“Ach”, meint Femina und macht eine Wegwerfbewegung, “der Boss steht doch nur für vieles, das mir sauer aufstösst. Ich weiss garnicht, ob er der Schlimmste von allem ist.“ Und sie denkt an ihre Kollegen. “ Der Boss ist ein Reaktionär, intelligent, das macht ihn gefährlich, aber die Untergebenen sind kritiklos und dumm, sie sind deshalb nicht minder eine Gefahr. Die Katze beisst sich in den Schwanz, das System ist so perfect - ”Daumenschrauben“-. Eigentlich dürfte ich garnicht böse sein, auf niemanden. Ich bin’s, die da nicht hineinpasst“. Sie unterbricht sich kurz.
“Ich glaube, ich bin menschenscheu geworden, und Menschenverächterin.---- Wenn manche bloss den Mund aufmachen und ihre Kommentare von sich geben, die ihre Borniertheit, ihre ganze Missbildung zeigen.......“, sie schüttelt den Kopf, ”dann hilft mir um mich zu distanzieren, nur meine Arroganz und mein Selbsterhaltungstrieb.“
”Du nimmst das alles viel zu schwer“, erwidert Tina. ” Du kränkst dich , völlig unnötig. Das weisst du doch genau, oder?“
Femina verzieht spöttisch ihren Mund und nickt. Ihre Freundin hat natürlich recht. Was erwartet sie sich von einer Gesellschaft, die völlig unfähig ist, - nämlich liebesunfähig? Kränkung ist ein anerkanntes Gesellschaftsspiel. Was will sie von einer Gesellschaft, die Menschen würde nicht kennt, sondern nur Menschenmaterial? Ihr Bauch krampft sich zusammen. So deformiert man Seelen. Aber sie wehrt sich immer noch.
”Ach Tina“, sagt sie, „wie gut, dass du da bist! Doch wie steht’s mit dir? Hast du keine Probleme, die dir die Stimmung verderben?
Tina verdreht die Augen: „Klar doch! Mehr als genug! Aber du weisst ja, ich bin mein eigener Boss, dadurch bleibt mir einiges erspart. Die Probleme die ich habe, drehen sich mehr um die Kleine. Das finde ich zum Heulen. Da ist mir doch tatsächlich das Nachwuchsdepartment auf den Pelz gerückt!! ‚Das Kind werde in unmoralischen Verhältnissen grossgezogen!!!!‘
Dazu ist zu sagen, dass Tina derzeit nicht im selben Staat wie Femina lebt. Man ist dort zwar wesentlich weiter fortgeschritten, technologisch, und auch was den Lebensstandart betrifft, das Volk aber ist berühmt fu/r seine strikte Arbeitsauffassung und erst recht für seine hausbackene Moral. Gelinde gesagt, sie sind ausgesprochen prüde, weil sie glauben, dass Fleiss nur auf dem Boden von Ordnung gedeihen kann, - ihrer Ordnung natürlich und ihren Vorstellungen gemäss.
„Nicht zu glauben“, erwidert Femina prompt
„Doch, doch! Du kannst es ruhig glauben. Die Eltern meines Ex kämpfen um das Erziehungsrecht, - und er will mir damit eines auswischen. Er kann’s mir nicht verzeihen, dass ich ihn verlassen habe, schon garnicht, wie er glaubt, wegen einer Frau.“
„Ich habe nie verstanden, was du an diesem Macho gefunden hast. Mit einem der nicht unserer Art ist, kann eine Beziehung nicht gut gehen. Und dann auch noch ein Kind von ihm!“
„Komisch nicht wahr, heute versteh ich’s auch nicht mehr. Aber damals habe ich wirklich geglaubt, es sei möglich.“
„Ja und wie stehen die Dinge?“ will Femina wissen
„Ach ganz gut. Ich hab mir natürlich eine Anwältin genommen und die kennt sich in dieser Materie gut aus. Schlimmstenfalls muss ich halt das Land verlassen. Die Kleine kriegen sie auf keinen Fall. Niemals! Da werd‘ ich zur Löwin.“
„Wieso wollen die mich haben“, mischt sich die Kleine ins Gespräch. „Ich will garnicht von dir weggehen!“
Tina lächelt: „Das weiss ich mein Schatz“.
„Sie wollen dich haben, weil du ein Schatz bist“, meint Femina, „aber sie würden dich nicht behüten, wie deine Mutter das tut. Sie würden dich besitzen, dir ihre Stempel aufdrücken, ohne dich zu fragen, ob du das willst.“
Die Kleine sieht sie entsetzt an.
