• Home
    Home Hier findest Du alle Beiträge der Seite.
  • Kategorien
    Kategorien Zeigt alle Kategorien.
  • Tags
    Tags Zeigt eine Liste von Tags die im Beitrag verwendet wurden.
  • Autoren
    Autoren Suche nach Mitgliedern.
  • Team-Blogs
    Team-Blogs Suche nach Teams.
  • Archiv
    Archiv Liste von früher erstellten Beiträgen.
  • Login

DNS II, Kapitel 6, Teil 7

Veröffentlicht von am in Buch Kapiteln

 

Der Mond muss sich des Himmels bemaechtigt haben, doch Femina sieht weder viel Himmel noch den Mond. Die kleine Strasse, verborgen unter blaettrigen Daechern, windet sich steil bergab. Diesmal hat man ihnen keine Kopfsaecke aufgezwungen, ja nicht einmal Augenbinden. Freilich, man kann ohnehin nur sehen, was die Lichtkegel ihrer Maschinen anleuchten, -  kurze Strassenstuecke vor ihnen, Gebuesch und Baumstaemme zu den Seiten. Man liess sie jedoch nicht auf ihren eigenen Motorraedern reisen. ‚Der Einfachheit halber‘, hatte Oliver erklaert. Man wollte sich von ihnen nicht aufhalten lassen, ortsfremd wie sie sind! Das klingt zwar einleuchtend, ist aber fragwuerdig. Allerdings glaubt Femina ohnehin nicht, dass das derzeit freundlichere Verhalten der Desperados ihnen gegenueber, irgendetwas etwas mit Vertrauen zu tun hat. Ist Dan denn wirklich so naiv? Man sieht in ihnen bloss kein besonderes Risiko mehr! Warum auch! Sie sind in ihrer Gewalt, sie sind in ihrem Territorium, sie sind unter staendiger Bewachung. Femina ist mehr alarmiert, als sonst irgendwas. Und jetzt dieser naechtliche Ausflug, mit wesentlich mehr Maennern, als sie laut Dan’s Ankuendigung erwartet haette! Zwar mit mehr Motorraedern, als Maennern, doch ihrer mehr als genug, um die Exkursion nicht bloss als spontanen Ausflug mit ein paar Freunden zu sehen. Ausserdem! Wie heisst es so schoen: ‚Mitgehangen, mitgefangen‘! Sie findet genug Gruende fuer Misstrauen, auf beiden Seiten, um gerecht zu sein.

Daecher tauchen auf, gefolgt von mehr und mehr Haeusern. Die Ortschaft ist teilweise in die steilen Berghaenge gebaut, aber vor der Bergkette gibt es genug Land, so dass der Ort Platz zum Ausbreiten hat. Er ist mehr ein Staedtchen wie Dorf. Westlich davon scheint die Gegend besonders hell, heller jedenfalls als der Rest. Sie halten nicht an, wie Femina es sich erwartet, sondern fahren durch den Ort. Auch gut! Der gleicht sowieso mehr einer Geisterstadt, so menschenleer ist er, und das, trotz der noch recht jungen Nacht. Aber vielleicht liegt das am Gedroehn ihrer Maschinen, das ihnen vorauseilt wie das Graulen hungriger Tiere, die sich fuer ihre naechtliche Jagd zusammentun. Es grollt laut durch die leeren Strassen und echot dumpf in den stillen Gassen, so dass sich wahrscheinlich selbst der mutigste Nachtbummler lieber aus dem Staube macht. 

Eine lange Allee bringt sie an die Ufer eines See’s. Natuerlich! Wasser war es, nicht Land, das zuvor heller schien als der Rest! Femina wuenschte, sie reisten bei Tageslicht, denn sicher ist diese Gegend bilderbuch schoen! Sie lassen die Haeuser hinter sich, der Uferstrasse folgend. Fuer einige Kilometer gibt es nur Streifen von Busch und Gras an den Strassenraendern, denn Felswaende und See erlauben kaum Platz fuer mehr. Selten nur finden sich in kleinen Buchten schmale Straende oder gar Land. Aber auch das ist moeglich, wie sich zeigt, denn nach einer anderen Biegung in einer etwas groesseren Bucht, kommt ein hohes, vielstoeckiges Gebaeude in Sicht. Es ist ihr Ziel, und wie sich herausstellt, ist es ein Hotel, das zwischen Strasse und Strand unverdrossen dasteht, wie ein uebrig gebliebener steiler Zahn in einem sonst zahnlosen Gebiss. Einsam ragt es in die Hoehe und sieht groesser aus, als es wahrscheinlich ist. Entlang der Zufahrt finden sich mehrere Parkplaetze, alle sind voll besetzt. Nicht, dass das die Truppe bekuemmert. Mit gedrosselten Motoren fahren sie die Auffahrt hoch, bis zum breiten Eingang, erhellt vom Licht seitlich der Stufen und Neonlicht ueber dem Tor, sowie dem Licht, das durch die Glastuere aus der Hotelhalle faellt. Das Halteverbot bleibt natuerlich unbeachtet. Sie parken geradewegs vor dem Tor und in der Auffahrt, ohne Scheu oder Bedenken, dass sie dabei die ganze Rampe blockieren.

Waehrend sie sich ihrer Helme entledigen, entledigt sich Femina auch ihrer Lederjacke. Es ist naemlich wesentlich waermer hier, als oben in den Bergen. Hin und wieder hoert sie Musik, wenn  auch nur fluechtig. Die kommt jedoch nicht aus dem Gebauede, sondern faellt aus dem Nachthimmel ueber ihr. Sie schaut hoch. Nichts ist zu sehen, ausser einer langweilig glatten, weissen Fassade mit blanken Fensterreihen, sogar ohne Balkone, die das Ganze ein wenig auflockern wuerden. Vielleicht befinden sich diese auf der anderen Seite, mit dem Blick auf das Wasser, anstatt auf Parkplaetze, Strasse und kahle Felswaende. 

Volle Parkplaetze sind generell ein gutes Zeichen, ein Massstab, fuer die Beliebtheit einer Gaststaette, und diese scheint ein besonderer Magnet zu sein, sowohl fuer lokale Nachtfalter als auswaertige Nachtbummler, denn soviele Hausgaeste kann es garnicht geben, wie da Autos sind. Jene, die also die Nacht nicht verschlafen wollen, duerften hier, weit genug entfernt vom friedhofstillen Ort, ihr Vergnuegen finden. Oder vielleicht ist es auch nur das einzig offene Lokal in der ganzen Gegend, denn attraktiv sieht es wirklich nicht aus. Nicht einmal die Eingangshalle ist etwas besonderes; Steinboden, je zwei Lifte, links und rechts neben dem Eingang, eine kleine Rezeption zur einen Seite, mit ein paar Samthockern und Sitzwuerfeln daneben und in kleinen Gruppen verstreut entlang der Wand, mit Zugang zu einem Restaurant, gegenueber der Rezeption. Metallvertaefelung, matt und glaenzend, bringt etwas minimalistische Eleganz in die sonst schmucklose Halle. Grosse Glastueren im Hintergrund fuehren offensichtlich hinaus zum See, sind aber geschlossen, sowie alles andere auch. Nirgendwo brennen mehr als die ueblichen Nachtlichter. Dafuer ist der vordere Teil, der Eingangsbereich der Halle, mehr wie genug beleuchtet, viel zu hell fuer Femina’s Geschmack, mit Deckenlampen wie Mini-Scheinwerfer, grad so, als wollte man seine Besucher unter die Lupe nehmen, oder schnellstens loswerden. Sie sieht zwar keine Kameras, aber das heisst nicht, dass sie nicht trotdem vorhanden sind. Schilder an den Aufzuegen weisen darauf hin, dass eine Seite nur fuer ‚Hausgaeste‘ bestimmt ist, die andere fuer ‚Hotelbesucher‘. Femina bleibt wenig Zeit, sich weiters Gedanken zu machen. Die Aufzuege sind da und transportieren sie lautlos und super schnell hinauf zum zwanzigsten Stock, der letzten Etage. Die Tueren oeffnen sich zu einem grosszuegig breiten, sanft gerundeten Foyer, mit gewoelbter Decke und einer leicht konkav geschwungenen Wand den Liften gegenueber. Es verhindert den direkten Zugang, sowie den Einblick in das Lokal dahinter, was nur durch die beiden offenen Seiten moeglich ist, wenn man der Gangrundung folgt. Femina findet das nicht nur eine geschickte Loesung fuer einen reibungslosen Gaesteverkehr, sondern auch einen guten Trick, die ankommenden Gaeste in sowas wie neugierige Erwartung zu versetzen. Man kann naemlich dem Drang nicht widerstehen, dem Stimmengewirr und, wie in diesem Falle‚ der ‚live music‘, zu folgen. Es zieht die Besucher foermlich aus einem imaginaeren Vakuum hinein in das pulsierende Zentrum. Nichts jedoch bereitet Femina darauf vor, was sie schliesslich zu sehen bekommt, naemlich ein Nachtlokal, dermassen extravagant, dass ihr ein lautes „Wow“ entfaehrt und sie an seiner Schwelle wie angewurzelt stehenbleibt. 

