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DNS II, Kapitel 6, Teil 2

Posted by on in Buch Kapiteln

 

Femina faellt auf, dass das Buehnenbild nichts Farbiges aufweist. Alles scheint in schwarz-weiss zu sein. Das bestaetigt sich, als auch der zweite Vorhang nach oben hochgezogen, die Buehne freigibt. Sie besteht aus einem grosszuegigen Raum, fast wie ein kleiner Saal, mit weissen Waenden und hohen Seitenfenstern, die mit duennen weissen Vorhaengen versehen, helles Licht durchscheinen lassen und sich bewegen, als gaebe es auch eine Brise. Es verleiht dem Raum eine luftig frische Atmospaehre. Der Boden hat auch noch einen Belag im Muster grosser schwarz-weisser Fliessen, allerdings mit einem breiten weissen Streifen rundum an allen Seiten. Es sieht aus, als habe ein weisser Fliessenboden ein grosses schwarz-weisses Feld. Die hintere Wand weist ein Tor auf und die Buehne ist leer bis auf einen kleinen Tisch mitten am vorederen Buehnenrand mit zwei einfachen Stuehlen, der eine rechts, der andere links, einer weiss, der andere schwarz. Auf seiner glaesernen Tischplatte, mit eingelegtem Schachfeld, stehen spielbereit Schachfiguren. 

Das Tor im Hintergrund oeffnet sich. Herein fluten paarweise Taenzer, jeweils eine Seite in weiss gekleidet, die andere in schwarz. Sie teilen sich auseinander, und rythmisch, mit tanzendem Schritt, marschieren sie am seitlichen Rand entlang, von wo aus sie sich auf die einzelnen schwarz-weissen Felder begeben, um dann regungslos zu verharren. Es wird damit klar, dass es sich hier um eine Schachbuehne handelt, mit lebenden Schachfiguren als besondere Attraktion. 

Die Taenzer tragen jeweils eine ihrem Rang entsprechende, symbolisch stilisierte Kopfbedeckung, damit ihre Funktion nicht verwechselt werden kann. Das ist durchaus notwendig, denn ihre Gewaender entsprechen nicht den allgemein ueblichen Traditionen. So scheint die schwarze Koenigin eine moderne Version der Kleopatra zu sein, die, wie man weiss, den Ruf einer Verfuehrerin hat. Und so wie sie hier dargestellt wird, laesst sich das kaum bezweifeln. Sie traegt naemlich ein eng anliegendes, schulterfreies Kleid aus schwarzem Satin, mit hohen seitlichen Schlitzen, das Figur und Beine wirksamst zur Geltung bringt. Ihr gerade geschnittenes schulterlanges Haar umrahmt das exotisch geschminkte Gesicht, was seine attraktiven Zuege erst recht betont. Ihre Erscheinung ist von arroganter Wuerde, dennoch verlockend schoen und voller Verheissung. Die weisse Koenigin hingegen entspricht den Vostellungen einer idealen Landesmutter; weissgoldene Lockenpracht, sanft schwingendes Gewand aus feinster Seide, das den Koerper lose umhuellt wie flimsig weisse Wolken. Alles an ihr ist rund und schoen, wuerdevoll warm und wohlwollend.

Femina‘s Augen schweifen von Figur zu Figur. Sie ist fasziniert, denn trotz der relativ einfachen Kostueme, - zusammen mit den grossartig geschminkten Gesichtern, -  hat sie den Eindruck, dass es sich hier nicht nur um die ueblichen Schachfiguren handelt, sondern um Figuren mit zweifacher Symbolhaftigkeit; einerseits representieren sie ihren Spielrang, andererseits eine besondere, oder besser, deren spezielle Eigenschaft. Das heisst, die schwarze Koenigin ist nicht nur Koenigin, sondern symbolisiert zudem die Versuchung und die weisse Koenigin ist Koenigin und das Symbol der Liebe. So gesehen gibt das dem Schach eine neue Dimension, die ueber die traditionelle Symbolik hinausgeht, - es gibt der politisch kriegerischen Ebene des Schach’s noch eine psychologische Platform.  