„Mach ihr doch keine Angst,“ sagt Tina
„Tu ich das?“ erwidert Femina. „Aber so ist es doch! Die Wahrheit ist manchmal zum Fürchten.“
„Der Ernst des Lebens kommt noch früh genug. Sie soll nicht zu früh ihre Unbeschwertheit verlieren. Das möchte ich nicht! Sie soll ein fröhliches Kind sein!“
„Aber Tina,“ antwortet Femina, „warum sollte ein fröhliches Kind nicht auch ein denkendes Kind sein!“
„Na dann, ich will sie halt nicht aufhetzen, oder dass sie Vorurteile kriegt!“
Femina sieht ihre Freundin aus schmalen Augen an und lächelt spöttisch: „Entschuldige wenn ich lache. Das kann doch nicht dein Ernst sein! Ist es Dir lieber, wenn sie unvorbereitet die Wahrheit erfährt?“
„Die Warnung vor dem Bösem also,“ meint Tina zögernd
„Wie immer du das nennen willst,“ sagt Femina, „ aber ich nicht ihre Mutter. Du trägst die Verantwortung für ihre Erziehung. Mir musst Du allerdings die Freiheit lassen, meine Meinung kund zu tun. Diskutieren ist doch wohl noch erlaubt, oder?“
Tina lächelt wieder, zieht eine bezeichnende Grimasse, was soviel heisst wie ‚Kindererziehung‘, wer will schon sagen, ob das richtig ist, was man so tut!
„Drücken die mir wirklich Stempel auf? Wohin denn? Auf meine Haut?“ Die Gedanken der Kleinen sind anscheinend beim Schmerz hängen geblieben.
„Siehst Du, jetzt hast du ihr Angst gemacht“, meint Tina vorwurfsvoll.
„Ich habe keine Angst!“, erwidert die Kleine mit fester Stimme. „Ich würde sie kratzen und beissen, und ihr würdet mir doch helfen, nicht wahr?“
„Und ob“, erwidern die beiden Frauen gleichzeitig und lachen befreit.
Tina erklärt der Kleinen die Dinge genauer. Kinder sind wissbegierig, und das Warum ist eine wichtige Frage. So vergeht die Zeit im Flug. Femina späht zu ihrer Uhr, die nur klein ist und ganz verlassen, auf einem Regal in einer leeren Ecke steht. N o c h Zeit! Aber langsam muss sie daran denken, schlafen zu gehen, will sie morgens halbwegs fit sein. Und damit kehrt der Grieskram zurück.
„Sie versuchen eine Maschine aus dir zu machen. Eigenleben hast du am besten keines, und einen anderen Schlaf-Wach Rythmus zu haben als den genormten, ist beinahe ein Verbrechen. Zumindest wird darauf niemand Rücksicht nehmen. Überhaupt, wer Spass am Leben findet, der ist von vornherein suspekt, haben dieses Privileg doch nur jene, die sich’s durch Arbeit verdient haben, - wobei die ohnehin zu müde sind, oder keine Zeit haben. Oder jene, die Geld besitzen, ererbt oder gewonnen, - das sind die wirklich “Glücklichen. Alle anderen kriegen beim Gedanken an Glück schon ein schlechtes Gewissen. Normalerweise ist man erst glücklich, wenn man gestorben ist. Das Paradies wartet, nur ist das erst recht nicht umsonst. Verrückte Tina, alles Verrückte!“
„Der Durchschnitt bestimmt, was normal ist und was nicht,“ meint diese trocken.
Das ist so typisch ihre Freundin. Was kann man dagegen sagen! So schnell lässt sich Femina aber nicht bremsen.