Halb bedeckt, unter einem sanft gewoelbtem glaesernen Dach ueber der Mitte, halb unter freiem Himmel rundum, einschliesslich des grossen Tanzbodens, der sich wie eine Zugbruecke an dicken Ketten, ueber einen tiefen Abgrund streckt, vielleicht sogar ueber das Wasser, und obendrein, so scheint’s, ohne seitliche Absicherung, Femina weiss nicht, wohin oder worauf sie zuerst schauen soll. Das Lokal selber gleicht naemlich mehr einer Landschaft, als einem Lokal. Boeden wie Ausstattung sind exquisit, sie koennten aus Marmor und anderem kristallisierten Gestein sein; matt und rauh, oder glatt und fein geschliffen, steinfarben und mit natuerlichen Farbadern darin. Sie muss es wohl angreifen, um herauszufinden, ob oder was es wirklich ist. Wie dem auch sei, der Effekt ist phantastisch. Zudem gibt es ausser dem Tanzboden keine einheitlich ebene Flaeche, sondern nur Plateaus, angelegt wie Reisterrassen und Inseln, auf denen sich, vorwiedend im Mittelteil des Lokals unter dem Schutz des glaesernen Daches, die verschiedensten Sitzarrangements befinden, jedoch ohne konventionelle Tische oder Stuehle oder Polstermobilar. Hier waechst alles aus dem Boden, wie das bizarre Gestein in Hoehlen, Stalagmiten, gross und klein, solide und filigran, sogar wie sonderbare Pflanzen; bloss in diesem Fall sind es polierte Steinwuerfel, Baenke und Saeulen, zum Teil mit Teppichen belegt und allerlei Poelstern und Kissen, sodass man es sich sitzend oder auch halbliegend bequem machen kann, - sollte man dies dem Tanzen vorziehen. Die Band hat ihre eigene Insel und die Bar folgt voller Laenge der geschwungenen Wand, jener konkaven Wand gegenueber den Aufzuegen. Sie steht auf ihrer eigenen Platform, mit hohen runden Bartischen und Hockern entlang dem auesseren Stufenrand und Hockern entlang der Bar. Sie glaenzt in Metall und Glas und hohen Spiegeln, hochpoliert, dann wieder matt und gediegen wie Stahl. Von der Bar aus hat man das gesamte Lokal vor sich, die Band zur einen Seite, das grosse Tanzpodium gegenueber, und im Mittelteil jene bizarre Landschaft, etwas tiefer als der Rest, wie eine Zaubergrotte, vollgefuellt mit den Gluehwuermchen, Nachtfaltern und exotischem Nachtgetier, den Gaesten. Auf einigen Saeulentorsos neben der Band agieren spaerlich bekleidete Taenzer beiden Geschlechtes. Sie sind nicht nur eine Augenweide, sondern professionelle Tanzakte. Aber all das gewinnt erst recht an Zauber durch die technisch grossartige und vielseitige Beleuchtung. Da gibt es kristall klare und milchglasige Haengelampen wie dicke und duenne Stalagtiten von unterschiedlicher Laenge ueber der Bar, mild leuchtende, strategisch plazierte Lichtsaeulen, dicke und duenne, gross und klein, sowie Bodenlichter, die die Wege markieren, ohne die man sich sonst, wie in einer Hoehle, nicht zurechtfinden wuerde. Einzelne Scheinwerfer sorgen fuer gezieltes Licht, andere wandern durch das Lokal oder tauchen unerwartet auf, um diesen oder jenen Gaesten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Selbst das glaeserne Dach wechselt langsam, wie Ebbe und Flut, seine phosphorisierenden Farben, rosa, lila, blau, gruen und wieder glasklar, wobei dann unerwartete Meteorenschauer darueber hinweglaufen. All das hat einen fast magischen Effekt, und waeren da nicht ihre Begleiter, die sie fortdraengen, willkommenerweise in Richtung Bar, Femina wuerde voellig auf‘s Weitergehen vergessen.

Die, vielleicht zwanzig, Maenner ihrer Gruppe, offensichtlich nicht alle sind hoch gekommen, verhalten sich durchaus ‚zivil‘, passen jedoch in das Lokal grad so gut, wie wilde Hunde in einen Rosengarten, und das nicht nur, weil sie Jeans, Lederjacken und Motorradstiefel tragen, oder taettowiert sind. Das Publikum tut zwar so, als seien sie bloss andere Gaeste, aber man macht ihnen Platz, haelt sich fern, wie auch immer, - um sie bildet sich eine menschenfreie Zone, - Niemandsland. Dabei, findet Femina, sind sie nicht einmal unattraktiv mit ihren vor Staerke strotzenden Koerpern, ihren meist langen Haaren, den Ponytails, mit ein paar kurz und kahl Geschorenen dazwischen, bebaertet oder auch nicht. Sie verstroemen jedoch haufenweis Testosteron, so dass es unmoeglich ist, dessen Effekt nicht zu spueren, ausser, man hat den Verstand verloren oder ist lebensmuede. Und doch! Man beaeugt sie sehr wohl, nur eben nicht offensichtlich, wobei die Maedchen sich weniger scheuen. Und man beaeugt sie, Femina, ganz besonders. Sie ist schliesslich die einzige Frau in der Maennerhorde, ohne Halsband und ohne passende Kleidung fuer ein Nachtlokal dieser Art. Sie glaubt wenigstens, dass das der Grund fuer die Neugierde an ihr ist, vorallem, weil das weibliche Geschlecht sich ganz besonders fein gemacht hat. Sie glaenzen in allen Farben, sind ‚tres chic‘ und ‚vogue‘, auch was das Make-up betrifft. Abgesehen davon ist das Publikum eher jung, mehr Maedchen als Maenner und nur wenige Frauen tragen ein Halsband. Ausserdem ist das Publikum generell anders, wie die Menschen, denen sie auf dem letzten Teil ihrer Reise begegnet war und mit denen weder sie, noch ihre beiden Freunde, Kontakt haben wollten. Femina sah in ihnen eine primitive Spezie, ungebildet und brutal, ja einer anderen Zeitepoche angehoerend, und obwohl von derselben Gattung, nicht von derselben Art. Sie verstuende sich mit Tieren besser, als mit diesen Zweibeinern. Wie auch immer sie es drehte oder wendete, und wie angetan sie auch vom Land war, das Volk gehoerte nicht dazu. Nun! Vielleicht ist es hier, auf der anderen Seite der Berge, wieder anders. Vielleicht haben sie die Barbaren hinter sich gelassen, vielleicht gibt es hier ......