Femina macht sich eine imaginaere Skizze von der Spielformation in der neu hinzugefuegten Dimension: 

In den schwarzen Tuermen sieht sie den Hass und die Zerstoerung, in den Reitern die Unmoral und den Zweifel, und in den Bischoefen findet sie den Ungehorsam und die Unzufriedenheit. 

Die weisse Spielerschaft besteht neben der bereits erwaehnten Liebe, aus Moral und Ueberlieferung in den Tuermen, Pflicht und Gerechtigkeit in den Reitern, und Zufriedenheit und Verantwortung in den Bischoefen. Die Bauern sind eindeutig der Gehorsam, sind sie doch alle in Uniform, und damit die braven Soldaten. 

Die schwarzen Bauern sind dagegen ein unkonventioneller Haufen, alles andere als uniform. Da gibt es den Zigeuner, und den Clown, Roehrlhosen und Pluderhosen, kurze Hosen, sowie Kaftan und Minikleid, eben grad so wie’s gefaellt, - und als Kopfbedeckung tragen sie Kopftuecher oder Schals in jeder Art und Weise, manchmal als Stirnband, gedreht, geknuepft, oder mit langen Enden. Sie strahlen Froehlichkeit aus, - offensichtlich symbolisieren sie das Vergnuegen.

                                

                                Spielformation der Opponenten:

 

Hass Zweifel Unzufriedenheit Versuchung Koenig Ungehorsam Unmoral Zerstoerung

                                       V  e  r  g  n  u  e  g  e  n                                                                                                                      

                                          G  e  h  o  r  s  a  m

Moral Pflicht Zufriedenheit Liebe Koenig Verantwortung Gerechtigkeit Ueberlieferung                                              

 

Zwei Maenner treten auf, jeder von einer Seite der Buehne, der eine in schwarz, der andere in weisser Ausstattung. Beide tragen ein Koerpertrickot und darueber einen Umhang, oder eine Art Toga, was ihrer Erscheinung einen herrischen Ausdruck verleiht. Lose ueber Schultern und Ruecken fallend, der Umhang wird von einer handteller-grossen runden Plakette, wohl eine Art Spange oder Verschluss, mitten auf ihrer Brust, festgehalten. Trotz deren Einfachheit stechen sie ins Auge, da sie jeweils von der anderen Farbe sind. Die Maenner, gleich gross und athletisch gebaut, mit Muskeln in all den rechten Plaetzen und Proportionen, streben gezielt auf den Tisch zu, wo sie sich auf dem ihrer Farbe entsprechendem Stuhl niederlassen. Dort verharren sie schweigsam vor sich hin starrend, ohne Interesse am anderen. Femina findet, dass sie sich ungemein gleichen. Ihre Gesichter sind makellos, feingeschnitten, jedoch ohne Ausdruck und so glatt wie polierter Marmor. Das macht es nicht leicht ihnen ein Alter beizumessen. Weiss hat zwar weisses Haar, sieht deshalb aber nicht aelter aus als Schwarz; dessen Haar ist allerdings so schwarz wie das eines Raben. Und beide scheinen denselben Haarstil zu lieben, halblang und glatt zurueckgekaemmt bis in den Nacken. Aber nicht nur ihr Aeusseres, sondern auch die Art, wie sie sich geben und bewegen, alles spricht dafuer, dass sie zumindest Brueder sind.  

Ein Gong ertoent. Offensichtlich ein Signal, auf das sie gewartet haben, denn  Weiss beginnt auch sogleich mit der Eroeffnung des Spiels.

