen laufen, aus dem All ins Gehirn und umgekehrt. So kann sie aufnehmen und senden. Vorerst muss sie sich mit den einfachsten Vibrationen vertraut machen, aber im Moment ist sie voellig zufrieden damit. Der Rest ist Uebung und das bedarf der Zeit, die sie jetzt nicht aufbringen will, da sie diese zu gerne mit Baba verbringt. 

Sie kehrt daher wieder zu ihrem Platz zurueck. Doch da liegen nur mehr Ian’s Sachen herum. Baba ist weg. Sie setzt sich enttaeuscht nieder, ihren Abstecher bereuend, der schliesslich auch spaeter haette erfolgen koennen. Doch trotzdem sie einen Moment lang mit Traurigkeit hadert, mit Baba ist das schon so eine Sache. Es besteht immer nur eine unmittelbare Beziehung. Wenn er weg ist, schafft sie es nicht, sich ein klares Bild darueber zu machen, was er ihr eigentlich bedeuted. Auch diesmal nicht. Er ist fort und mit ihm die Bezueglichkeit, ohne die sich nicht nur ihr Verstand schwer tut, sondern eben auch ihre Gefuehle.

Sie bleibt nicht lange allein, denn Ian kehrt ebenfalls zurueck. Er fegt ueber sie hinweg und wirbelt ihre Gedanken fort. Spaziergang im Wind! Fliegende Blaetter, bunte Drachen und Muetzen und Huete und alles, was nicht fest gebunden ist, gehoeren zu seinem Spiel. 

„Wo ist Baba?“ fragt er schliesslich. „Ist er weg?“ Sie nickt.

„Ah ja,“ meint er nur und fragt gleich weiter: „Na und du? Was hast du vor?“

Sie betrachtet ihre blasse Haut am Unterarm. „Ich geh irgendwohin, wo die Sonne scheint, irgendwohin, wo das Meer tuerkisblau ist und der Strand aus weissem Gold. Dort werde ich hingehen.“ Sie laechelt, denn sie sieht dieses Bild vor ihren Augen.

„Mmh ja, das klingt verlockend,“ meint er. „Und Holocaust?“

Jetzt ist sie es, die ihm einen schraegen Blick zuwirft

„Ich tu, was ich kann,“ sagen sie beide gleichzeitig. 

Darauf koennen sie nur noch lachen. Verdammt, sie sind von der gleichen Art, als seien sie Geschwister. Die weitere Unterhaltung geht um die Bodenstation und deren Funktionen und Eigenheiten. Sie sind sich einig, dass die Anlage im Prinzip sehr einfach ist. Aber wie immer, wenn es an Selbstvertrauen mangelt, kann selbst das Einfachste zur Huerde werden, verleitet es doch zum aufgeben, bevor man ueberhaupt erst angefaengen hat.

„Es ist verrueckt, wenn man zu sich selbst kein Vertrauen hat,“ sagt er.

„Leider,“ widerspricht sie, „ist es mehr als das. Es ist eine Katastrophe, und die waehlt man ja nicht freiwillig!“ 

Er schaut sie sinnend an und gibt ihr schliesslich recht. Er faehrt dann aber fort mit Aeusserungen, die sie hoechst fragwuerdig und widerspruechlich findet:

„Letztlich bestimmt jeder selbst, was er will und, ueber Nichts und Alles. Was du tust oder nicht tust, ist ohnehin immer nur fuer dich wichtig, und ob du es nun willst oder nicht, Es passiert einfach, so oder so.“

Femina schaut ihn empoert an. Was redet er da!? Er sagte doch, er sei nicht gefangen, koenne tun und lassen, was er will und keiner rede ihm drein!

Er sieht ihren Blick und deutet ihn richtig: „Nein, nein, ich bin nicht gefangen! Ich habe nur nicht mein Gedaechtnis verloren, so wie du,“ sagt er.

Trotzdem! Das moechte sie jetzt schon genauer wissen! Einerseits redet er von Selbstbestimmung, und dem stimmt sie zu, aber andererseits, - egal, was er macht, es passiert ohnehin, ob er es will oder auch nicht????

„Dann kannst du doch nicht von frei sein reden! Dann gestehst du doch ein, dass es die Freiheit nicht gibt und dass du sie nicht hast! Damit sagst du doch, es gibt sie nicht, die absolute Freiheit. Nicht einmal ueber sich selbst, oder?“

 „Nein, nein,“ wehrt er ab. „Die absolute Freiheit gibt es, nur  d i e  habe ich nicht! Trotzdem kann ich jederzeit tun, wie und was ich will! Ich kann mir nur die Situation, oder besser, diverse Umstaende, nicht aussuchen. Aeussere Umstaende finde ich vor. Ich kann sie zwar beeinflussen, aber ich kann sie mir nicht unbedingt aussuchen, oder sie bestimmen!“

„Na und  w e r  bestimmt das?“ fragt sie spoettisch und zuckt veraechtlich mit den Mundwinkeln. Er ist wohl auch durch eine Gehirnwaesche gegangen, grad so wie sie. „Na, -  wie heisst er denn,  d e i n  Gott!“

Er sieht sie belustigt an und macht mit seinen Armen weitausholende und weit  umfassende Bewegungen und deutet zum Schluss auf sich. „Hier, rund um, alles, mich inklusive, das ist Gott. Und wenn du schon eine Bezeichnung willst, nenne es Existenz, oder das „Sein“.