„He, Femina, was willst du trinken?” Dan’s Stimme und sein Ellbogen draengen sich in ihre Ueberlegungen. Sie antwortet nicht sogleich, haengt weiter ihren Gedanken nach, denn,.... nein,..... sie hat nichts hinter sich gelassen, wie sie sieht. Sie selber ist Mitglied einer brutalen Gesellschaft, ja nicht nur das, sie ist sogar mit der ‚Elite‘ assoziiert, der Aristokratie von brutal, kriminell und terrorisierend. ‚Ach was‘, fahren die Gedanken fort. ‚Welchen Grund hat sie, sich zu beklagen?‘ Bis jetzt gab es wirklich keinen Anlass dafuer. Ja sie hat bis jetzt nicht einmal eine Rechtfertigung, die Desperados so einseitig und immer nur negativ zu beurteilen, oder gar zu verurteilen. Dass sie mit Waffen herumfuchteln, sich eine Burg gebaut haben, sich ihre eigenen Gesetze machen? Wer kann ihnen das schon veruebeln, wenn ohnehin das ganze Volk so brutal ist und mit Gewehren rumrennt, wie sie selber gesehen hat! Alle lebten nach dem Prinzip, dass nur der Starke ein Recht auf Leben hat! Natuerlich entspricht das nicht der Wahrheit, aber ....., wuerde das jemand ueberhaupt in Betracht ziehen oder gar hoeren wollen? Ganz gewiss nicht! Und hier? Die barbarischen Sitten haben vielleicht einer mehr polierten Etikette Platz gemacht, doch das ist nur eine andere Dekoration. Wuerde sie unter diesem Publikum jemanden finden, der nicht im selben Milieu dahinkriecht, bloss unter dem Schein des Neonlichts, dessen viele leuchtenden Farben alle verfuehren und verblenden? Sicher nicht! Eine brutale Gesellschaft kultiviert Gewalt und verehrt Staerke, egal wie sich das Volk presentiert, ob in Tierhaeuten oder goldenem Flies, sie sind ein und dasselbe. Wie sonst koennten sich Desperados und dergleichen als Machthaber aufspielen!

„Margarita“, sagt sie schliesslich, „falls sie sowas haben.“

„Sie haben alles,“ antwortet er, „erst recht fuer uns.“ Und er lacht vielsagend und durchaus befriedigt.

Die Band ist ausgezeichnet. Unter den Desperados gibt’s ein kommen und gehen, doch niemand macht Anstalten, sich unter die Tanzenden zu mischen. Sie bemerkt erst nach einer Weile, dass sie allein an ihrem Bartisch steht. Nach wie vor begnuegt sie sich mit dem Schauen, wird aber immer mehr vom vibrierenden Rythmus, in Luft und Boden, angesteckt. Mit ihrem Glas in der Hand und im Takt der Musik, wandert sie zu Dan, der mit ein paar anderen am Tresen steht. Er sieht sie neugierig an und fragt sie, ob es ihr hier gefalle, aber das ist auch schon alles, das er fuer sie uebrig hat. Ohne weitere Aufmerksamkeit wendet er sich gleich wieder seinen Gespraechspartnern zu, als waere er in einer hoechst interessanten Diskussion. Na ja, wenn man an Motorraedern, Autos und allem was damit zusammenhaengt, interessiert ist, mag das schon der Fall sein, doch Femina findet es nach einer Weile langweilig. Sie wuerde lieber was ueber die Raketen hoeren und den technischen Einrichtungen, die die Bande hat, doch das scheint kein Thema zu sein; vielleicht ist das tabu. Obendrein ignoriert man sie. Selbst als sie sich einmal einmischt, gibt ihr keiner eine Antwort. Die Antworten richten sich an Dan und alle reden ueber sie hinweg, als waere sie ueberhaupt nicht vorhanden. Auch gut! Sie wendet sich ab und wandert zur Tanzbuehne. Dort ist die Aktion ganz und gar nach ihrem Geschmack. Selbst wenn keiner von ihren Begleitern zum Tanzen aufgelegt ist und auch niemand sonst sie zum Tanz auffordern traut, sie wird sich deshalb nicht zurueckhalten lassen, sondern tun, was ihr gefaellt. 

Der Tanzboden schwebt tatsaechlich hoch ueber dem Grund. Anstatt einer Ballustrade sorgen schwarze, straff gespannte Drahtseile fuer die seitliche Absicherung. Die Haengeketten sind riesig, und doch, sie koennen nicht die einzige Halterung fuer diese Rampe sein, dafuer ist sie zu gross. Die Illusion erstreckt sich auch auf den Tanzboden selber, der sieht naemlich aus, als sei er aus Stein oder Beton. Er ist aber aus Holz, bloss grau bestrichen und versiegelt, mit mattem Schimmereffekt. Nach wie vor wundert sie sich ueber die Desperados. Da ist vieles, das sie bewundert und da ist sogar Platz fuer Kreativitaet. Sie stellt sich seitlich an den Aufgang und begnuegt sich vorerst mit dem Zuschauen, waehrend sie langsam aber sicher ihr Glas leert. Leider stellt sie fest, dass man sich auch von ihr fernhaelt, ja auch um sie einen Bogen macht. Sie kann nur hoffen, dass sich das auf der Tanzflaeche nicht wiederholt, denn das wuerde sie zum Mittelpunkt machen, waehrend sie sich eigentlich nur einblenden will. 

‚Ach was! Zum Teufel mit allen!‘ Sie leert ihr Glas. Mit der Musik in den Beinen und dem Alkohol im Kopf, will sie sich nicht laenger mit Zuschauen begnuegen.

„He Femina, komm, lass uns tanzen!“ 

Sie faehrt herum und starrt in Wilson’s Gesicht. Sein Mund verzieht sich zu einem breitem Lachen. Offensichtlich amuesiert ihn ihr Erstaunen. Dan ist nicht zu sehen, auch keiner der anderen. Er ist der einzige, der sich zu ihr gesellt und sie nun zum Tanzen auffordert. Wilson? Ausgerechnet Wilson? Na das kann ja noch heiter werden! Aber sie lacht zurueck. Sie will tanzen, und nun hat sie sogar einen Partner, wenn auch einen voellig unerwarteten. Er kommt jedoch wie gerufen, worauf also wartet sie noch! Ausserdem gefaellt ihr, dass sich das glanzlose Schwarz in seinen Augen davon gemacht hat. Stattdessen glitzern sie wie das Licht des Mondes, das sich im Vorhang glaeserner Eiszapfen bricht. Er ist tatsaechlich gross, ein Baer auf zwei Beinen, etwas ausgehungert zwar, aber nichts desto trotz imponierend. Er hat seinen Bart zu einem Zopf geflochten und sein Lachen entbloesst makellose Reihen perlweisser Zaehne. Sein langes Haar sitzt auf dem Kopf, zu einem Knoten gedreht, und um seinen Hals schlingt sich eine taetowierte Schlange, die sich von seiner rechten Hand uber den ganzen Arm hochwindet und deren Kopf unter dem Haar ueber seinem Nacken verschwindet. Sonst allerdings hat er keine Tattoes, zumindest keine sichtbaren. Femina spuert ploetzlich einen Hauch kalter Luft. Dem kann sie nur mit Tanzen entgegenwirken und so nickt sie ihm zu, um sich mit ihm unter die Tanzenden zu mischen. 

Wilson ist ein guter Taenzer und hat offensichtlich Spass daran. Sie werden dabei immer ausgelassener und hoeren erst mit dem Tanzen auf, als die Band eine Pause macht. Erhitzt und durstig streben sie zurueck zur Bar. Dan erwartet sie bereits an der Stufe, winkt sie zu sich mit einem Glas frischer Margarita in der Hand. Eiskalt und ganz nach ihrem Geschmack, sie wuerde am liebsten das ganze Glas in einem Zug leer trinken, doch sie besinnt sich nach ein paar hastigen Schlucken. Wenn sie naemlich zuviel trinkt, wird ihr stets totuebel und sie leidet dann sprichwoertlich wie ein Hund, der einen vergifteten Koeder gefressen hat. Tequila ist die Ausnahme. Er bringt sie zwar auch zum Erbrechen, nur ist es eine schmerzlose Angelegenheit. Freilich, danach gibt es kein Weiterfeiern, so oder so, bloss, Tequila sendet sie in den Schlaf, waehrend jeder andere Alkohol sie solange leiden laesst, wie er sich in ihrem Koerper befindet. Abgesehen davon, sie wuerde sich lieber von Wilson’s Schlange den Kopf abbeissen lassen, als Betrunkenheit riskieren, schon gar unter den gegebenen Umstaenden. Also stellt sie das Glas brav ab, drueckt Dan einen Kuss auf die Wange und eilt zur Bar, um sich Mineralwasser und Eis zu holen. 

