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DNS II, Kapitel 2, Teil 1

Veröffentlicht von am in Buch Kapiteln

 

Sie kommt sehr spaet nach Hause, lange nachdem es dunkel geworden ist. Dimitri und Pia sind sehr aufgebracht. Sie sagen, sie haetten sich Sorgen um sie gemacht. Freilich ist das nicht unberechtigt, sie will schliesslich fortgehen. Das versucht sie ihnen zu erklaeren, doch sie verstehen sie nicht. Im Gegenteil, Dimitri macht ihr Vorwuerfe, nennt sie undankbar und egoistisch. 

„Was willst du denn?“ fragt er schliesslich. „Geht’s dir denn nicht gut?

Gekraenkt und veraergert reagiert sie entsprechend heftig: „Gib mir einen vernuenftigen Grund warum ich nicht gehen sollte! Da verschwinden Menschen, ihr Kommen und Gehen ist von jemanden geregelt, der sich nicht zu erkennen gibt und niemand weiss wirklich Bescheid! Und ich soll nicht gehen, freiwillig, wohl gemerkt?! Das ist ein Spiel, an dem ich nicht teilnehmen will. Ich bin doch keine Marionette! Seht ihr denn nicht, es macht doch alle zu Marionetten!“

Pia beginnt zu weinen. Dimitri ist ausser sich: „Halte gefaelligst deinen Mund! Da tun wir alles fuer dich und wie dankst du uns dafuer? Hauptsache du kriegst, was du willst! Du ruecksichtsloses Miststueck! Scheint dir ja egal zu sein, was Du anrichtest!“ Und er deuted auf Pia. „Als ob  es nicht genug waere, dass wir unsere Freunde verloren haben, kommst du mit diesem Unsinn daher, von wegen Weggehen und Marionetten!!!! Was weisst du denn schon von diesem Leben! Du bist ja nicht einmal lange genug hier gewesen, um dir ein Urteil machen zu koennen! Was weisst du denn schon besser als wir!?“

Damit hat er natuerlich einen wunden Punkt getroffen. Was kann sie dagegen schon vorbringen? Dass sie Zuflucht gesucht hatte, als sie sich in Not befand? Und dass sie ihnen nicht zugeteilt worden ist, zumindest nicht, soweit das ihren juengsten Erfahrungen entspricht? Niemand hat sie gezwungen, oder ihr den Auftrag gegeben, dieses Haus zu betreten! Sie hat das freiwillig getan, wenn auch nur um einer wuetenden Natur zu entrinnen! Darum entgegnet sie aufgebracht mit ebenso lauter Stimme:

 „Nein! Ich bin euch nicht ‚zugeteilt‘ geworden! Dieses Haus war bloss das einzige auf das ich gestossen bin, als ich mich in Noeten befand! Ja, es stimmt schon, dass eure Tuere offen stand, und dass ihr mich mit vollem Herzen aufgenommen habt. Doch niemand hat mich zu Euch geschickt! Das hiesse doch, dass jemand ueber mich verfuegt, sich Rechte ueber mich erworben haette. Faendet ihr das vielleicht in Ordnung? Nein, nein! Das waere doch wirklich unfassbar! Ganz unglaublich! Niemand kann, niemand hat ein Recht, ueber mich zu bestimmen!“ Sie haelt inne. Tatsaechlich, auch wenn sie freiwillig und nur umstaendehalber in dieses Haus kam, warum sie sich ueberhaupt in dieser Situation befand, ist ihr raetselhaft. Diese Frage, die sie nicht beantworten kann, ist schliesslich ihrem verdammtes Hirn zu verdanken, das sie so in Stich laesst! Sie weiss, sie hat eine wesentliche Gedaechtnisstoerung, deren Ausmass sie nicht einmal abschaetzen kann, doch indem sie sich dessen bewusst ist, macht das in vieler Hinsicht mehr Probleme als waere sie sich dessen nicht bewusst. Wie auch immer! Sie kann sich nur an den letzten Ereignissen orientieren und denen gemaess war niemand anderer fuer sie zustaendig als sie selber. Trotzig faehrt sie deshalb fort:“

„Ich lasse mir nichts verbieten! Schon garnicht auf diese Art und Weise, wie du mich jetzt behandelst!“

„Das werden wir ja sehen!“ bruellt er und baut sich drohend vor ihr auf. Femina ist bereit zurueckzuschlagen, falls er das versuchen sollte. Aber da springt Pia dazwischen, draengt sich zwischen sie beide.

