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DNS II, Kapitel 3, Teil 1

Veröffentlicht von am in Buch Kapiteln

 

Femina muss sich abfinden, dass sie dieses Haus noch immer nicht verlassen kann. Freilich gibt sie die Hoffnung nicht auf. Um aber ihre Zeit nicht mit Frustration zu verschwenden, beschliesst sie, diese mit Dingen zu fuellen, die sie interessieren. Ihr Wissensdurst ist ungestillt und somit schreibt sie sich in eines der hoechsten Lehrzentren ein, die wissenschaftlich orientiert sind, aber kritisches Denken erlauben und tatsaechlich auch foerdern. Die Vortragenden kuemmern sich wenig darum, welches Privatleben die Studierenden fuehren, solange sie die jeweiligen Ideale der gewaehlten Ausbildung verfolgen und durch rigorose Pruefungen bestaetigen. Das erleichtert Femina ungemein, kann sie doch ihren Geist fliegen lassen, ohne ihn in ein bestimmtes Format pressen zu muessen. 

Zum Leben hat sie nicht viel. Pia unterstuetzt sie so gut sie kann. Dimitri haelt sein Wort, er hat genug von ihr und will nichts mit ihr zu tun haben. Sie laesst es dabei bewenden, auch nachdem sie ihre amtliche Selbstaendigkeit zuerkannt bekommt. Die Zeit der Gehirnwaesche ist damit amtlich bestaetigt aber, offiziell, beendet worden. Sie kann nun unabhaengig von ihren beiden Freunden leben.

Femina bezieht eine kleine Wohnung nahe der Lehrstaette und nimmt gelegentlich Arbeit an, um ihren Unterhalt aufzubessern. Aus Studiengruenden erhaelt sie auch die Bewilligung fuer auswaertige Reisen.  Das hebt ihre Stimmung natuerlich ungemein. Endlich! Mit neugewonnener Freiheit laesst es ihren Kaefig ertraeglicher erscheinen. Man gibt ihr sogar eine Legitimationskarte und ein Stempelbuch fuer etwaige Auslandsbesuche, das sich auch sehr schnell mit vielen fremden Stempeln fuellt. Sie hat derzeit tatsaechlich keinen Grund sich ueber ihr Leben zu beklagen,  denn trotz wenigen Geldes, hat sie eine hoechst interessante und schoene Zeit, und auch Erfolg, was ihre Studien betrifft. 

Nach einer Weile des Schweigens, groesstenteils natuerlich durch Pia’s vermittelnder Aktionen, sind auch die Beziehungen mit Dimitri wieder hergestellt worden. Das Verhaeltnis ist nicht gerade herzlich, aber sie haben sich soweit versoehnt, dass sie zumindest miteinander reden und jedem Streit aus dem Weg gehen. Sie geben sich damit zufrieden, dass man verschiedener Meinung sein kann, ohne dem  anderen seine eigene aufzwingen zu wollen. Dass sie von ihm keine Hilfe erhielt, war natuerlich von Vorteil, hat er doch damit jegliche Kontrolle ueber sie verloren. Sie ist ihm aber dankbar, dass er sie ueberhaupt gehen hat lassen, ohne die Behoerden auf sie zu hetzen, wozu er damals nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen waere. Er ist nach wie vor ein Mann der Kontrolle, aber sein Herz ist gut und das ist wohl die Hauptsache. Inzwischen weiss sie, vieles geht auf Pia’s Kosten, doch diesbezueglich kann sie mit Pia nicht reden. Auch wenn  diese offensichtlich darunter leidet, sie wird nichts aendern. Ihr Herz ist so voll mit Liebe, dass es nur Selbstlosigkeit kennt. Femina hat daher den Entschluss gefasst, sich bloss nicht einzumischen. Sie hat ihnen und sich selbst schon genug Probleme gemacht. Pia hat natuerlich einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen, aber auch Dimitri hat seinen Platz, wenn auch nicht so bedeutend. 

