Femina fragt sich, ob sie bereit ist, dieses Leben gegen ein anderes, das sie nicht kennt, einzutauschen. Es ist nicht wirklich die Loesung fuer ihr Problem. Auch wenn sie keine Ahnung hat, was aus ihr werden koennte, es ist auf keinen Fall der Ausweg, den sie sich vorgestellt hat oder wuenscht. Dieses Leben zu beenden macht schliesslich nur dann Sinn, wenn damit wirklich alles beendet werden kann, Punkt und Schluss und nichts mehr, was auch immer........ Verdammt und zugenaeht! Sie wird hin und her gerissen, ist wie der Tennisball, der von einer Seite zur anderen geschlagen wird. Sie findet nicht einmal Gelegenheit sich mit einer Moeglichkeit anfreunden zu koennen, schon fliegt sie wieder auf die andere Seite, in eine andere Ecke.
Ausserdem, Phil hat nicht wirklich die Frage beantwortet, was e r unter Reinkarnation oder Wiedergeburt versteht. Sie war offensichtlich zu sehr mit ihren eigenen Vorstellungen beschaeftigt gewesen, als dass sie auf seine Meinung bestanden haette. In ihrer jetzigen Lage ist sie allerdings um so mehr daran interessiert. Bleibt nur zu hoffen, dass der Film doch noch etwas davon beinhaltet. Sie kann sich naemlich nicht erinnern, ob oder was er dazu zu sagen hatte.
Eines steht fest, sie ist nach wie vor im Dilemma und nach wie vor keiner Entscheidung naeher gekommen. Angst vor der Zukunft? Auf jeden Fall! Angst mit Krankheit leben zu muessen, Angst, dass ein anderes Leben noch schlimmer sein koennte! Tatsaechlich waere es viel einfacher an Gott und Teufel zu glauben. Herr seines Lebens zu sein, hat leider seine Schattenseiten, weil nichts, ausser das eigene kleine Selbst unter Kontrolle gebracht werden kann, - und das oft nur mit Muehe, - wenn ueberhaupt.
Phil’s Stimme unterbricht den Lauf ihrer Gedanken, indem die Diskussion der beiden auf der Leinwand ihren Fortgang nimmt. Auch wenn sie nicht sicher ist, ob es ihr helfen wird, eine Loesung fuer ihr Problem zu finden, es ist ohnehin das Einzige, das ihr uebrig bleibt. Nachdem selbst das Eis sie ausgespuckt hat, was bleibt schon uebrig! Warum also nicht zuhoeren......
„Mag sein, dass eine Revision alter Lehren notwendig ist, tatsaechlich spielt das fuer mich keine Rolle. Alle Religionen haben an meinen Ueberlegungen Anteil, ob Hinduismus oder Buddhismus oder Indianerkulturen, ganz egal. Religionen schliessen sich naemlich nicht aus, sondern komplementieren sich, und im Vergleich miteinander finden sich die groessten Ueberraschungen. Das Problem mit den Religionen ist ja nicht unbedingt deren Inhalt, sondern nur was der Mensch daraus macht, und das gilt fuer alle Religionen. Ich lasse mich lieber Atheist schimpfen, als dass ich mich mit einer affilieren moechte.“
Er holt kurz Atem. „Mich beschaeftigt etwas ganz anderes.......“ Er zoegert, faehrt jedoch fort als kein Einwand kommt. „Es ist die Frage von Anfang und Ende.“
Femina ist irritiert. Sie wundert sich, grad so wie ihre Leinwand Persona. Warum von Anfang und Ende reden, wenn es doch nur das Ewige gibt? Das hatten sie doch grade propagiert!