„Seid ihr denn verrueckt geworden? Wo bleibt eure Vernunft? In diesem Haus gibt es keine Handgreiflichkeiten!“ Ihre Stimme ist scharf und eindeutig. „Setzt euch beide aber sofort nieder! Wir reden darueber!“ Sie schaut so entschieden drein, dass Femina beinahe lachen muss. Pia scheint im Augenblick durchaus bereit zu sein, handgreiflich zu werden, sollte man sie dazu zwingen. Doch weder Dimitri oder sie wollen das. Also setzen sie sich, wie geheissen, an den Tisch und schweigen erst einmal. Femina spuert allerdings sehr genau, dass sie sich auf schwachem Boden befindet. Ausserdem mag sie die beiden zu gerne. Sie will sie weder kraenken noch beleidigen. Versoehnlich beginnt sie daher:

„Es tut mir wirklich leid, wenn ich euch enttaeusche. Wahrscheinlich haette ich viel frueher mit euch reden sollen, nicht erst jetzt, wo wir alle drei von unseren Gefuehlen geplagt werden. Doch ich wollte schon lange fragen, was es mit diesem Haus auf sich hat, das mich zwar reinliess, aber dessen Eingangstuer einfach zugemauert worden ist. Und wie ich nun feststellen musste, kann ich es nicht einmal verlassen, ausser ihr koennnt mir sagen, wie sich diese automatische Tuere oeffnen laesst. Bitte versteht mich doch! Ich will euch ganz und garnicht verlassen! Ich wuerde gerne mit euch von hier weggehen. Nur das liegt ja nicht an mir. Ich kann ja nur fuer mich entscheiden. Leider bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mich am falschen Ort befinde. Fuer mich ist es genau genommen ein fragwuerdiges Leben, wenn man in einem verlogenen System voll mit Scheinheiligkeiten und obskurer Willkuer leben muss. Da ziehe ich lieber weiter. Ich waere allerdings sehr gluecklich, wenn ihr euch dazu entschliessen koenntet, dass wir zusammen gehen.“

„Was redest du da bloss fuer einen Unsinn!“ erwidert Dimitri duester. „Was fuer ein Haus, was fuer welche Eingaenge, die man zumauert oder was fuer ein Ausgang und welche automatische Tuer??? Wir wissen von nichts dergleichen, noch haben wir jemals von sowas gehoert!“ Er blickt fragend zu Pia und die nickt zustimmend. 

„Und was meinst du, wir sollten mit dir weggehen?! Wohin denn? Ausserdem, wir sind sehr zufrieden wo wir sind. Menschen sind nun mal nicht Heilige und es war immer schon so, dass neue kommen, und andere gehen. Es waere doch anders garnicht moeglich! Die Bevoelkerung wuerde doch sonst nicht bestehen koennen, waeren da zuviele oder zu wenige. Auch wenn es uns schmerzt, wenn wir unsere Freunde verlieren, es ist eine Massnahme. Doch waere es widersinnig zu glauben, man koennte normalen Menschen eine solche Kontrolle ueberlassen, eben weil keiner perfekt ist. Man kann natuerlich darueber spekulieren wer solche Macht handhaben sollte und es gibt dementsprechend verschiedene Meinungen. Nur, Pia und ich, und einige andere,  glauben nicht, dass es jemanden bestimmten gibt, der diese Macht hat. Wir glauben, es ist das Leben selber, das bestimmt, Schicksal eben. Aber ein System ist notwendig, um das Zusammenleben der Menschen zu regeln, sonst gaebe es ja Chaos. -- Und Mord und Totschlag, wenn jeder tun koennte, wie er will.“

Sie sagt nichts mehr. Was sollte sie dazu schon sagen? Selbstverstaendlich soll jeder tun koennen, wie er will! Mord und Totschlag? Sie kann sich nicht vorstellen, dass alle Menschen Moerderer und Totschlaeger sind, weil sie von Natur aus gewalttaetig waeren. Und einige werden es wohl immer sein, egal welches System angewendet wird. Unter Ihresgleichen toetet keiner freiwillig, noch auf Befehl, sondern nur wenn es sein muss! -  Sie akzeptiert allerdings seine Erklaerung was Schicksal betrifft. Ohne ihrem vollstaendigen Gedaechtnis kann sie ohnehin nicht argumentieren. Doch leider kann er ihre Realitaet nicht in Betracht ziehen. Die gibt es fuer ihn ueberhaupt nicht. Und wie es scheint, auch nicht fuer Pia.