Waehrend sie wartend an der Bar lehnt, gesellt sich Wilson zu ihr, was ihr sofortiges Service beschert. Er verwickelt sie in ein Gespraech, durchaus charmant und intelligent. Er verbluefft sie genauso, wie sie immer wieder von der ganzen Organisation verbluefft wird. Ausserdem und obwohl er ist ganz gewiss nicht nuechtern sein kann, zeigt er keinerlei Alkoholisierung, noch sind seine Augen geroetet, trotz des vielen Marihuana, das er, wie sie weiss, in sich hat. Er ist nicht irgendwo im „La La Land“, sondern voellig aufmerksam und gegenwaertig. Noch gibt es irgendeinen Hinweis, dass er etwa stimulierende Drogen genommen haette. Seine schwarzen Augen reflektieren zudem alles Licht, die Pupillen koennten also gross oder klein sein, man sieht sie nicht, sind sie doch grad so schwarz wie der Rest. Er strahlt eine arrogante Selbstsicherheit aus, die Femina fasziniert und anzieht, aber auch eine Kaelte, die weder sein Charm noch sein heisser Koerper zum Schmelzen bringt. Sie fragt sich, ob er, vorallem sexuell, wirklich nur an Maennern interessiert sei. Sie glaubt, er liebt niemanden und geniesst Sex, Schlusspunkt! Es macht ihn unerreichbar und unantastbar. Sie ist ueberzeugt, dass er alles, was ihm nicht passt, aus dem Weg raeumt, einschliesslich Frauen und Kindern. Er ist, schlicht und einfach, skrupellos.

Das kann man von Dan nicht sagen. Sie laechelt, denn er ist ploetzlich hinter ihr, schlingt seine Arme um ihre Mitte und drueckt sie fest an sich. Sie ist sich nicht sicher, ob er Halt an ihr sucht oder bloss seinen Besitz deklarieren will, sie spuert naemlich sein leichtes Schwanken. Vielleicht ist es beides und es ist ihr hoechst unangenehm, denn Wilson entgeht das nicht, auch wenn er sich nichts anmerken laesst. Er hebt stattdessen sein Glas halb voll mit Bier, leert es und verlangt ein neues.

Sie legt ihre Haende ueber Dan’s, mit sanftem Druck und lange genug, um seinen Griff zu lockern, waehrend sie das Gespraech mit Wilson zu Ende bringt. Abschliessend sagt sie:

„Haette nicht gedacht, dass du ein so versierter Taenzer bist. Ich hab das wirklich genossen. Vielleicht wiederholen wir das noch einmal?“ Das allerdings war mehr eine Phrase, als Wunsch um ihr zugleich einen freundlichen Abgang zu verschaffen.

„Warum nicht,“ antwortet er und wendet sich seinen Kumpanen zu.

Sie verlangt nach mehr Eis, um sich dann mit Dan zu Ger und Oliver zu gesellen. Die lehnen in  bruederlicher Eintracht an einem der hohen Bartische und schenken dem Geschehen rundum wenig Aufmerksamkeit. Oder nimmt sie das nur an? Oliver wirft ihr naemlich ein paar wenig freundliche Blicke zu. ‚Er wird doch wohl nicht eifersuechtig sein,‘ faehrt es ihr durch den Kopf. 

Die Band ist zurueck und sie fuehlt sich genug erfrischt um wieder zu tanzen. Nur, Dan ist nicht interessiert. Er ist mehr daran interessiert, sich volllaufen zu lassen. Was zum Teufel ist los mit ihm?! Sie hat keine Lust herumzustehen und ihm zuzusehen, wie er ein Bier nach dem anderen leert, waehrend er sie auf spaeter vertroestet. Er schuert nur ihren Unmut. Es dauert nicht lange, dann hat sie genug und sie macht sich wieder auf den Weg, ohne weiter auf ihn zu warten. Es kommt ihr sehr gelegen, dass inzwischen auch andere aus ihrer Gruppe zum Tanzen aufgelegt sind. Sie hat mit einem Male genug Taenzer zur Hand, die sich abloesen, so dass sie ihren Unwillen mit Dan schnell vergisst. 

Wilson ist auch wieder zum Tanzpodium gekommen. Er lehnt an einer der dicken Ecksaeulen und beobachtet sie. Sie schmunzelt amuesiert, trotzdem ihr Verstand sie eines besseren zu belehren versucht. Sie will nicht hoeren. Sie weiss ohnehin, dass Wilson ihr formidabler Gegner ist, dass er ihr gewachsen, ja sogar aehnlich ist, was ihre Anlagen betrifft, nicht, wohlgemerkt, was sie daraus machen. Sie leben zwar auf der gleichen Ebene dieser Welt, aber zwischen ihnen verlaeuft der Marianengraben, tief und schier unergruendlich. Nur! Sie verstehen sich und keiner kann dem anderen was vormachen oder gar taeuschen. Wohlgemerkt! Das ist eine Herausvorderung, fuer sie beide. Nur, fuer sie ist es auch ein Minenfeld, denn es ist sein Territorium, in das sie unwillkuerlich geraten ist. Das ist vielleicht ein kleiner Vorteil, den sie ihm gegenueber hat, denn damit weiss sie mehr ueber ihn, als er ueber sie. Eines steht fest, ihre Begegnung ist interessant, wenn nicht gar aufregend, kann aber nie ein glueckliches Ende finden. Sie schuerzt die Lippen. Sie glaubt, es wird nicht lange dauern, bis er sich wieder zu ihrem Tanzpartner macht. Sie wendet sich ab, dreht sich in die andere Richtung mit Blick hinaus ins Freie. Auch wenn der Mond noch alle Wolken aus seinem Himmel vertreibt, sie spuert den Anzug eines Gewitters. Besser sie widmet sich dem Tanz, bevor dem ein Ende gesetzt wird. 

„He Femina, hast du mir nicht einen anderen Tanz versprochen?“ Sie hoert Wilson’s Stimme hinter sich. Laechelnd dreht sie sich um. Und da ist er, anstelle ihres anderen Tanzpartners. „Richtig!“ sagt sie und tanzt mit ihm weiter, waehrend sie seinen Vorgaenger auf der anderen Seite bei der Band entdeckt, im Gespraech mit einem der Musiker. Sie sieht auch, wie er sich ein anderes Maedchen aus dem Publikum zum Tanzen holt und gleich danach kuendigt die Band eine Runde Rock’n Roll an. Die Tanzflaeche leert sich und fuellt sich sogleich wieder, diesmal sogar mit dem Grossteil der Desperados, die sich die tanzwilligen Maedchen unter den Gaesten als Partner holen, und dann dahinrocken als gaebe es kein Morgen mehr und keinen anderen Tanz in der Welt. Femina wird von der Stimmung mitgerissen und Wilson ist ein Traum. Er wirbelt sie rum und hoch und hin und her. Sie wusste garnicht, dass sie zu sowas faehig war, auch wenn sie den guten alten Rock immer gern hatte. Die Tanzbuehne vibriert und immer mehr Zuschauer finden sich ein, die vor Begeisterung johlen und pfeiffen, offensichtlich selber angefeuert und inspiriert vom Rythmus der Musik und vom Schauspiel desgleichen. Sie vermeint, unter den Zuschauern Dan, Ger und Oliver zu entdecken, doch das ist natuerlich nur fluechtig, wenn nicht gar Einbildung. Sie wird sogleich wieder herumgewirbelt und verliert jegliches Interesse am Publikum. Wilson ist der Mann mit dem sie das Vergnuegen hat, das genuegt vollkommen. Die Band kennt kein Erbarmen, sie heizt die Gemueter mehr und mehr an, entzieht jedoch den Koerpern gnadenlos die Reserven. Der Tanzboden beginnt sich zu lichten. Zuerst sind es nur vereinzelte Paare, die aufgeben, dann werden es ihrer mehr. Das Publikum klatscht Beifall fuer alle, die die Tanzflaeche verlassen, feuert aber die Verbliebenen an. Wilson ist schier unersaettlich und Femina wird bald klar, dass er nur aufgeben wird, wenn sie nicht mehr mithalten kann. Ah! Sie ist ganz und gar fuer’s gewinnen! Und ihre Reserven sind noch lange nicht aufgebraucht. Das Publikum pfeifft und groelt, wird immer lauter, je weniger Paare zurueckbleiben und jubeln und klatschen in Begeisterung, als sie schliesslich als das einzige Paar im Solo abenden. Sie lacht. Das ist ein gelungener Hoehepunkt, doch zugleich auch sein Ende, denn egal ob sie noch weitertanzen wollten oder koennten, wie lange mag man schon ein Paar tanzen sehen, das nur einen Tanz im Repertoire hat? Nach einer Weile langweilt das jeden. Eine gute Band weiss das natuerlich auch. Der Saenger sagt auch schon eine Pause an, waehrend sie die Nummer zum Ausklang bringen. Mit einem letzten Wirbelsturm und unter abschliessendem Beifall findet ihr Tanzmarathon sein wohlverdientes Ende.