Phil laechelt, abwartend, aber da trotz offensichtlicher Verblueffung kein Protest erfolgt, setzt er fort: „Es ist so schwer vorstellbar, dass etwas ohne Anfang sein sollte. Ich kann mir eher etwas ohne Ende vorstellen, aber ohne Anfang? Als Mensch ist man zwar mit dem Konzept von Anfang und Ende vertraut, Zeit, um genau zu sein, nicht aber was das Ewige betrifft. Anfang und Ende sind aber Bestandteil des kontinuierlichen Prozesses, nicht nur was das Sein betrifft. Nur! Das Konzept von Zeit ist rudimentaer in uns verankert, nicht so das Prinzip der Ewigkeit. Das verstehen wir nur theoretisch. Wir erleben nicht Ewigkeit, sondern nur Zeit! Wir werden geboren und sterben, und so wie der Mensch geboren wird, sich entwickelt und stirbt, so wird das Universum geboren, entwickelt sich und stirbt, wie eben alles was das Sein ist. Wissenschaftlich gesprochen heisst das: Der Kosmos beginnt mit dem „Big Baeng, oder Urknall“, hat eine fortlaufende Entwicklung, was er ja tatsaechlich tut, und dann ein Ende, mit einem Kollaps, oder wie das auch immer sein mag. Man spricht von diesem Untergang in allen moeglichen Prophezeiungen, in ernst zunehmenden und nicht ernsten. Aber auch die Wissenschaft nimmt das an. Die ist sich nur noch nicht sicher, wie es vor sich gehen wird. Evolution ist also ein zeitliches Geschehen, ein Charakteristikum des „Seins“. Ewigkeit geht aber darueber hinaus, ist dem Anfang und Ende uebergeordnet. Die Konstante ist das Prinzip. Ewigkeit ist, Zeit ist darin enthalten, hat aber sonst keine Bedeutung. Ewigkeit hat kein davor oder danach, sondern nur ein ist. Zeit ist linear, Ewigkeit wie ein Kreis. Es ist ein Kreislauf. Evolution, in ihrer fortlaufenden Entwicklung mag Ewigkeit simulieren, hat aber eine zeitliche Ordnung, ist daher nicht ewig. „Sein und Nichts“ ist ewig, nicht aber das Sein, noch das Nichts. Interessanterweise, unsere DNS hat nicht nur lineare Ausrichtung, sondern auch eine kreisfoermiige, eine dimensionale Angelegenheit, aber das sei im Moment nur nebenbei bemerkt."
„Das ist ungemein interessant, was du da eben gesagt hast. Ich meine beides, aber mir gefaellt besonders das mit der Evolution. Sozusagen, die menschliche Evolution kann man als Kleinformat der universellen sehen, wenn ich dich richtig verstehe!“ Sie ist begeistert. „Was ist da dein Problem? Dass wir uns sovieles nicht vorstellen koennen? Leider, ja. Wir wollen wissen, nicht glauben, nicht wahr? Eigentlich wollen wir noch viel mehr, wir wollen begreifen, nicht nur verstehen, nicht wahr?“ Er nickt und zuckt die Achseln.
„Ich weiss,“ sagt sie mitfuehlend. „Mir geht es auch oft so. Von dem aber abgesehen, das ist doch genau das, was wir zuvor besprochen haben. Freilich nicht ganz so exemplarisch. Doch finde ich die Vergleiche hoechst interessant und so zutreffend! Ist das alles, wo du ein Problem siehst?“
Er atmet tief ein und lange aus, fast klingt es wie ein Seufzer: „ Es sind die begrenzten menschlichen Perspektiven, die mich plagen. Vorallem, weil sie ja ungeheure Tragweite und Konsequenzen haben.“ Er schuettelt den Kopf, grad so als wolle er sich von unangenehmen Gedanken befreien und faehrt dann fort: „Vielleicht kommen wir spaeter darauf zurueck. Lass uns vorerst von den evolutionaeren Analogien reden; die haben in gewisser Weise ohnehin damit zu tun. Also, man kann die beiden, universielle und menschliche Fortpflanzung im Sinne des Evolutionsprozesses vergleichen, wobei das fuer mich mehr als nur ein Vergleich ist. Obendrein! Der Mensch an sich spielt nur eine untergeordnente Rolle. Jede organische Lebensform hat das Potenzial und koennte seine Rolle uebernehmen. Aber derzeit ist es eben der Mensch dessen Spezie auf Grund seiner sich entwickelnden intellektuellen Faehigkeiten Dominanz ueber alle anderen Lebensformen erlangen konnte. Mit dieser Entwicklung geschah aber etwas ganz Besonderes. Sie ist naemlich der Grund fuer die Mystifizierung seiner Existenz, denn seine existentiellen Erfahrungen mussten zwangslaeufig auf Grund mangelnden Wissens und Unverstaendnisses gegenueber seiner Herkunft, ja was das Leben schlechthin betraf, zu religioesen und philosophischen Ueberlegungen fuehren. Zuerst wohl primitiv, so wie wir das heute beurteilen, aber mit zunehmender Intelligenz und zunehmendem Wissen veraenderten sich natuerlich auch die Goetter, die er bereit war und vorallem heutzutage bereit ist, anzubeten. Was nicht unbedingt jedem willkommen oder recht ist, - aber das nur so nebenbei!“