Femina hat viele neue Leute kennengelernt. Sie hat jedoch nach wie vor keine echten Freunde, denen sie bedingungslos vertrauen wuerde, und sie lebt gerne alleine, trotzdem Wohngemeinschaften billiger kaemen. Ihre Selbstaendigkeit und Unabhaengigkeit sind ihr heilig. Doch dann trifft sie einen jungen Mann, der ihre Meinung aendert. Was fuer ein himmlischer Typ! Gross, von sportlicher Figur, mit einer blonden Loewenmaehne, blauaeugig, und obendrein intelligent, und von einer selbstsicheren Arroganz, die seinesgleichen erblassen laesst und das andere Geschlecht wie ein Magnet anzieht, sie miteingeschlossen. 

Sie lieben sich heiss, und weil er berufstaetig ist, beschliessen sie, eine gemeinsame Wohnung zu nehmen, um bloss keine Zeit zu versaeumen, die man um sovieles besser miteinander verbringen koennte. 

Das Zusammenleben aendert die Beziehung zu Himmel und Hoelle, und endet schliesslich im Desaster. Er leidet naemlich an Eifersucht. Obwohl er fuer sich selbst die Freiheit beansprucht, mit anderen Frauen zu flirten, sie darf ihren maennlichen Bewunderern kein Laecheln schenken, ohne dass er aggressiv darauf reagiert. Er legt durchaus Wert darauf, dass sie so attraktiv wie moeglich ist. Er geht mit ihr sogar in die Modehaeuser, um die elegantesten Kleider fuer sie zu erstehen und alles was dazugehoert. Er traegt selber auch nur das Beste und selbst seine Jeans sind Designer Ware. Sie sind tatsaechlich ein attraktives Paar und gesellschaftlich sehr bewundert. Es gibt auch keine Langeweile zwischen ihnen, egal ob sie alleine sind, oder sich mit seinen Freunden, oder ihren Bekannten treffen. Sie haben beide einen weiten Gesellschaftskreis mit so vielen verschiedenen Arten von Menschen, dass es diesbezueglich keine Bevorzugung gibt, in welchem Kreis man sich bewegen moechte. Doch sie hat bald genug davon, seine Trophaee zu sein, die sein anderweitiges Flirten dulden, aber seinen Zorn ertragen soll, wenn er glaubt, sie tut desgleichen, ob das der Fall ist oder auch nicht. Sie ist ziemlich sicher, dass er  keine Affairen hat, obwohl sie es nicht ausschliesst, doch das ist nicht der Grund, warum sie die Beziehung beendet. Sie kann seine Doppelmoral nicht ertragen. Ausserdem ist sie nicht mehr davon ueberzeugt, dass er sie liebt, und, wichtiger noch,  ihre Gefuehle haben sich geaendert. Er hat seine Anziehungskraft auf sie verloren. Sie schaetzt seine Person durchaus, aber fuer Liebe reicht es nicht aus. Liebe ohne Konditionen kann sie fuer ihn nur empfinden, wenn er nicht ihr Lebenspartner ist.