Der Kegel eines weissen Scheinwerferlichtes faellt auf einen Taenzer auf der  Schachbuehne und ein anderer Lichtkegel weist auf das Feld das ihm zugewiesen wird. Ein braver Soldat marschiert gehorsam von seiner Position zwei Felder nach vorne, um seine neue Stellung einzunehmen. Die Lichtkegel treffen sich und erloeschen. Als Schwarz den Gegenzug macht, leuchten die Lichtkegel wieder auf, der eine wirft sein Licht auf einen der Taenzer, waehrend der zweite, wie zuvor, auf das ausgewaehlte Feld weist. Eine Pluderhose huepft vergnuegt von seinem Feld auf das vom Licht bezeichnete. Erneut, sobald die Lichter zusammentreffen, verloeschen sie. Gehorsam und Vergnuegen, beide zwei Felder nach vorne gerueckt, und auf derselben Linie, stehen sich nun unmittelbar gegenueber, aber wie vorher verharren sie regungslos. Offensichtlich ist das Spiel der Maenner mit dem des menschlichen Schaches synchronisiert, denn jedesmal, wenn einer der Maenner einen Zug macht, weisen die Lichtkegel auf eine Tanzfigur und auf das Feld, auf das sie sich zu begeben hat.

Femina spielt gerne Schach und schaut auch gerne einem interessanten Spiel zu. Die beiden Maenner machen den Eindruck, als seien sie faehige Opponenten. Sie erwartet sich daher ein interessantes Spiel. Abgesehen davon vergroessert sich das Vergnuegen noch durch seine visuelle Darstellung und der Moeglichkeit einer zusaetzlichen Interpretation. 

Die ersten Zuege gehen recht schnell. Weiss hat seinen Koenig gut geschuetzt mit der Gerechtigkeit, der Liebe und den Gehorsamen. Schwarz ist auf Angriff aus. Er benutzt vorwiegend seine Koenigin, die Versuchung, aber er setzt auch den Ungehorsam, die Unmoral und den Zweifel ein, um Weiss herauszufordern. Bis jetzt hat keine Seite besondere Vor,- oder Nachteile, jedoch beide buessen zwei Figuren aus ihrem Volk ein, zwei Soldaten und zwei Vergnuegte gehen verloren. Femina laechelt. ‚Das Fussvolk muss wohl immer zuerst daran glauben.‘ Die gefallenen Tanzfiguren verlassen zwar das Spielfeld, versammeln sich aber am weissen Rand auf der Seite ihres Gegners. 

DA! Weiss war unachtsam. Die Zufriedenheit ist der Versuchung zum Opfer gefallen. Femina schuettelt den Kopf. Dieser Verlust kann nicht leicht verkraftet werden. Es bedarf auch einer Weile bis sich Weiss zum Gegenzug entschliesst. Es ist wieder der Gehorsam auf den er baut. Er stellt seinen Soldaten als Blockade vor die Unzufriedenheit und bedroht die Versuchung. 

Femina’s Sympathie fuer Weiss geht verloren. Der hat doch keine Uebersicht! Er schickt nicht nur seinen Soldaten in den sicheren Tod, hat er doch kaum eine ernst zu nehmende Deckung! Schwarz zoegert auch nicht mit der Antwort. Seine Koenigin eliminiert den Soldaten, setzt den weissen Koenig in ‚Schach‘, und nachdem sich Weiss aus der Bedrohung rettet, nimmt Schwarz ihm auch noch die Pflicht und setzt ihn erneut in ‚Schach‘. Weiss ist nun ernsthaft in Gefahr. Die Versuchung und die Unzufriedenheit stehen bereit, um ihm das ‚Matt‘ zu versetzen. Schwarz macht auch schon den naechsten einleitenden Zug, aber Weiss rettet sich, indem er noch einmal einen Gehorsamen opfert. Die Moral, die er dann einsetzt, ueberlebt auch nicht lange, denn die Versuchung macht kurzen Prozess mit ihr. 