Er haelt wieder inne, ueberlegend, als suche er in seinen Gedanken nach was Bestimmtem, faehrt dann aber mit lauten Ueberlegungen fort:
„Nun, wir haben vom Intellekt, der Intelligenz des Menschen gesprochen. Das sind geistige Faehigkeiten und wie es scheint, haben die sehr wenig mit Materie zu tun. Lass uns nun, ‚Sein und Nichts‘ mit ‚Materie und Geist‘ ersetzen. Wohlgemerkt! Geist ist nicht Nichts, gradso wenig wie Nichts nicht nichts ist. Geist ist bloss ein feines Substrat der Materie und Nichts ist bloss undefinierbar, wenn du dir unsere Diskussion ueber das Nichts in Erinnerung bringst. Die Evolution des Menschen zeigt uns, dass Materie Intelligenz entwickelt, also Geist hervorbringen kann, indem sie zuerst die soliden Voraussetzungen schafft, und dann, im Laufe der zunehmenden Spezialisierung, das feine Substrat, das die Evolution des Geistes ermoeglicht. Es ist ein kontinuierlicher Prozess des Fortschritts. Wie dieses feine Substrat geschaffen werden kann, ist keineswegs ein „Wunder“. Es ist tatsaechlich zwangslaeufig. Zum Beispiel: Man spricht vom leblosen Stein. Nur stimmt das nicht. Leben ist Bewegung, ja und im Stein sind alle Atome in staendiger Bewegung. Also selbst der Stein hat Leben und in ihm ist ein feines Substrat, das man weder sieht noch greifen kann. Jegliche Materie besteht aus Atomen! Nun, unser Kopf mit seinen Denkprozessen, die in unserem Gehirn ablaufen, ist wie der Stein, indem es Leben gibt.“ Er laechelt. „Ich hoffe, du verstehst, dass ich unseren biochemischen – und elektrischen Prozessen in unserem Gehirn keineswegs ihre hoch qualifizierten Leistungen abspreche. Ich bin ganz und gar fuer’s „Wunder“, vorallem weil es so wirklich wunderbar ist!“ Er zwinkert ihr vergnuegt zu. „Also Geist ist zwar nicht solide Materie, aber dennoch was Konkretes, Geist ist und hat Substanz.“
Sie unterbricht ihn. „Gib mir einen Augenblick fuer meine Gedanken!“ sagt sie und schmunzelt. „Geist und Gedanken sind also in diesem Sinne nicht frei von Materie. Sie sind also nicht immateriell. Hm, insofern, dass sie Inhalt haben, kann ich natuerlich zustimmen, aber sie sind Substanz? Das musst du mir erklaeren!“
„Es ist kein Widerspruch,“ sagt er geduldig. „Gedanken sind schliesslich nur durch spezielle biologische Reaktionen, biochemisch, elektrochemisch, molekular und atomar, moeglich; eben Substrat und Substanz des Geistes und der Gedanken. Es ist der Inhalt der Gedanken, der zwar ebenfalls konkret ist, mit dem der moderne Mensch aber hadert, weil dessen Korrelation mit der Substanz noch immer raetselhaft ist. Gedanken hat der Mensch ununterbrochen, und die sind nie leer. Sie sind wie der Fluss, der, oder auf dem Waren transportiert werden. Der Mensch ist nicht faehig, nicht zu denken, zumindest nicht im allgemeinen, er hat keine leeren Gedanken.“
„Oh,“ sagt sie, „ich kenne genuegend, die nicht denken!“ Sie lachen
Er faehrt fort: „Wie du siehst, Geist ist abhaengig von Materie, Gedanken brauchen Materie um produziert, manifest zu werden. Grad so gut, wie das Nichts vom Sein abhaengig ist. Wie ich vorhin schon gesagt habe, wenn du dich erinnerst; ich bin Sein und Nichts, denn ich bin Materie und Geist. In diesem Sinne bin ich der Ausdruck des goettlichen Prinzips, traditionell ausgedrueckt heisst das, ich bin Gott.“
„Hast du jemals versucht, dir das Nichts vorzustellen?“ fragt er
„Ja,“ antwortet sie mit heftigem Nicken, „sogar des oefteren und es kam meistens mit denselben Gefuehlen, einerseits phantastisch, aber auch ziemlich elementar. Willst du hoeren, wie’s mir dabei ging?“ Er nickt.