„Und was ist mit der Liebe? Liebe! Ich höre immer von Liebe. Aber das ist es: Hören tut man von ihr viel, bloss.......... Manchmal bin ich mir garnicht sicher, ob sie überhaupt noch existiert. Sie scheint eher ein abstraktes Wort zu sein, das irgendjemand in einen Traum geflüstert hat“
„Arme Femina“, sagt da Tina mit Ernst. „Du bist wirklich ganz unten. Aber denk an das Wellenspiel, oder besser, den Surf den du so liebst.......Du hast dich hineinfallen lassen, und nun wirst du durchgerüttelt. Das schmeckt bitter aber ist doch nur eine der möglichen Sensationen. Das hast du doch hoffentlich nicht vergessen!“
Femina schütelt verneinend ihren Kopf: „Ich hab bloss zuviel davon bekommen und das bekommt mir nicht!“
Da lacht Tina wieder und meint nur, es sei wirklich dringend, ja zwingend, dass Femina abreist. Sie verstehe sie zu gut, sind sie doch grundsätzlich und auf jeden Fall einer Meinung. Ihre eigene Praxis sei voll von deformierten Leuten. Und die Krankenhäuser ebenfalls, wie Femina zu berichten weiss. Sie ist nämlich ein Gesundheitsapostel. Die beiden granteln noch eine Weile fort, und erzählen sich Diverses aus ihrem Berufsleben. Ein reger Meinungsaustausch entsteht, denn, - Körper und Seele bilden an sich eine Einheit, auch wenn sich das in ihrem beruflichen Umfeld noch nicht ernstzunehmend etabliert hat. Seelen haben nur in der Kirche Platz, und Körper kann man reparieren. Psychohygiene? Wer betreibt die schon! Fällt doch den meisten bereits das Zähneputzen schwer. Femina findet, dass die fehlende Verantwortung gegenüber sich selbst, schlechthin zu Verantwortungslosigkeit gegenüber alles und jedem führt. Fraglos, es ist so bequem, Verantwortung zu delegieren. Na ja, damit entstehen neue Jobs, und der Psychotherapeut darf auf Seelensuche gehen, und der Mediziner klempnern, - beide mit der Auflage, nicht am System zu kratzen. Denn, - Schuster bleib bei deinem Leisten! Politik ist schliesslich Sache der Politiker, und die wissen ganz genau, was für das Wohl ihres Volkes wichtig. Tina grinst. „Zumindest wissen sie genau, was ihnen selber dienlich ist“.
Femina zündet sich eine neue Zigarette an und nimmt sich eine neue Tasse Tee. Ihr Groll hat sich verflüchtigt. Es hinterlässt eine wohltuende Leere. Die Kleine ist nun doch eingeschlafen und für die Nacht steht’s bald Halbzeit. Es erinnert sie wieder daran, dass sie morgens früh aufstehen muss. Aber, sei’s drum....... uninteressante Arbeit wird nicht interessanter, nur weil man ausgeschlafen ist. Sie fällt einem höchstens leichter.
„Ach ich geniesse es, dass ich mich so ungeniert ausschimpfen kann, und dass Du mir nicht mit blödsinnigen Einwendungen kommst.“
„Ich häte hunderte von Einwendungen parat, aber du kennst sie ohnehin alle und ich kenne deine Antworten, also erzähle mir lieber, was du weiterhin vorhast.“
Femina sieht einen Moment lang aus, als hätte sie die Frage nicht verstanden.
„Hast du keine Pläne? Oder schwebt Dir was Bestimmtes vor?“ wiederholt Tina.
Femina räuspert sich, sucht nach einer klaren Antwort. Aber die gibt es nicht, denn das Viele, das sie vorhat, ist nicht das Bestimmte, das sie auf jeden Fall macht. Sie muss plötzlich lachen und sieht ihre Freundin vielsagend an. Die versteht – zu gut kennt sie Femina.
„Ich bedaure es sehr, dass ich nicht mitkommen kann,“ fährt Tina fort. „Wär‘ das schön, wir drei, irgendwo an einem menschenleeren Strand unter Kokospalmen, und nichts als Sonne und Meer.“ Sie schliesst schwärmerisch ihre Augen und fliegt gedankenschnell auf eine der zauberhaftesten Südseeinseln, die sie sich vorstellen kann. Dann schlägt sie die Augen wieder auf und seufzt: „Ich kann der Kleinen nicht das Wissen vorenthalten, das die Zivilisation anbietet.“ Ihre Stimme klingt unsicher, weil sie weiss, dass man Wissen nicht nur lernen, sondern auch erfahren kann. Trotzdem gibt ihr Femina recht. Die Kleine soll ihren Geist schulen. Tina wird schon aufpassen, dass das Wesentliche nicht verloren geht.
Aber was ist das Wesentliche? Für jeden Einzelnen scheint es etwas Anderes zu sein. Jede Kultur hat ihre eigenen Traditionen, jede Religion einen anderen Glauben.
Es ist nun wohl an der Zeit, etwas näher auf die beiden Frauen einzugehen, sozusagen ihren Hintergrund zu beleuchten. Es erklärt warum sie sich so gut versteen und warum sie in grundsätzlichen und prinzipiellen Fragen ihrer Existenz übereinstimmen, obwohl sie verschiedener Meinung sein können und sehr verschiedene Persönlichkeiten haben.
Sie sind Sozieternas.