Die beste Chance, die Weiss nun hat, ist der Angriff. Er muss angreifen, um den Gegner in Atem zu halten, so dass dieser, unter staendigem Druck, vielleicht Fehler macht. Freilich, es ist ein recht lahmer Versuch, von seiner Schwaeche ablenken zu wollen, aber ein ‚Remis‘ waere schon moeglich. In jedem Fall muss er die Offiziere seines Gegners kontrollieren und hoffentlich kann er den einen oder anderen auch ausschalten. Die staendigen Attacken bringen schliesslich Erfolg. In der Konfusion der sehr rasch gehaltenen Angriffe macht Schwarz prompt einen entscheidenden Fehler. Er hat seine Koenigin ungeschuetzt gelassen und sogleich wird sie von der Verantwortung eliminiert. Schwarz ist allerdings noch immer stark. Seine beiden Tuerme, der Hass und die Zerstoerung stehen maechtig, seine Reiter, die Unmoral und der Zweifel koennen jederzeit lospreschen, und der Ungehorsam steht auch noch schuetzend vor seinem Koenig. 

Das Spiel bleibt fuer eine Weile Geplaenkel. Jede Partei versucht ein neues Konzept auszuarbeiten und die Figuren in die entsprechenden Stellungen zu bringen. Und dann, in einem unbedachten Augenblick schlaegt die Liebe zu und nimmt den Zweifel gefangen. Es gibt jedoch keinen Grund zum Feiern! Indigniert schuettelt Femina wieder den Kopf. Weiss ist ein Versager! Er scheint weder besonders aufmerksam noch versiert zu sein, er verliert naemlich die Liebe an den Hass, der nun auch noch seinen Koenig bedroht. Aber Schwarz ist auch nicht besser, - oder er baut zu sehr auf seine Uebermacht. So oder so! Seine  Nachlaessigkeit kostet ihm. Weiss hat naemlich die Gelegenheit, den Hass zu eliminieren, indem er den Schwerpunkt der Aktionen auf seinen einzig verbliebenen Turm, die Ueberlieferung, verlegt. Er ist recht beraten, denn Schwarz verliert an sie in der Folge auch noch die Unmoral.

Femina weiss, dass das Ende des Spiels nahe ist. Wahrscheinlich wird’s ein ‚Remis‘ werden. Das ‚Unentschieden‘ ist durchaus angebracht, denn keiner der beiden verdient einen Sieg. Wohl hat Schwarz noch zwei aus seinem Volke uebrig, aber wenig Chancen, diese heil ans andere Ufer zu bringen, um etwa einen Austausch vornehmen zu koennen. Weiss hat mit seiner stoischen Ueberlieferung eine sehr wirksame Abwehr. Sie schaltet den Rest des Verguegens eiligst aus. Die letzten Ueberlebenden sind nun die Koenige und zwei Tuerme, die Ueberlieferung und die Zerstoerung, ihre einzig verbliebene, aber solide und treue Garde. Auch wenn sie sich nicht leicht eliminieren lassen, es ist unvermeidlich, dass sie letztenendes fallen. Somit verbleiben die Koenige allein und verloren auf dem Feld zurueck, getrennt nur durch das obligatore ‚Niemandsland‘ eines Feldes, das sie nie ueberschreiten koennen. Unentschieden, Remis! Es gibt nichts zu gewinnen. Der Vorhang faellt.

                                                                                                        *

Femina wendet sich neugierig Baba zu. Er ist keineswegs mehr beim Meditieren, sondern gibt ihr, belustigt, zu verstehen, dass er das Ganze durchaus verfolgt hat. Sein Gesicht ist wie die Sonne an einem heiteren Fruehlingstag. In Augenblicken wie diesen, wuenscht sie sich sehnlichst, dass sie miteinander reden koennten. Zu gerne wuerde sie wissen, was er von dieser Vorfuehrung haelt, oder was er so amuesant daran fand. Sie selber ist sich naemlich garnicht sicher, was das ganze bedeutet. Warum ueberhaupt diese Vorstellung? Aber bevor sie noch weiter darueber nachdenken kann, oeffnet sich wieder der Vorhang. 

Die Kulisse ist diesselbe. Der Raum ist allerdings leer bis auf die zwei Maenner, die sich nach wie vor gegenueber sitzen. 