„Es ist am besten, ich beschreibe den Vorgang,“ sagt sie. „Also ich visualierte in Gedanken folgendes: Ich bin das einzige Etwas, umgeben von nichts, absolute Leere, ohne Grenzen, ohne Zeit und schwarz, ohne Farbe oder Licht. Nach einigen Minuten der Konzentration geschah etwas Merkwuerdiges, man koennte sagen, eine Umkehr der Gegebenheiten. Ich fuehlte ich mich kleiner und kleiner werden und gaenzlich ohne Bedeutung, aber einer Gewalt ausgesetzt, zunehmend an Schwere, Dichte, Schwuele und Druck, so dass ich glaubte, explodieren zu muessen. Ich musste das Experiment beenden. Und es ging mir jedesmal gleich, wenn ich es wieder versuchte. Damals ist mir klar geworden, was Einzelhaft in einer Dunkelzelle bewirken musste!“ Sie pausiert, sich in ihren Gedanken verlierend.
Phil’s Stimme holt sie zurueck: „Ja,“ sagt er, „deine Beschreibung deckt sich mit meinen Gefuehlen. Das Nichts wurde fuer mich in seiner Potenz fuehlbar. Ich hatte in meinem Versuch das Gefuehl, als sei das Nichts traechtig und in dieser Eigenschaft war es omnipotent. Ein Freund sagte einmal zu mir, als wir vom „Big Bang“ sprachen: ‚Wahrscheinlich war da zuviel Nichts.‘“
„Was fuer ein schoener Gedanke,“ wirft sie ein.
„Genau,“ sagt er, „aber nicht nur schoen, sondern in meinen Ueberlegungen sehr wohl sinnvoll. Das Nichts als „OMNIPOTENZ“ , oder „Undifferenziertes Sein“, ist vorstellbar, grad so gut wie das Sein als „DIFFERENZIERTE POTENZ“. Die beiden stehen im Verhaltnis miteinander und zueinander. Das Verhaeltnis ist daher flexibel, und aenderbar. Der menschliche Koerper entwickelt sich aus omnipotenten Zellen indem sie sich differenzieren, wie wir wissen, und jede differenzierte Zelle hat eine bedingte Lebenszeit. Die Omnipotenz geht durch Differenzierung in eine spezielle Potenz ueber, sie geht nicht verloren, sie hat sich nur differenziert. Anders ausgedrueckt, - Omnipotenz wird durch Differenzierung blockiert, denn eine spezialisierte Zelle kann nichts anderes mehr sein, als eine spezielle Zelle und braucht den Tod um diese Blockade aufzuheben. Das Nichts differenziert sich in das Sein, und das Sein muss sterben, um wieder das omnipotente Nichts zu werden. Unsere eigenen Koerperzellen tun genau das, sie tun im Kleinen was im Grossen geschieht. Microkosmos- Macrokosmos, hier liegt das Wunderbare!“
„Phantastisch!“ unterbricht sie ihn. „Lass mich nun ins Weltall fliegen! Indem ich meine Existenz bewusst erlebe, oder besser, erleben kann, erfahre ich, dass ich am kontinuierlichen Prozess teilnehme, dass ich tatsaechlich unsterblich bin, und dass der Tod Befreiung heisst. S o habe ich Ewigkeit noch nie betrachtet!“
„Na ja,“ bremst er ihre Begeiserung ein, „es ist ja nicht das, was sich der Mensch wuenscht. Er will ja Unsterblichkeit seines gegenwaertigen Zustandes und Freiheit nicht als Befreiung sondern als Freifahrtsschein fuer seinen Hoehenflug.“
„Leider“, gibt sie zu, „ich taet auch ganz gern ein paar Jahrhunderte leben, mit Hoehenflug, wohlgemerkt!“ Sie lachen, denn selbst Phil haette nichts gegen ein langes Leben, wenn es vorwiegend seinen Wuenschen entspraeche.