Das Ende ist dramatisch. Es bestaetigt ihre Vorahnungen, dass er unter Umstaenden ‚durchdrehen‘ koennte, allerdings nicht ganz in diesem Ausmass, wie sich zeigt. Sie ist mit Absicht und auf Grund ihrer Befuerchtungen nicht alleine mit ihm, als sie ihm schliesslich ihren Entschluss mitteilt, die Beziehung beenden zu wollen. Einer seiner Freunde ist zu Besuch, und der kommt ihr zu Hilfe, als die Situation tatsaechlich eine hoechst unerwartete und gefaehrliche Wende nimmt. Ihr Geliebter, nachdem er ihr anfangs keinen Glauben schenkt, aber schliesslich ihre Entschlossenheit wahrnimmt, steht naemlich auf, geht in die Kueche und kehrt mit einem der grossen Fleischmesser zurueck. Er ist weder erregt, noch sieht er sie an, aber in seinen Augen liegt eine Leere, ja ein Abgrund, so tief und schwarz, kein Licht koennte diesen durchdringen. Sein Gesicht ist blass und regungslos. Kein Wort entkommt seinen Lippen. Es ist, als haette ihn alles Leben verlassen. Sie schaudert, waehrend sein Schweigen nach ihrem Herz greift und es so maechtig zusammendrueckt, dass sie von ihrem Sessel hochschnellt, als haette sie einen elektrischen Schlag erhalten. Er hingegen setzt sich nieder, legt das Messer vor sich auf den Tisch und starrt es an, als ueberlegte er kalten Blutes, wie er es am besten verwenden koennte. Femina stuermt zur Tuer und ruft hoechst aufgeregt nach seinem Freund. Dieser kommt auch sofort aus seinem Zimmer und stuerzt, hoechst alarmiert, an die Seite seines Freundes. Er bemaechtigt sich  sofort des Messers und uebergibt es Femina, um es ausser Reichweite zu bringen. Dann setzt er sich zu seinem Freund und auf ihn einredend, versucht er ihn in ein Gespraech zu verwickeln, um ihn ins Leben zurueck zu bringen. 

Femina laesst sie alleine. Sie packt ein paar Sachen zusammen. Fuer‘s erste wird sie sich ein Hotelzimmer nehmen. Unfaehig, zu denken oder gar zu fuehlen, sie agiert automatisch, als habe ihr Gehirn auf Selbststeuerung umgeschalten. Nicht nur ihr Ex hat einen Schock erlitten! Trotzdem, bevor sie geht, versichert sie sich noch, dass man keine Hilfe von ihr braucht. Es scheint, die Situation ist einigermassen unter Kontrolle. Sie hoert sein Schluchzen, sieht aber nicht sein Gesicht, da er mit dem Ruecken zur Tuere sitzt. Sein Freund hat einen Arm um seine Schultern gelegt und gibt ihr mit einem Blick zu verstehen, dass ihre Anwesenheit nicht erforderlich ist. Sie teilt den beiden ihr Vorhaben mit und verabschiedet sich, bis auf weiteres, - und fuer immer.  

Mit Maennern, scheint’s, hat sie kein Glueck. Vielversprechend am Anfang, aber nichts fuer laengere Zeit. Glueck? Gibt es das ueberhaupt? Hier wahrscheinlich nicht. Gluecklich war sie ganz sicher irgendwann, aber das ist lange her und war auch ganz woanders. Vielleicht liegt ein Fluch auf ihr? Nicht doch! Ganz sicher ist es dieses Haus. Alles was damit zusammenhaengt ist in seinem unsichtbaren Netz gefangen und damit an seine Existenz gebunden.

Sie beschliesst, auf Reisen zu gehen. Diesmal fuer laengere Zeit, denn sie hat keine Verpflichtungen, die sie einhalten muesste. Ihre Studien sind praktisch abgeschlossen und die Arbeiten, die ausstehen, sind nicht an ihre Anwesenheit gebunden. Obendrein, sie hat nicht einmal eine eigene Bleibe.

 

Im Flur brennen immer die Lichter, ob es Tag ist oder Nacht. Im Tageslicht sind sie nicht mehr wie gelb leuchtende Punkte. Sie sitzt im Gang und kann sich, wie immer, nur wundern. Da glaubt sie diesen zu kennen, doch gibt es immer wieder Unerwartetes. Er ist zwar staendig zugig und der Steinboden kalt, aber im Tageslicht, so wie jetzt, ist er durchaus freundlich und sogar ganz huebsch. All die verschiedenen Tueren und wie es scheint, all die verschiedenen Welten darin!  Allerdings, Femina findet, nichts ist sicher. Selbst die Tueren sind nicht immer gleich, oder gar ihre Anzahl. Mit Ausnahme der Stahltuere, die ist immer diesselbe und nach wie vor verschlossen. Auch die Milchglasfenster sind nie anders, unmoeglich nach draussen zu sehen. Und unveraendert ist ihr Wunsch, das Haus verlassen zu wollen. Daran aendert auch die Tatsache nichts, dass sie dieses Haus nicht einmal ausgeforscht hat. Auch nicht, dass das Draussen vielleicht garnicht so erstrebenswert sein mag, wie sie hofft. Die Suche nach ihrem Gedaechtnis treibt sie an, das sie, so glaubt sie wenigstens, hier drinnen nicht finden kann. Denn egal, wo sie auch hingeht, sie landet da, wo sie ist, - im Flur mit seinem kalten Steinboden.  