Lachend und scherzend, erhitzt und immer noch auf vollen Touren machen sie sich eiligst und schnurgerade auf zur Bar. Er hat seinen Arm um ihre Schultern und dann hebt er sie hoch wie eine Feder, um sie auf einen der Barstuehle zu setzen, die man fuer sie freigemacht hat. 

„Wasser und Margarita,“ sagt sie nur und schon hat sie ein Glas mit Eis und eine Flasche Wasser vor sich, die Margarita folgt nicht lange danach. Beide stuerzen vorerst ihre Getraenke runter, sie Wasser, er Bier. Sie vermeint geradezu das Zischen zu hoeren, das entsteht, wenn Wasser und Feuer aufeinander stossen, gefolgt vom langen ‚Ah‘ waehrend des Ausatmens. Er leert gleich noch ein zweites Glas und das dritte bis zur Haelfte, bevor er sich belustigt an sie wendet:

„Na du hast Stamina“, sagt er anerkennend. „Und so ein Spass mit dir zu tanzen. Wir waren echt unschlagbar. Hast du gesehen, wie einem Paar nach dem anderen der Saft ausging? Freilich mehr die Schuld der jungen Dinger, als unserer Maenner. Sie putzen sich auf wie Christbaeume, aber ihre Koerper taugen nichts!“ Er verzieht veraechtlich seinen Mund. 

Andere versammeln sich um sie, mit Komplimenten und Ausreden unter Gelaechter, warum Wilson gewinnen konnte und nicht sie. Es verlaengert die Hochstimmung und Femina wird endlich ihr konstantes Misstrauen los, dass die Gesellschaft von Banditen nur fuer Drama sorge. Dieser Abend beweist hinlaenglich, wie sehr sie ihre eigenen Vorurteile plagen. Vergessen sind die unangenehmen Anfaenge, vergessen ist auch ihre Frustration und die pessimistische Beurteilung ihrer Situation. Worueber kann sie sich schon beklagen? Hat sie nicht einen phantastischen Abend, oben in der Burg und nun da?

Dan, Ger und Oliver mischen sich in ihren Kreis. Oliver sucht Wilson’s Naehe, Dan ihre. Beide sind offensichtlich betrunken, mehr als alle anderen. Femina spuert, wie sich eine Wolke ueber sie senkt, oder vielleicht ist es auch nur der mit Alkohol gefuellte Atem, der Dan umgibt und immer staerker auf sie eindringt, sowie sich sein Gesicht dem ihren naehert, um ihr einen Kuss aufzudruecken. Seine Arme fassen nach ihr wie Lianen und er presst sich an sie, als wolle er sie verschlingen. Er fluestert suesse Worte in ihr Ohr, die sie nur halb versteht, da es ihnen an Klarheit fehlt und sie mehr Gefasel als Sprache sind. Dann kuesst er sie auch noch entlang des Halses bis zur Schulter, wo ihr T-shirt  ihn hindert, damit fortzufahren. Ihre erogenen Zonen reagieren prompt, aber mit gemischten Gefuehlen, mehr unangenehm denn stimulierend. Verdammt! Was ist bloss geschehen? Sie kennt psychotropische Drogen, die durchaus ernste realitaetsveraendernde Wirkung haben, aber keine, die den Charakter aendern, wie das hier der Fall zu sein scheint. Das ist naemlich nicht Dan, der ‚easy rider‘, mit dem sie auf einen Trip gegangen ist. Diesen hier kennt sie nicht. Er umarmt sie nicht zaertlich, nicht leidenschaftlich, sondern besitzergreifend, Vorrang demonstrierend. Seine Kuesse sind gleich Brandeisen, die man Tieren ins Fell drueckt. In ihr steigt Abwehr hoch. Sie spuert, wie sich ihre Muskeln spannen und ihre Lungen den Atem anhalten. Sie musss sich aus seiner Umarmung loesen, sofort, bevor sie die Kontrolle verliert. Sie windet sich aus seinen Armen, waehrend sie ihm ins Ohr fluestert: „Entschuldige, aber ich muss mal.......“ und schon ist sie fort, zu den Toiletten, in die ihr keiner ohne besonderen Anlass folgen wuerde.

Die Sanitaeranlagen sind, dem Himmel sei Dank, geradezu einladend, mit einem grosszuegigen  Vorraum und getrennten Toiletten. Porzellanverfliesst und mit Spiegelwaenden, gibt es nicht nur die lange Bank mit den Waschbecken, sondern auch Sitzgelegenheiten entlang der vollen Wand gegenuber. Ein schlanker Tisch mit einem Blumenarrangement steht zwischen zwei kleinen samtgepolsterten Baenken. Topfpalmen an den Seiten und ein paar Sitzhocker rundum, sorgen fuer eine entspannte Atmossphaere, in der man sich in aller Ruhe restaurieren kann. Es herrscht zwar ein Kommen und Gehen, aber es haelt sich in Grenzen und niemand, ausser ihr, hat das Beduerfnis, laenger als noetig, zu verweilen. Sie setzt sich im Tuerkensitz auf eine der Baenke, lehnt ihren Kopf zurueck an die Wand und schliesst die Augen. 

Zugegeben! Auch sie spuert den Alkohol. Sie ist sehr wohl angeheitert, aber Dan ist voellig betrunken! Die ganze Zeit hat er sich, anstatt mit ihr zu tanzen, volllaufen lassen! Warum wohl? Konnte er oder wollte er nicht tanzen? Viele Maenner tanzen nicht. Drum ist sie ja auch mehr als ueberrascht, wie viele der Desperados ihren Spass daran haben, obwohl sie es sich von ihnen am wenigsten erwartet haette. Wer stellt sich schliesslich schon vor, einen „bikie“ am Tueteneis schlecken zu sehen? So eine verkehrte Welt! Nur was ist mit Dan, dem sonst so selbstsicheren Dan? Hat er vielleicht zwei linke Beine und braucht den Alkohol als Ausrede oder Ermutigung? Eitel genug waere er! Oder muss er sich oder den Desperados etwas beweisen? Was schon? Vielleicht ist er mehr in sie verliebt, als er es sich zugestehen will, und sie weniger in ihn, als sie glaubt? Sollten sich Liebesprobleme, oder besser, Partnerschaftsprobleme als das groesste Problem herausstellen mit dem sie sich hier auseinanderzusetzen hat? Das waere erst recht verblueffend. Sie hat sich geistig mehr auf Gewalt und Brutalitaet gefasst gemacht, nichts jedenfalls, was mit Liebe im Zusammenhang steht. Hier gibt’s doch keine Liebe, nicht jedenfalls, was sie unter Liebe versteht!  Sie haelt inne. Verdammt und zugenaeht! Das heisst nicht, dass es an Gefuehlen mangelt, erst recht nicht an Begierden und Leidenschaft. Eigentlich sind die Probleme gerade deswegen vorhanden, weil‘s hier keine Liebe gibt, weil es ueberall an Liebe mangelt! Stirnrunzelnd schuerzt sie die Lippen. ‚Verdammt, verdammt und noch einmal verdammt! – NATUERLICH! – EINE WELT OHNE LIEBE  IST  DIE HOELLE!‘ -  An der Strassensperre hat sie die Hoelle vorausgesehen und Visionen des Horrors gehabt‘. - Erneut haelt sie inne. -  Sie hat die Hoelle erwartet, nicht aber, was deren Ursache betrifft. Damit hat sie ganz und garnicht gerechnet.‘- Wie Schuppen faellt es ihr von den Augen, - sie hat sich auf die Auswirkungen, nicht auf die Ursache, konzentriert - so gesehen, braucht sie sich ueber nichts zu verwundern. 