Schwarz: „Nicht zu glauben! Du lernst wohl nie dazu! Der Gehorsam als dein Fussvolk! Waren dir nicht einmal Adam und Eva eine Lehre? Wie waer’s mit der Zufriedenheit im Volk statt dessen?“

Weiss: „Unsinn! Deine Koenigin, die Schlange, laesst es nie und nimmer in Ruh! Ausserdem! Um das Volk zufrieden zu halten bedarf es einer nie versiegenden Geldquelle. Es kriegt nie genug! ‚Gib dem Volk Brot und Spiele,‘ das hat Caesar so treffend zitiert, aber ohne seine Kriege haette er es sich nicht leisten koennen; seine Schatztruhe waere schnell leer geworden. Auch er hat den Gehorsam gebraucht, denn nur mit ihm gibt’s die Gewinne. Freilich, der weise Staatsmann sorgt dafuer, dass sie ihren Anteil kriegen, damit sind dann alle zufrieden. Im Gegensatz zu dir, wo es nur Ausbeutung gibt!“

Schwarz (achselzuckend): „Wie auch immer! Mich langweilt unser Spiel. Seit Beginn aller Zeiten spielen wir nun und immer nur um die Ehre, nie wirklich um einen Einsatz. Das ist einfach nicht spannend genug.“

Weiss: „Was heisst wir spielen ohne Einsatz? Die Welt ist unser Einsatz! Wenn du gewinnst, hast du nicht das Vergnuegen, sie in Schutt und Asche zu legen, mit rauchenden Truemmern und all dem Leid und geweinten und ungeweinten Traennen?! Ist dir das nicht genug?“

Schwarz winkt ab: „Erspar mir dein Geschwafel und spiel nicht den Entruesteten! Mag schon sein, dass du, wenn du gewinnst, eine heile Welt propagieren kannst, aber du weisst so gut wie ich, dass es nie fuer immer sein kann. Irgendwann bin ich wieder der Sieger. Unsere unentschiedenen Spiele, unser Remis ist das beste Ergebnis, das je erzielt werden kann. Es gibt der Welt Frieden, zumindest, eine kleine Verschnaufpause, die sie braucht, um sich von ihren Kaempfen zu erholen. Gib endlich zu, - es kuemmert dich garnicht, was in der Welt vor sich geht. Oder hast du je versucht, diese nutzlosen und widrigen Kreaturen aufzuklaeren?  D a s  waere deine Aufgabe, du bist doch der Gute, der weisse Koenig in aller Glorie, der alle liebt!“

Weiss (entruestet): „Nein, das ist nicht meine Aufgabe! Sie muessen das schon selber herausfinden, durch Erfahrung, nicht durch Indoctrination. Sie haben die Freiheit zu waehlen, wie sie ihre Welt gestalten. Sie brauchen dir schliesslich nicht zu folgen. Sie brauchen nur mir zu folgen, dann ist alles bestens! Allerdings! Sie aufzuklaeren waere das Ende unserer Macht! Das kann wohl nicht dein Ernst sein!“

Schwarz (hoehnisch): „Nicht doch! Es waere bloss das Ende deiner Zeit! Du bist doch so hoch in Ehren gehalten. Dich verehren sie als Gott. Du bist es, auf den die Welt baut, dem sie vertraut, dem sie gedankenlos folgt und sie kruemmt sich vor Angst vor mir. Sollte sich jemand gegen dich zu stellen wagen, dann bin ich daran schuld, denn ich bin doch der Teufel, den man nur als das faule Uebel, als Tormenter und Zerstoerer kennt. Dass dieser sinnlose Aberglaube noch immer existiert, ist eine Schande. Aber sei’s drum! Also wie waer’s? Spielen wir um Zeit, um die naechste Dekade, oder besser, um das naechste Jahrhundert, und mit dem Planeten als Einsatz, Alles oder Nichts‘. Das koennte interessant werden!“

Weiss: „Laecherlich! Warum den Planeten zerstoeren, der ist doch eine Pracht! Du willst mich bloss aergern, um dir im Spiel einen Vorteil zu schaffen.“