Sie wird wieder ernst. „Ich muss nochmals auf die Potenzen zurueckkommen und was das fuer die Evolution von Kosmos und Mensch bedeuted. Was den Kosmos betrifft sind sich selbst die Wissenschaftler noch nicht einig, wie dessen Zukunft und Ende aussieht, das heisst, seine Differenzierung ist noch lange nicht abgeschlossen und wie ein voll differenziertes Universum aussehen wuerde, bleibt im Moment intelligenten Spekulationen ueberlassen. Was die Evolution des Menschen betrifft, mag es vielleicht leichter zu antizipieren sein: ‚Homo erectus-Homo sapiens-Homo divinus‘ ? Das waere nahestehend, denn der Mensch hat bereits einen extremen Intelligenzstatus erreicht. Er ist im Begriff kuenstliche Intelligenz zu schaffen: Der Meister produziert die Maschine und haucht ihr das Leben ein, indem er ein Abbild seinesgleichen schafft. Zufall oder Replikation? Haben wir den Status des Homo Divinus bereits erreicht und sind daher voll differenziert? Man koennte das annehmen, denn nun muss die Zukunft logischerweise der Tod sein und so wie’s aussieht, der Mensch i s t auf dem Weg der Selbstvernichtung. Er will es Gott gleichtun, aber es kann nur eine schlechte Kopie sein, denn tatsaechlich hat er keine Ahnung was Gott ist und schon garnicht was es heisst, Gott zu sein.“ Sie schweigt nachdenklich.
Er laechelt sie an. „Mir gefallen deine Gedanken,“ sagt er, „und natuerlich kann ich nur zustimmen. Es ist allerdings ein sehr pessimistisches Bild, was die menschliche Zukunft betrifft, deren Unterggang so gut wie unabwendbar ist. Ausser der Mensch kann sein Bewusstsein erweitern und sein Verhalten entsprechend aendern. Der wirkliche Homo Divinus koennte diese Welt zum Paradies machen, nicht nur fuer sich, sondern fuer alle und er koennte jene Fruechte geniessen, die er jetzt zwar haben will, aber niemals ernten kann, da sie in ungeeignetem Boden wachsen. Er hat das Paradies verloren, indem er den Apfel geniessen wollte, der aber nicht ihm gehoert hat. Nun koennte er seinen eigenen Baum pflanzen, aber in seiner Ignoranz versteht er nicht, welche Erde dafuer notwendig ist.“ Er haelt wieder inne und winkt ab, als sie sich anschickt, das Gespraech aufzunehmen.
„Ich muss nun doch auf meine Bedenken zurueckkommen, die mich plagen, wie ich zuvor angedeutet habe,“ faehrt er fort. „Gut, dass du so geduldig bist. Ich komme naemlich immer wieder am selben Punkt zum Stolpern, naemlich was die Konsequenz dieses Konzepts fuer mich bedeutet. Ich hadere mit der Konsequenz.“
„Nein,“erwidert sie, „die Konsequenz bleibt ebenso immer diesselbe. Es spielt schliesslich keine Rolle, ob nur ich oder auch das Universum stirbt. So oder so beginnt wieder alles von Neuem, bloss nicht im selben Mass oder gar in der selben Form, nehme ich zumindest an. Oder verstehe ich nicht, was du mit Konsequenz meinst?“
„Vielleicht,“ meint er, „aber lass mich erklaeren. Ewigkeit, im Sinne des Sein und Nichts mit kontinuierlichem Anfang und Ende, bedeutet streng genommen, dass sich tatsaechlich nie was aendert. In diesem Sinne ist Wiedergeburt eine Qual, denn wo bleibt der Sinn des Ganzen? Ich kann mich damit nicht anfreunden, denn Sinnlosigkeit, egal ob in der Existenz oder im Tod, ist fuer mich die groesste Qual, die ich mir vorstellen kann. Das Konzept der Ewigkeit macht nur dann einen Sinn, wenn es Fortschritt gibt, das heisst also Wiedergeburt mit Ziel, und Ewigkeit als Ziel.“
„Trotzdem beginnt nach der Erreichung des Ziels wieder alles von vorne, - es ist derselbe Effekt, oder?“ Sie kann tatsaechlich keinen Unterschied entdecken.