Warum ist ihr Schaedel bloss so dickschaedlig? Warum spuckt er nicht aus, was hinter seinen Knochen verborgen liegt, wo sie doch so notwendig alle ihre Erinnerungen braucht, alle Informationen, ohne die sie sich so verloren fuehlt. Aber den Schaedel stoeren ihre Vorwuerfe nicht. ‚Stur wie der Hornochse‘ ist er. Er laesst drinnen zwar ihre Gedanken fliegen, aber das, was sie will, taucht darunter nicht auf. Bei Hornochse fallen ihr wieder die Maenner ein. Die Assoziation ist nicht unberechtigt, aber sie vergleicht sie lieber mit einer Schachtel voll mit Pralinen. Verlockend, verheissend, doch weiss man nicht, womit sie gefuellt sind, und wie sie schmecken werden. 

Sie umfasst ihre angewinkelten Knie, Kopf obendrauf. Wenn sie aus diesem Bau schon nicht raus kommt, kann sie wohl nur eines tun, - sich mit ihm befassen,  intensiver vielleicht, als sie es bisher tat. Im Moment jedoch ist ihr nicht nach Aktion zumute. Sie ist muede, zu muede um aufzustehen und eine dieser Tueren zu oeffnen. Bis jetzt haben sich diese eher angeboten, als dass sie selber die Initiative ergriff. Sie hat keine Ahnung, mit welcher Tuer sie am besten beginnen soll. Wer weiss, was sie damit anrichtet! Manche Tueren bleiben vielleicht besser geschlossen, oder? Ach was! Der dumme Kopf hat nichts davon, sich mit dummen Aengsten zu plagen. Nach wie vor gilt, sie hat nichts zu verlieren. Ihr Leben ist ohnehin nicht viel wert. Ist sie doch bloss gefangen, und nach wie vor ohne Erinnerung.

Sie schliesst die Augen. Sie ist so muede. Was soll die Eile! Die Tueren laufen ihr nicht davon. Sie fuehrt ihre Gedanken entland der Bildergalerie von ihren Reisen. Sie sieht Berge, in denen sie gewandert ist, sie sieht das tuerkisblaue Meer. Sie sieht Almenwiesen und Schneegestoeber, Staubfontaenen und Tropenpracht. Und sie sieht in lachende Augen und froehliche Gesichter, egal welcher Farbe sie sind. Und so gleitet sie sanft vom Wachen in den Schlaf. Warum von Haesslichem traeumen, es genuegt, dass es existiert. Sie hat nicht einmal Grund, ungluecklich zu sein,oder? Das redet sie sich nur ein! Die Traeume sagen ihr, was wahr ist. Die Wirklichkeit verraet sich am Schein. Doch der Schlaf verhindert sorgsam alles, was sie in seiner Welt stoeren koennte. Er haelt sie liebevoll in seinem Arm. Dort ist es warm, und still, und die Zeit verliert sich darin.

 

 

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Kommentare

  • Ingrid Hashish-Hematyar
    Ingrid Hashish-Hematyar Montag, 06 Oktober 2014

    Jedesmal, wenn ich die Geschichten lese, bin ich total darin gefangen! Bravo!!!!

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Gast Sonntag, 22 Dezember 2024
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