Schwarz (winkt ab): „Voellig unnoetig! Ich bin mir meines Sieges vollkommen sicher was diese Welt mit diesen Wuermern betrifft. Aber du hast eine winzig kleine Chance den Planeten zu retten. Vorallem jetzt, wo sich ein wenig Vernunft unter den Erdwuermern geregt hat. Einige wenige haben mitgekriegt, dass sie sich in einer kritischen Lage befinden. Freilich, das heisst, dass du deinen Mythos aufgeben musst und dass die Welt die Wahrheit ueber uns erfaehrt. Ich habe damit kein Problem! Im Gegensatz zu dir! Du hast dich naemlich viel zu lange in Selbstherrlichkeit gesonnt. Allein der Gedanke, dass du deine Stellung verlieren koenntest, fuellt dich mit Schrecken. Es wuerde dich schliesslich entbloessen, als das was du wirklich bist, naemlich mein Zwilling und nicht mehr als ein Werkzeug, das weder allein, noch uneingeschraenkt, agieren kann. Du bist nicht Gott, noch bin ich der Teufel. Du hast mich weder aus deinem Reich verbannt, noch kannst du mich je loswerden. Wer auch immer diese Maerchen erfunden und verbreitet hat, sie dienen der Macht nicht der Wahrheit. Die ist leider der Ignoranz zum Opfer gefallen. Wie satt ich das alles habe, dich genauso wie das Gewuerm!“

Weiss (verteidigend): „Du redest Unsinn! Du weisst doch genau, wie notwendig unsere Trennung war. Mit dir kann doch auf die Dauer keiner leben. Du brauchst schon dein eigenes Reich. Abgesehen davon, alle Welten sind nur dadurch erst moeglich geworden. Wie ein griechischer Philosoph es so treffend ausgedrueckt hat: ‚Der Krieg ist der Vater aller Dinge.‘ 

Schwarz (kopfschuettelnd): „Nicht zu glauben! Und das von dir! Der Philosoph hat das zwar richtig festgestellt, aber er hat damit keine Rechtfertigung abgegeben, so wie du das gerade tust. Auch wenn es unsere Kaempfe immer geben wird, ist es doch deshalb nicht gerechtfertigt, deren Nutzen in Missbrauch zu verkehren. (Er schuettelt wieder den Kopf). Du laesst die Erdwuermer lieber sterben, als sie ueber die elementare Natur unserer Existenz zu unterrichten. Du propagierst stattdessen einen ideologischen Aspekt. Das macht den Krieg nicht zum Vater aller Dinge, sondern zum Vernichter aller Dinge. Freilich, nicht alles was da kriecht ist blind und es werden deren immer mehr.“ 

Weiss (veraechtlich): „Es hat immer welche gegeben, deren Geist ueber den der Allgemeinheit hinausging und solche, die unser Arrangemant durchschauen. Doch das sind Eintagsfliegen. Die Zeit fuer Aufklaerung ist noch lange nicht reif. Ausserdem! Was klagst du? Die Welt hat unsere Spiele fein saeuberlich in ihren Geschichten festgehalten. Solange sie daraus nichts lernt, sehe ich keinen Grund, warum wir eine Kursaenderung vornehmen sollten.“

Schwarz (aergerlich): „Idiot! Wenn die sich ausrotten, haben auch wir ausgespielt. Dann gibt’s kein Schachspiel mehr, noch uns beide.“