„Wie kann ich dann von hier, eurem Haus, in jenes andere gelangen, dort wo sich auch der Ausgang am Ende des Flurs befindet?“ fragt sie kleinlaut. 

Die beiden schauen sie bewildert an. „Du musst wohl traeumen, wenn Du auf dein Zimmer gehst!“ sagt er.

„Und wie erklaert ihr euch das Kommen und Gehen der Menschen? Wo kommen sie her, wo gehen sie hin?“

„Das wissen wir nicht,“ antwortet er, und Pia nickt zustimmend, „wir akzeptieren, dass wir nicht allwissend sind. Menschen, Tiere, haben Faehigkeiten, allwissend sind sie nicht. Leben ist an sich mysterioes.“ 

Pia fuegt hinzu: „Und wunderbar.“ Die beiden sind sich ganz und gar einig.

Femina ist jedoch tief betroffen. Ein Graben hat sich aufgetan, der sie erschreckt und  bitterlich enttaeuscht. Sie hat keine Einwaende mehr.

Pia nimmt das Gespraech wieder auf: „Wenn du gehen musst, meine Liebe, dann geh. Aber ich kann nicht verstehen, warum du mit uns nicht gluecklich sein kannst. Du warst es doch bisher. Wir haben dich doch von ganzem Herzen lieb. Und wo willst du denn hingehen? Freilich, du kannst derzeit noch nicht ausser Landes gehen, ausser mit uns, und wir haben weder die Mittel noch die Zeit auf Reisen zu gehen. Aber wir haben Freunde in anderen Staedten. Das koennten wir schon arrangieren.“

Ganz langsam nur kehrt Femina‘s Aufmerksamkeit zurueck. Bedaechtig sagt sie: „Ach mit euch hat das ja weniger zu tun. Ich habe euch genau so lieb. Eine andere Stadt ist jedoch nicht die Loesung. Wenn schon weg, dann weit weg. Wohin! Das ist doch garnicht so wichtig. Uebrigens! Warum sollte ich nicht verreisen koennen?“

Pia schweigt, wie es scheint, betreten, und Dimitri starrt sie an. 

Duester sagt er:„Deine Reiseerlaubnis muss amtlich eingeholt werden, aber du bist noch nicht lange genug hier, um eine Genehmigung zu kriegen. Bis dahin haben wir die Verantwortung fuer dich. Wir machen uns strafbar, wenn wir dich nicht beaufsichtigen. Solltest du weglaufen, schreited die Behoerde ein. Sie wuerden dich ausfahnden und dann in ein Heim fuer Ausreisser stecken und uns wuerden sie ins Gefaengnis bringen, weil wir unsere Pflicht nicht erfuellt haben. Das Amt bestimmt, wann du unabhaengig von uns werden kannst. Wir sind dabei nur hilfreich, aber nicht entscheidend.“

Femina ist fassungslos. Dimitri holt Dokumente aus seinem Schreibtisch. Die knallt er vor ihr auf den Tisch und setzt sich dann wieder nieder. Sie nimmt sich ein Blatt nach dem anderen, schiebt die gelesenen weit von sich, als wollte sie sich soweit wie moeglich von ihnen distanzieren. So ist das also! Keiner von ihnen darf weggehen, solange sie ihre amtliche Genehmigung nicht erworben hat. Sie koennten nur fliehen. Selbst gemeinsame Reisen ausserhalb des Landes muessen amtlich genehmigt werden und waren alles andere als ein freies selbst  geplantes Unternehmen. Femina findet das ganze schockierend. Die schlimmsten Befuerchtungen, die sie sich nicht einmal zu denken erlaubt hatte, erweisen sich als offizielle, amtlich dokumentierte Tatsache. Aller Verdacht hat sich bestaetigt, all ihr Misstrauen ist gerechtfertigt, sie ist wahrlich gefangen, eine Marionette, wie alle anderen auch. Und sie muss sich mit dieser Realitaet abfinden. Sie ist sich der Konsequenzen voellig bewusst. Solange sie sich in dieser Situation befindet, heisst das Anpassung, Gehorsam, kein Fleck auf der weissen Weste, um den Prozess ihrer Freilassung nicht zu gefaehrden und auch um Pia und Dimitri nicht in unnoetige Probleme zu stuerzen. Es ist die fortwaehrende Gehirnwaesche, der sie ausgesetzt sein wird und die es einem, kann man sie endlich abschuetteln, fast unmoeglich macht, zu seiner Urspruenglichkeit zurueck zu finden. Das ist kriminell! Diese Gesellschaft ist kriminell. Genau betrachtet sind Kerkermeister und Straefling Opfer des Systems, aber es ist keine Entschuldigung noch gerechtfertigt ein solches System zu vertreten. 