Aber noch etwas anderes geschieht. - Halleluja! - Eine Welle unbaendiger Freude, einer Tsunami gleich, bemaechtigt sich ihres Koerpers und allem, was dazugehoert. Ihr Gehirn gibt wieder ein Stueck verlorener Erinnerung frei! ‚Dank dir, liebes Gehirn, dank dir von ganzem Herzen! Ich bin also zu Hause, wo es Liebe gibt. Ich komme also aus dem Land der Liebe. Wenn das hier die Hoelle ist, dann bin ich ein Kind des Himmels!‘

Sie lacht lautschallend auf und wird sich gleichzeitig wieder bewusst, dass sie nicht alleine im Waschraum ist. Da sind mehrere Maedchen und die starren sie an, als sei sie verrueckt. Femina lacht ihnen froehlich zu und sagt vergnuegt: „Keine Sorge! S’ist bloss der Tequila, der sich mit mir unterhaelt! Aber wie geht es euch? Habt ihr einen schoenen Abend? Ihr seht absolut fabelhaft aus. Wo habt ihr bloss diese Klamotten her, in einem kleinen und unscheinbaren Ort, wie diesen?“

Die Maedchen sehen sie mit grossen Augen an, als spraeche sie eine andere Sprache. Zwei eilen schnellstens aus dem Raum, zwei andere drehen sich wieder dem Waschbecken und Spiegel zu, um fortzusetzen, was ihre Lachsalve unterbrochen hat. Nur eines der Maedchen, ein huebsches rothaariges Ding, scheint an einem Gespraech mit ihr interessiert zu sein. Sie hat eine sanfte Stimme und einen Akzent, spricht aber durchaus die gleiche Sprache: „Ach wir kaufen unsere Kleider in der Stadt, wo die meisten von uns zu Hause sind. Wir kommen nur zum Wochenende her, an den See und fuer die heissen Naechte. Hier spielt immer eine gute Band und die lokalen Jungs sind ganz scharf auf uns. Wie du selber gesehen hast, gibt’s hier auch die tollsten Taenzer. Zudem kriegst du den besten Stoff und das nicht einmal teuer.“ Wie zum Beweis, oeffnet sie ihre kleine Tasche, entnimmt ihr eine niedliche Dose, offnet sie und leert weisses Pulver in ein paar Reihen auf die Glasplatte. Dann rollt sie eine Geldnote zu einem duennen Rohr, zieht sich zwei Streifchen ein und ladet Femina ein, desgleichen zu tun. Femina lehnt ab, aber ein anderes Maedchen kommt hinzu und nimmt gerne an, offeriert im Austausch ein paar Pillen, die ihre Gespraechspartnerin auch sogleich konsumiert. Femina lehnt auch diese ab: „Tequila ist mein bester Freund fuer diesen Abend. Er hat meine uneingeschraenkte Aufmerksamkeit, daher nein danke. Er will mich fuer sich allein.“

Die Maedchen glucksen amuesiert und sind wieder am Schnorten. Dann sagt eine: „Nicht nur der Tequila will dich!“ Beide lachen. 

Femina sieht sie verbluefft an. „Wie meinst du das?“ fragt sie.

„Na hoer mal,“ kommt es zurueck, „willst du uns auf den Arm nehmen? Wilson will dich! Du kannst dich gluecklich schaetzen! Wir alle stehen auf ihn. Er ist unser Traummann, der Beste. Leider haben wir wenig Aussichten. Er ist so unnahbar, egal was wir auch versuchen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, er ignoriert uns.“

Sie versichert den Maedchen mehr oder weniger erfolgreich, dass sie sich irrten, dass Wilson‘s Interesse andere Gruende habe, als sie annahmen. Die beiden rollen nur ihre Augen, als wollten sie sagen, wie naiv sie sei und dass sie es besser wuessten. Andere kommen in den Raum. Femina findet es zuviel Getriebe, besser, sie kehrt zurueck zur Bar und den Maennern. Sie steht auf und schuettelt sich. Der innere Sturm ist zwar vorbei, aber nicht der von draussen. Die Nacht ist noch lange nicht zu Ende. Und was Wilson betrifft......, sie hofft, sie hat recht, naemlich, dass er wirklich nur neugierig ist und nicht, was die Maedchen glauben. ‚Hm!‘ Tiefer Atemzug. ‚Das kann ja noch heiter werden‘, denkt sie zynisch und sieht Wilson vor sich, wie er sie nicht aus den Augen laesst, aus welchen Gruenden auch immer, und den Engelsknaben Oliver, dem sie, ebenso fragwuerdig, ein Dorn im Auge zu sein scheint, und Dan, fuer den sie zum Problem geworden ist. 

Die Truppe steht noch immer am Tresen, so wie sie sie verlassen hat. Die Band kehrt auch zurueck, doch spielt sie nun sanftere Nummern. Femina legt Dan ihren Arm um die Schultern. Er sieht sie glasig an und laechelt befriedigt. 

„Kann man hier was zu essen kriegen? Ich bin total hungrig,“ sagt sie und wendet sich fragend an Wilson.

„Kein Problem, liebe Femina, kein Problem. Die Hotelkueche ist immer offen. Sie laeuft rund um die Uhr, fuer die hauseigenen Gaeste.“

Der Bartender bringt Menuekarten, denn auch Dan, Ger und einige andere schliessen sich ihr an. Alle moeglichen grosse und kleine Imbisse sind zu haben und die Hamburger und Steaksandwiches sind schnell serviert und obendrein ausgezeichnet. Sie glaubt allerdings nicht, dass alle Gaeste so vorzueglich bedient werden. Femina hat zwar keine Anhaltspunkte dafuer, doch das Essen hat sie ernuechtert. Das ganze ist geradezu sureal. Nur ein Hotel, vorwiegend junge Maedchen und ein williges Publikum? Der Ausflug nur zum Vergnuegen? Nicht doch! Aber wie dem auch sei, im Moment kann sie sich die Lippen lecken und schnurren, wie die Katze auf der warmen Fensterbank. 

Ger fragt sie, ob sie mit ihm tanzen wuerde und als sie nickt, schaut er fragend zu Dan. Der nickt ebenfalls. Es ist zum aus der Haut fahren, aber Ger tut nur, was sich gehoert. Er ist der edle Ritter, konservativ, ehrenwert. Kein Wunder, dass sie ihn manchmal seltsam fand. Sie tanzen Arm in Arm, sowie es sich eben fuer die langsamen Taenze gehoert. Er scheint ein wenig bedrueckt zu sein. Wahrscheinlich will er mit ihr reden ohne Zuhoerer zu haben, wozu sich ein langsamer Tanz natuerlich bestens eignet. 

„Wie fuehlst du dich?“ beginnt er. „Scheinst dich gut zu unterhalten.“

Sie nickt. „Ich tanze gerne,“ sagt sie. „Nur schade, dass Dan kein Interesse daran hat. Weisst du warum?“

„Keine Ahnung! Du musst ihn schon selber fragen,“ weicht er aus. Vielleicht weiss er es wirklich nicht, nur, er scheint ueberhaupt ein wenig vage. Sie laesst ihm Zeit und wartet. Was auch immer er auf dem Herzen hat, es faellt ihm offensichtlich nicht leicht, damit rauszuruecken.