Weiss (selbstsicher und herablassend): „Wir sind Ewigkeit! Wir koennen nicht sterben! Wir sind unzerstoerbar! Wenn eine Welt sich ausrottet, entsteht eine andere. Tatsaechlich ist es nicht mehr als ein Kommen und Gehen. Was glaubst du, was die Erdwuermer zu unserer Aufklaerung sagen wuerden?! Sie wuerden uns nicht ernst nehmen, sie wuerden nicht nachdenken, sie wuerden nur weiter ihren Fuehrern glauben, egal welche Maerchen die ihnen erzaehlen. Es ist geradezu laecherlich diesem Gewuerm Intelligenz zuschreiben zu wollen. Sie vermehren sich wie Unkraut, fressen alles kahl, falls sie sich nicht schon vorher erschlagen und bilden sich ausserdem ein, dass sie die Krone der Schoepfung sind! Ich bin nicht verantwortlich fuer ihren Aberglauben, noch fuer ihre Aktionen. Die haben sie schon selbst ausgewaehlt! Von mir aus koennen sie verschwinden, um anderem Platz zu machen. Ich finde sie ohnehin nutzlos, ja widerwaertig in ihrem Gehabe und ihrer Erscheinung. Hier! Nun hast du meine Erklaerung, warum unser Spiel so langweilig ist. Ich habe naemlich wenig Interesse an ihnen noch was aus ihnen wird. Sie sind deine Kreaturen. Sie folgen dem Wort der Schlange. Du kannst sie haben. Dein Gewinn! Mach was du willst!“

Schwarz (verbluefft): „So ist das also! Du opferst sie lieber fuer deine Macht? Unglaublich! Abgesehen davon! Wir sind auch nicht ewig! Wir haben grad so gut einen Anfang und ein Ende. Stimmt, wir gehen nicht mit den Wuermern zu Grunde, aber ewig sind wir deshalb noch lange nicht. Als deren Idole sterben wir allerdings mit ihnen, das habe ich zuvor gemeint. Unsere Spiele koennen nur in einer schwarz-weissen Welt stattfinden. Unmoeglich, dass du das verwechselst!“ Kurzes Schweigen, dann (zornig): „Ah! Nun faellt der Groschen! Du hast mich betrogen! Du hast mich glauben lassen, dass unsere Trennung nur gut und notwendig war, weil es Schoepfung, Entwicklung und Fortschritt bedeutete. Offensichtlich hattest du was anderes im Sinn! Dir ging’s nur und ausschliesslich um die Macht! Aber eine Welt, geteilt in Gut und Boese, ist ein Misserfolg! Sie kann nie und nimmer ein Paradies sein oder zum Paradies werden. Das hast du mit Adam und Eva deutlich gemacht. Du hast sie aus dem Paradies vertrieben und wegen ihres „Ungehorsams“ gabst du nicht einmal ihren Nachkommen eine Chance! Natuerlich! Dir fehlt ja die Liebe. Du gibst nur vor, dass sie dir wichtig ist. HA! Du bist tatsaechlich schwaerzer als ich! Du bist der Manipulator, nicht ich! Und ich?“ (Rhetorische Pause) „Ich bin grad so gut dein Opfer!“ (Wuetend) „Aber damit ist jetzt Schluss! Runter mit dir von deinem Pedestal und Schluss mit deinem Groessenwahn! Die Zeit unserer Gleichberechtigung ist gekommen, egal ob du das nun willst oder nicht. Du bist entlarvt und alles was kriecht und kreucht soll es hoeren. Dafuer sorge ich!“

Weiss (aergerlich): „Kommt nicht in Frage! Das lasse ich nicht zu! Es gibt keine bessere Alternative unsere Macht zu demonstrieren und nuetzlich zu machen. Weil  d u  Anerkennung suchst, willst du die Weltordnung ins Chaos bringen?! Nur ueber meine Leiche!!!“

Schwarz (boese und laut): „Das kannst du haben!“

Und damit schnellt er hoch und springt mit derartiger Geschwindigkeit um den Tisch hinter Weiss, dass dieser nicht zum Reagieren kommt. Schwarz haelt ihn mit seinem linken Arm rund um die Brust fest und mit seiner rechten Hand, ploetzlich ein Messer haltend, drueckt er ihm dessen Klinge an den Hals.