„Ja,“ sagt er, „das mag schon sein, doch es macht fuer mich einen gewaltigen Unterschied, ob ich im kontinuierlichen Prozess, Fortschritt erlebe, mit einem Ziel, oder eben nicht. Es macht fuer mich nur dann Sinn, wenn sich im Laufe dieses Prozesses ein absolutes Bewusstsein und Verstaendnis entwickeln kann. Intelligenz ist nur eine Sprosse in der Leiter der geistigen Evolution. Wir haben schliesslich nicht nur eine materielle sondern auch geistige Evolution, wobei ich diese nicht von einander trennen kann. Das heisst aber, dass ich irgendwann im Prozess dieser Differenzierung am Ende jenes Ziel erreichen werde, wo es letztlich keinen Unterschied zwischen Omnipotenz und Differenzierter Potenz mehr gibt, denn in ihrer extremen Potenz sind sowohl die eine als auch die andere allmaechtig. Das, oder, nur dann ist es moeglich, ueber Anfang und Ende entscheiden zu koennen.“
„Sozusagen, man ist Herr ueber Leben und Tod,“ faellt sie ein
„Korrekt!“ Er sieht ihr Schmunzeln und deutet es richtig. „Ich sehe es nicht als Machthaben, sondern Freiheit haben. Fuer mich ist das Wichtigste, eine Wahl zu haben, mich entscheiden zu koennen. Ich verabscheue es, entschieden zu werden. Wenn also Omnipotenz sich entscheiden kann, ob oder nicht, sie sich differenzieren will, und Differenzierte Potenz, ob sie leben oder sterben will, dann macht das Werden und Vergehen Sinn, ist es doch die Erfuellung des eigenen Wunsches.“
„Ah, jetzt verstehe ich, was du meinst. Es ist das omnipotente Bewusstsein, und du bist dir nicht sicher, ob du es je erreichen kannst. Es ist aehnlich dem Nirvana von dem die Hindus reden oder der ultimativen Transzendenz im Buddhismus, nicht wahr? Die Christen verschlafen alles, trotzdem werden auch sie wiederbelebt, entweder um fuer immer ins Paradies zu kommen oder in die Hoelle. Fragt sich nur, was mit denen im Fegefeuer passiert. Ehrlich gesagt, die Christen koennen einem leid tun, denn die haben nur ein Leben, um sich zu bewaehren, waehrend Hindus und Buddhisten wesentlich mehr Gelegenheiten haben. Was mich betrifft, ich stimme dir zu, es waere schoen, sich ueber Werden und Sterben entscheiden zu koennen. Im Moment habe ich nur, wenn auch bedingt, Einfluss auf mein Sterben. Bin ja nicht einmal sicher, ob mir nicht der Ziegel auf den Kopf faellt, sobald ich mein Haus verlasse. Na und auf mein Werden hab ich erst recht keinen Einfluss. Bin ja nicht einmal sicher, ob ich in diesem Leben erreiche, was ich erreichen moechte. Deshalb mache ich mir um diese „Konsequenz“, wie du es ausdrueckst, keine Gedanken. Was soll’s! Ich kann nichts aendern. Ich hab keinen Einfluss. Das einzige was fuer mich zaehlt ist nur das Hier und Jetzt. Alles andere hat keine Bedeutung.“ Sie schweigt, wie es scheint mit etwas Trotz und Abwehr.
Er sieht sie liebevoll an. „Du hast voellig recht,“ sagt er schliesslich mit einem warmen Laecheln in seinen Augen. „Es ist unnoetig, sich zuviele Gedanken zu machen, aber ich bin ein Fortschrittsglaeubiger, davon komm ich nicht weg. Wuerde ich sonst das Anliegen haben, das ich mit meiner Arbeit verbinde? Wuerde ich sonst um meine welke Pflanze besorgt sein? Es ist ein Teil meiner Persoenlichkeit, mein Versuch, mich zu erforschen, meiner Existenz Sinn zu geben. Es ist aber auch der Versuch, das Leiden in meinem Dasein ertraeglich zu machen, es in was Positives umzuwerten. Ich muesste sonst wohl an der Grausamkeit, ja Brutalitaet und Gewalt verzweifeln, die ich in dieser Welt sehe. Sie sind gewisserweise, leider, aber eben mitbestimmende Faktoren auf meinem Weg zum Ziel.“
Der Bildschirm verdunkelt sich. Feminas Augen verharren wie gebannt, aber da ist keine Leinwand mehr, nur wieder eine einfache Wand. Es herrscht lautlose Stille und der Raum ist nach wie vor leer.