„Femina“, beginnt er wieder, „ich mach mir Sorgen um meinen Bruder. Ich hab versucht, ihn zu ueberreden, mit uns zu kommen, aber er ist so total in Wilson vernarrt, dass er, wie er mir sprichwoertlich gesagt hat, ohne ihn nicht leben koennte. Und ich glaub’s ihm. Er war immer ein so lieber Bub, immer treu und loyal zu seinen Freunden. Nicht, dass er viele gehabt haette. Er hat mehr Peiniger gehabt, denn er war nie faehig, sich durchzusetzen, oder sich zu wehren. Er war stets der Beste in seiner Klasse  und er war ungemein anziehend, selbst als kleiner Bub und erst recht spaeter. Die Maedchen hingen wie Trauben an ihm. Nur brachte ihm das keine Freunde, weder maennliche, was verstaendlich ist, nicht wahr, noch weibliche. Es gab zuviele Eifersuechtige, auf beiden Seiten, und meist richtete sich dann die Wut gegen ihn. Wie oft ist er verpruegelt nach Hause gekommen, wie oft hat er sich in den Schlaf geweint. Selbst spaeter hat sich das nicht geaendert. Ich konnte nie verstehen, warum er sich nie auf Kaempfe einlassen wollte, trotzdem er stark genug gewesen waere. Er hat naemlich sehr wohl trainiert, aber offensichtlich nicht, um sich mit jemanden zu schlagen. Er wollte nie darueber reden, tat das nur, wenn es absolut unvermeidbar war. Meist endete es damit, dass er mit seinen Schultern zuckte und spaeter gab es vielleicht noch die Bermerkung, dass er eben kein Kaempfer sei, weil er eben nur das Schoene liebte. Er ist dann fort, was ich nur zu gut verstehen konnte, aber ich wusste, er ging in die falsche Richtung und jetzt hab ich den Beweis. Er glaubt, er hat hier sein zu Hause gefunden. Aber ich glaub, es ist sein Friedhof.“

„Ach Ger,“ sagt sie mitfuehlend. Die Worte bleiben ihr in der Kehle stecken, denn sie kann nichts Troestliches finden. Und doch, sie will helfen, fragt sich nur wie. „Ist da irgendetwas, das ich tun koennte,“ fragt sie schliesslich. 

Er schmiegt sich naeher an sie, so dass seine leise Stimme, trotz der Musik, nahe an ihrem Ohr, gut gehoert werden kann: „Nicht wirklich, nur vielleicht eines, bitte mach ihm klar, dass dir nichts an Wilson liegt.“

Sie faehrt zurueck und starrt ihn entsetzt an: „Wie kannst du ueberhaupt glauben, dass mir was an ihm liegt?“

Er drueckt sie wieder an sich, als wolle er vermeiden, dass man ihnen Aufmerksamkeit schenkt,  aber er selber entspannt sich.

„Da bin ich aber froh, das von dir zu hoeren! So froh, mich getaeuscht zu haben. Nur! Du bist mit ihm fast den ganzen Abend zusammengesteckt und ihr seid ein hoechst attraktives Paar. Ihr passt gut zusammen. Und Wilson hat auf jeden Fall Augen fuer dich.“

Das ist nun das zweite Mal, dass man sie auf Wilson’s Interesse an ihr hinweist. Nach wie vor lehnt sie diese Ansinnen ab. Und sie passen schon garnicht zusammen! Sie sind doch wie Tag und Nacht! Freilich, sie sieht ploetzlich, was die anderen sehen und dass sie nicht ganz unrecht haben. Gegensaetze ziehen sich an....., und.... ergaenzen sich! Nur, dass sie sich mit Haenden und Fuessen wehrt, sich auf dieses Schlachtfeld zu begeben, das versteht hier keiner. Wie koennten sie auch! Sie sehen die Dinge mit den Augen gemaess ihrer Welt. Freilich, sie kann nicht verleugnen, dass er sie reizt. Es reizt sie, sich mit ihm zu messen, sich mit ihm zu schlagen, sich mit ihm in den Abgruenden der Leidenschaft zu verlieren, um dann im Hass wieder aufzuerstehen, wie ein feuerspeiender Drache, nie wissend, ob oder wer die naechste Schlacht gewinnt. Es ist der Reiz des gefaehrlichen Abenteuers, die Versuchung, einen schier toedlichen Kampf vielleicht doch zu gewinnen und ein Biest zu zaehmen. Es bringt das Blut zum Kochen, es berauscht alle Sinne, es macht das Leben aufregend. Nur hat darin nichts anderes mehr Platz. Sie schaudert. ‚Nein, danke‘, stellt sie ernuechtert fest. Ihr Leben ist ihr mehr wert, als es am Spieltisch zu verlieren. Das Haus gewinnt schliesslich immer und sie ist in Wilson’s Haus. 

Sie lehnt sich wieder zurueck, schaut ihm in die Augen. „Ger,“ sagt sie fest und bestimmt, „abgesehen davon, dass Wilson’s Interesse an mir im Wesentlichen nur Neugierde ist, also ganz was anderes, wie man zu glauben scheint, - waere es nicht angebracht, dass Oliver das mit Wilson bespricht? Wilson’s Gefuehle, oder besser, Wilson’s Absichten stehen hier zur Debatte, nicht meine!“

„Ach, Femina!“ Ger schuettelt nachsichtig den Kopf. „Was bist du doch fuer ein eigenartiges Geschoepf! Siehst du nicht, dass  d u  sein Interesse bist? Wilson ist nicht anders, wie andere Maenner, was Frauen anbelangt. Mein Bruder hat Angst, dass er ihn verlieren koennte. Falls du es nicht wissen solltest, Wilson ist bi, zieht Maenner nur vor, weil mit ihnen Sex unkomplizierter ist, als mit Frauen. Oliver weiss das. Er hat es ihm selber gesagt.“

Sie tanzen eine Weile schweigsam. Oliver tut ihr von ganzem Herzen leid. Er ist eine gequaelte Seele. Welche Schoenheit sucht er wirklich, hier, in dieser Gesellschaft, wo Testosteron der Treibstoff ist und Dominanz das Ideal? Aber auch Ger tut ihr leid. Er kann seinem Bruder nicht helfen, er kann ihn nur leiden sehen.

Es bleibt nicht viel zu sagen und noch viel weniger zu tun. Sie kann Ger nur versichern, dass sie seinem Bruder kein Leid zufuegen wird, nicht, wenn sie es verhindern kann. 

„Vielleicht waere es besser, wenn wir sobald wie moeglich weiterreisten,“ schlaegt Femina vor. Aber Ger schuettelt den Kopf.

„Ich kann nicht. Ich muss zumindest ein paar Tage Gelegenheit haben, mit ihm zu reden.  Vielleicht kann ich ihn doch umstimmen. Zumindest will ich mein Bestes versuchen.“ 

Femina sagt nichts mehr. Sie weiss allerdings, je laenger sie hier sind, desto gefaehrlicher wird die Situation. Sie tanzen schweigend zu Ende und gehen zurueck zu den anderen. Offensichtlich ist Ger beruhigt, dass sie seinem Bruder nicht im Wege steht. Hat sie sich nicht schon des oefteren ueber Ger gewundert? So gern sie ihn auch hat, sie versteht seine Logik nicht. Ach was! Sie wundert sich auch ueber die anderen. 

Die Band verkuendet, dass nach der naechsten Nummer wieder eine  Pause folgt. Sie wendet sich an Dan. „Nun, Dan, wie steht’s mit Dir, willst du nicht doch einen Tanz mit mir tanzen?“ Sie ist ueberrascht, dass er will. Zwar plagen ihn Gleichgewichtsprobleme, aber da es ein langsamer Tanz ist, schafft er es, seine Balance zu halten. Freilich, sie bewegen sich kaum vom Stand und er schmiegt sich ganz eng an sie. Sie ist mehr sein Ruhepol an dem er sich festhaelt. Dafuer kuesst er immer wieder ihren Hals und ihre Ohrlaeppchen. Na ja, zu mehr wird er diesen Abend ohnehin nicht mehr faehig sein, denkt sie amuesiert. Seine Kuesse sind auch keine Brandeisen mehr, sondern sind warm und weich, mehr wie Stempel, die sich vom Stempelkissen ihre Farbe holen. Sie schliesst ihre Augen, hoert auf die Musik, eine alte Nummer und irgendwie so passend fuer diesen, ihrem ersten und vielleicht sogar einzigen Tanz: 

„When a man loves a woman........“

Noch bevor der Tanz zu Ende ist, werden sie unterbrochen. Oliver und Ger stehen neben ihnen.