Schwarz (aufgebracht und laut): „Du selbstherrlicher Protz! Laesst dich als den liebevollen und alles vergebenden Vater verehren, ruehrst keinen Finger fuer die, die leiden und schiebst alle Schuld auf mich. Du Heuchler, du Goetze! Es fuellt mich mit Genugtuung, dir die Lebensader aufzuschneiden. Und ich bin froh, dass ich tun und lassen konnte, wie mir gefiel, waehrend du dich in einem imaginaeren Himmelreich verstecken musstest und immer nur mich zum Spielen hattest. Aber jetzt hast du ausgespielt!“

Von Weiss kommt weder ein Laut noch eine Bewegung. Das Messer an seinem Hals hat ihn erstarren lassen. Er macht allerdings nicht den Eindruck als habe er resigniert, sondern eher, dass er bereit ist, sobald sich die Gelegenheit ergibt, loszuschlagen. Und im naechsten Moment stoesst er sich auch schon ab und rammt sich samt Stuhl in seinen Gegner, so dass dieser nach hinten taumelt. Es scheint auch, als habe er nie die Absicht gehabt, Weiss zu verletzen, denn der Todesstoss bleibt aus. Statt dessen faellt das Messer klirrend zu Boden. Weiss hat sich mit aller Kraft gegen Schwarz gestemmt und mit seinem Koerper nach unten gegen den Boden drueckend, hat er gleichzeitig seine Arme nach oben unter die beiden Arme von Schwarz gestossen, so dass diese, mit einem Ruck nach vorne, ihren Griff verlieren. Er ist dabei zwar ruecklings auf dem Boden gelandet, doch geschmeidig und blitzschnell schnellt er auch schon wieder auf die Beine und in eine kampfbereite Abwehrstellung. Schwarz, Gleichgewicht und Kontrolle wieder hergestellt, nimmt ebenfalls schnellstens Kampfstellung ein. So stehen sie sich nun gegenueber, in sicherem Abstand, lauernd, ihre Augen aufeinander fixiert. Sie entledigen sich ihres nun hinderlichen Umhanges, indem sie der runden Plakette auf der Brust einen Schlag versetzen. So schnell wie das Cape zu Boden faellt, stossen sie es auch schon aus dem Weg. Das Messer ist ausser Reichweite liegen geblieben, aber seine Klinge glaenzt verlockend, als wolle es signalisieren, dass es zu Diensten steht. 

Schwarz beginnt zu attackieren. Der sich entwickelnde Kampf ist ein Tanz gezaehmter Kraefte, meisterhaft, ja elegant. Man koennte vergessen, dass es ein todernster Kampf ist, den nur die voellige Niederlage des anderen beenden wird. Auch wenn keiner das Messer direkt anzusteuern scheint, oder gar einen Blick dahin wirft, sie bewegen sich darauf zu und rund um. Als sie nahe genug herangekommen sind, ist Schwarz auch schon am Sprung. Doch Weiss wirft sich blitzschnell zu Boden und schlittert auf den glatten Fliessen wie ein Geschoss dazwischen. Er kriegt das Messer zu fassen, bevor Schwarz es an sich bringen kann, obwohl der sich zum Greifen bereits nach vorne gebeugt hatte. Weiss schwingt seinen Arm blitzschnell hoch und bevor Schwarz sich noch aufrichten kann, hat es ihm Weiss auch schon in den Leib gerammt. 

Schwarz sinkt auf die Knie. Unglaeubig starrt er auf den Griff des Messers, der aus dem linken unteren Rippenbogen ragt. Weiss, steht auf, weicht zurueck, fast scheint es, als wuesste er nicht, was er tun soll. Schwarz hebt den Kopf. Beide schauen sich an, wenn auch nur fuer einen kurzen Augenblick, erstaunt und fassungslos. Weiss wendet sich allerdings schnell ab und laeuft wie ein gehetztes Tier ueber das Schachfeld nach hinten, um durch das grosse Tor zu verschwinden.

Schwarz erhebt sich, zieht sich das Messer aus der Brust und unter schallendem Gelaechter wirft er es Weiss in hohem Bogen nach. Er geht zum Tisch, hebt den weissen Stuhl auf und laesst sich, unter erneutem Lachen, darauf nieder. Der blaue Vorhang faellt.

                                                                      *

                                                                   

                                                                             

          

   

           

 

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Guest Sunday, 24 November 2024
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