Sie schweigt und er unterbricht sie nicht einmal. Sie muss zugeben, es macht eigentlich  Sinn, was er gesagt hat. Denn tatsaechlich, ob es regnet oder schneit oder ob die Sonne scheint, es gibt Umstaende, die man sich  weder aussuchen noch bestimmen kann, und so ist das mit vielen Dingen. Aber was man mit dem diversen Wetter dann macht, bleibt einem selber ueberlassen. Man kann den Spaziergang im Regen geniessen oder stocksauer im Kaemmerlein sitzen. Tatsaechlich hat man die Freiheit zu waehlen, wie auch immer die Umstaende sind. Und sie mag seine Definition von Gott, denn sie findet die Natur und alles darin, das einzig Machthabende, das ueber sie bestimmen kann. 

Versoehnlich laechelt sie ihn an. Er betrachtet sie aufmerksam und neugierig fragt er: „Siehst du manchmal Doppelbilder?“

Sie bejaht ueberrascht. „Wie kommst du darauf?“

„Weil ich dich fuer eine aus ewigen Gesellschaft halte. So wie ich einer bin. Wir koennen Schein und Wirklichkeit in einem sehen, oder besser, wahrnehmen.“

Sie atmet erleichtert auf, grad so, als habe man ihr den sprichwoertlichen Stein vom Herzen genommen. Sie hatte sich wegen dieser Doppelbilder schon Sorgen gemacht. Und wenn sie auch nicht viel mit der ewigen Gesellschaft anzufangen weiss, Ian scheint sich dessen recht sicher zu sein und er gibt ihr bereitwillig Auskunft. 

Hm, interessant und irgendwie recht aufschlussreich, was er so erzaehlt von einem Volk, das staendig unterwegs ist, weil es kein eigenes Land besitzt und seinen Buergern, die durch Raum und Zeiten wandern, und deren Heimat der Kosmos ist. Einiges kommt ihr sehr bekannt vor, vielleicht auch nur deshalb, weil es ihre Zustimmung findet, und es koennte durchaus sein........., aber.........

Sie ruft sich selbst zur Ordnung. ‚Warum nicht!‘ sagt sie sich. ‚Es waere falsch, sofort nein zu sagen, nur weil sie ihre Zweifel hat.‘

„Ich geb dir einen guten Rat,“ faehrt Ian fort. „Du darfst das Relative nicht so schmaehlich zur Seite schieben. Es ist naemlich genauso absolut, wie das Absolute relativ ist.“

Ah, er ist wirklich nett und er versucht ihr ehrlich zu helfen. Doch sie wissen beide ganz gut, nur die eigenen Erkenntnisse zaehlen, -  d i e  muss sie aber erst, oder, wieder finden. Man kann ihr schliesslich alles moegliche erzaehlen. Sie will nicht glauben, sondern wissen. Ian schmunzelt vor sich hin, waehrend er noch ein Shilom baut, ‚zum Schlafengehen‘, meint er. „Damit flieg ich meinen Traeumen voraus“, sagt er lachend.

So geht es auch Femina, als sie sich zur Ruhe legt.

Sie schaut in einen Himmel ohne Sterne, aber farbige Klangbilder ziehen ueber ihn hin. Waehrend sie auf der warmen trockenen Erde liegt, eilen ihre Gedanken fort, grad so wie die Leuchtzeichen ueber ihr.

 

                                                                          * 

     

 

 

        

 

 

 

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Kommentare

  • Ingrid Hashish-Hematyar
    Ingrid Hashish-Hematyar Dienstag, 13 Januar 2015

    Liebste Freundin, ich bin wieder so begeistert und habe Gänsehaut beim Lesen!
    Ist es Wahrheit oder Traum? Bin jedenfalls mittendrin und erlebe alles mit! Muss feststellen, dass mein Leben nichts vergleichbares bieten kann. War im Gegensatz nur langweilig! Aber dass ich das durch Dich miterleben kann, dafür sage ich herzlikchst DANKE!

  • Femina
    Femina Mittwoch, 14 Januar 2015

    Liebe Ingrid!
    Kommt drauf an, wie man Traeume und Wahrheit definiert. Aber ich danke Dir! Und glaube mir, ich haette Dich gerne als Reisegefaehrtin mit dabei gehabt.
    LG, Femina

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