„Kommt, sagt Ger, „wir gehen besser nach unten. Es war ohnehin schon vom Aufbrechen die Rede, aber.....,“ und er deutet auf einen aufgeregten Haufen nahe der Bar, „das ist kein gutes Zeichen. Kommt, bevor wir da hineingezogen werden.“

Das braucht man Femina nicht zweimal zu sagen. Die beiden nehmen Dan in ihre Mitte, um sich ohne aufzuhalten zu den Aufzuegen zu begeben. Noch sind sie die einzigen, die das Weite suchen. Ein Lift ist fahrbereit und sie sind schnell unten im Foyer und draussen bei ihren Maschinen. In aller Ruhe machen sie sich reisefertig. Ger haelt seinem Freund ein paar Pillen entgegen. „Die werden dich aufmuntern,“ sagt er und Dan schluckt sie auch sogleich. Ein paar andere Desperados gesellen sich zu ihnen. Wo die herkamen ist fuer Femina allerdings ein Raetsel. Oliver dreht bedaechtig und gekonnt einen schoenen joint. Schweigend rauchen sie. Die Qualitaet geniessend, bemerkt Femina: „Hat schon seinen Vorteil, an der Quelle zu sitzen, nicht wahr?“ Sie stimmen ihr schweigend zu, Kopf nickend und schmunzelnd. 

Es dauert nicht lange, bis Wilson auftaucht, mit seinen zwei Leibwaechtern im Schlepptau. Er funkelt Oliver an:

 „Keine gute Idee, nicht auf mich zu warten!“

Oliver reagiert schuldbewusst, aber bevor er noch etwas sagen kann, springt Ger ein, mit der Entschuldigung, dass er seinen Bruder gebeten haette, ihm mit Dan behilflich zu sein und dass er damit nur Probleme vermeiden wollte, waeren sie doch die Fremden, die ungewollterweise hinderlich sein koennten.

„Also fahren wir“ sagt Wilson ohne weiteren Kommentar und macht sich reisefertig. Femina kriegt den Eindruck nicht los, dass Ger’s Argument nur wenig Hilfe fuer seinen Bruder war. „Bleibt hier,“ sagt er zu den anderen, „vielleicht braucht man euch!“

Der Rueckweg scheint, wie immer, weniger Zeit in Anspruch zu nehmen, als sie es sich erwartet. Und wie immer wundert sie sich, welche Erklaerung es dafuer gaebe, dass Hin- und Rueckfahrt zeitlich, oder gar raeumlich, divergieren koennten. Immer wieder nimmt sie sich vor, die Gruende dafuer herauszufinden, was natuerlich nie der Fall ist. Und so darf sie sich erneut darueber Gedanken machen. Sie vermutet, es liegt daran, dass man einmal mit und das andere mal gegen die Erdrotation reist, also einmal mit, einmal gegen die Zeit. Oder kommt einem das Fremde immer weiter entfernt vor, als das, was man kennt und eben zurueckgelassen hat? Ist daher Zukunft weiter weg, als Vergangenheit? Unsinn! Kommt wohl drauf an, von welchem Standpunkt aus man es betrachtet, und, oder wer oder was in Bewegung ist.  Aber genau das ist die Illusion, nicht wahr, denn bewegen tut sich alles. Nur das Gehirn versucht immer, irgendwo Anhalt zu finden, es braucht den imaginaeren Stillstand, trotzdem es sich, wie alles andere, ebenso fortbewegt. Das arme Gehirn braucht also die Illusion des Innehaltens, sonst wuerde es naemlich verrueckt werden. Chaos versus Ordnung! Femina lacht amuesiert. Ja, das ist schon ein Problem, wenn es immer nur Kommotion gibt. Man muss sich einen Fixpunkt suchen, um nicht seine Orientierung zu verlieren. 

Femina schliesst sich den anderen nicht an, die wieder ins Haupthaus gehen oder wer weiss wohin. Sie zieht sich ins Quartier zurueck. Sie ist zwar nicht wirklich muede, bloss angenehm vom joint, hat jedoch genug von unterschwelligen Spannungen und explosiver Atmosphere. Sie legt sich lieber zu Bett, das sie sich nun frei aussuchen kann. Sie waehlt das zweite Zimmer als den mehr geeigneten Schlafplatz fuer sie und Dan. Es hat zudem ein mit Balken verschlossenes Fenster ueber der Matratze, mehr wie eine grosse Oberlichte, als normales Fenster, aber das spielt keine Rolle, solange sie es nur oeffnen kann. Sie schlaeft naemlich gerne bei offenem Fenster. Es laesst sich leichter oeffnen, als sie annahm, da es tatsaechlich zwei Holzfluegel sind, die nach innen aufgehen, sobald man den schmalen Querbalken aus seiner Fuehrung hebt und dann um seinen Bolzen dreht. Jetzt kriegt sie allerdings mehr Luft, als ihr lieb ist, denn es gibt kein wirkliches Fenster, sondern nur die Fensteroeffnung und die Fensterlaeden. Sie lacht. Sie kann auch nicht hinausschauen, dafuer ist es zu hoch, aber es ist gross und weit genug, um den naechtlichen Himmel zu sehen. Das kann sie naemlich, wenn sie sich mit den Fuessen zur Wand legt. Zu ihrer Freude kommt sogar der Mond in Sicht. Sie holt sofort ihren Schlafsack und eine Decke, schluepft raus aus den Kleidern und rein in die weiche Daunenhoehle, mit der zusammengefalteten Decke als Kopfpolster. Der Abend koennte nicht besser fuer sie enden. Allein mit dem Mond, der still und langsam im kuehlen Himmel wandert, der ihr Silberkuesse schickt und alles zu Silber verwandelt. 

„Weisst du, Mond,“ sagt sie, „ich liebe dich. Du gibst mir deine Schoenheit. Ich liebe auch Dan, er gibt mir seinen schoenen Koerper. So liebe ich die Sonne, die mich waermt. Und ich liebe das Gras, weil es so gruen ist, und die Erde, weil sie mich ertraegt. Ach ich koennte tausende von Dingen aufzaehlen, die ich liebe. Tatsache ist, dass ich liebe. Jedesmal, wenn ich dich am Himmel seh, bin ich erstaunt, wie schoen du bist. Und so ist das mit allem, das ich liebe.“ 

Ihr Blick folgt ihm, wie er sich stetig fortbewegt. Bald wird er nicht mehr zu sehen sein. Sie greift nach ihm und holt ihn sich aus dem Himmel. Matt wie Perlmutt glaenzt er, leicht wie ein Ballon fuehlt er sich an. Wenn sie ihn nicht festhaelt wird er wegfliegen, aber wenn sie ihn halten will, kann sie nichts anderes mehr tun. Sie schlingt eine duenne Schnur um ihn und deren Enden um ihren linken kleinen Finger. Der Mond schwebt der Decke zu, bis ihn die Schnur am Aufsteigen hindert. Es ist keine lange Schnur und waehrend sie sich eine Zigarette aus der Packung holt und entzuendet, tanzt der Mond hin und her und auf und ab, solange, bis sie wieder Ruhe gibt. Er steht nun still, aber da sind duenne schwarze Streifen, haessliche Adern, in seinem sonst sanft schimmernden, makellosen Gesicht. Sie holt die Schnur ein und entfernt die Schlingen. Nachdenklich haelt sie ihn fest, fuer ein paar Augenblicke, dann laesst sie ihn los und blaest, lange ausatmend, einen sanften Luftstrom hinter ihm drein.

„Weisst du, Mond,“ sagt sie, als er wieder leuchtend am Himmel steht, „ich will dich nicht festhalten. Es macht mich unfrei. Und du kannst nicht dasselbe fuer mich sein.“ 

Sie zieht an ihrer Zigarette und blaest ihm Rauchringe zu, grosse und kleine und am Ende noch einen Kuss, bevor er aus ihrem Blickfeld verschwindet. Jetzt sieht sie nur mehr sein Silberlicht, aber sie spuert seinen Silberatem und sie folgt seinem Schatten, solange, bis es weder das eine, noch das andere gibt.

 

                                                                                                                        *

 

                                                                                 

                                                                                                                                                                                                                                                              

 

                                                                                            

        

 

  

                      

 

 

 

Bewerte diesen Beitrag:
1

Kommentare

  • Derzeit gibt es keine Kommentare. Schreibe den ersten Kommentar!

Kommentar hinterlassen

Gast Montag, 30 Dezember 2024