Femina spuert wie eine Bombe in ihr zu ticken beginnt. Sie schwoert sich, dass sie ein subversives Element, das Sandkorn im Getriebe, sein wird. Sie wird fraglos Kompromisse schliessen muessen, doch sie wird sich nicht fraglos assimilieren lassen. Und damit beginnt sie mit ihrer Arbeit als Resistenzkaempferin, im Untergrund. Sie fragt sich allerdings, ob die amtliche Unabhaengigkeit tatsaechlich jene automatische Ausgangstuere oeffnen wird oder oeffnen kann. Sie bezweifelt das durchaus, denn sie hat es mit zwei verschiedenen Realitaeten zu tun, auch wenn es im Moment so scheint, als waeren sie identisch.  Unter keinen Umstaenden darf sie  ihrem Verstand einseitiges Denken erlauben, so oder so. Das waere schlichtweg die sprichwoertliche Sackgasse.  

Femina entschuldigt sich bei den beiden und der Streit kann geschlichtet werden. Allerdings haben sich die Beziehungen zueinander geaendert mit zukuenftigen Entwicklungen voraussehbar. Die Bindung zu Pia staerkt sich, denn sie folgt mehr ihrem Herzen als Amtsbefehlen. Der Graben zu Dimitri wird breiter, denn er vertritt das System und hat damit Gewalt ueber sie erworben. Und sie? Sie zieht sich zurueck. Sie wird warten, warten auf ihre Gelegenheit, dem Ganzen zu entrinnen.

Zwangslaeufig entwickelt sie einen renitenten Charakter. Aber fairer weise ist zu sagen, dass Pia, mehr so, als Dimitri, zu ihr stehen, auch wenn sie ihnen staendig Probleme macht. Pia ist immer bereit, sie zu verteidigen. Dimitri natuerlich viel weniger. Mit ihm gibt es dauernd Streit. Sie sind die reinsten Kampfhaehne, streiten sich um Prinzipielles. Ohne Pia wuerde es fuer sie nicht gut ausgehen. Pia ist letzendes immer die Vermittelnde, nicht gerade eine leichte Rolle. Aber leicht hat es keiner von ihnen.

Schliesslich ist es fast eine Erloesung, dass Dimitri sie in ein Schulungszentrum schickt. Freilich in eines, das er fuer gut haelt. In gewisser weise, vom Curriculum her, ist es das auch, doch ist es eines der konservativsten, was seine politische Orientierung betrifft. Zwar sind diese Zentren generell eindimensional, sie schaetzt keines von ihnen, aber die Leitung jenes, das er ausgewaehlt hat, ist drakonisch, die reinste Zwangsjacke fuer einen Freigeist wie sie. Was sie am meisten aergert ist seine Rechtfertigung, naemlich, dass er nur das Beste fuer sie wolle. Offiziel stimmt das natuerlich, hat es doch die beste Reputation im Lande, doch sie weiss, dass es auch ein Versuch ist, ihre Resistenz zu brechen. Es ist aber gerade dieser Oppositionsgeist, der sie dazu bringt, sich auf dieses Manoever einzulassen, allein schon deswegen um sich und ihm zu beweisen, zu was sie faehig ist. Mit dem Anlegen der Uniform allerdings beginnt der Drill und erst recht der psychologische Horror. Es gibt viele Naechte in denen sie sich in den Schlaf weint. Das Zentrum ist nach militaeren Prinzipien organisiert. Das heisst, Gehorsam ist Pflicht und ein Regelverstoss kann eine koerperlicher Bestrafung mit sich bringen. Es macht Staerke zum Ideal und unterbindet Gefuehle, denn die sind als  Zeichen von Schwaeche zu eliminieren. Die Grausamkeit, die meisterlich von der Obrigkeit ausgeuebt wird, findet ihr Echo unter den Zoeglingen. Es ist eine Schulung, die ein funktionierendes Endprodukt gewaehrleistet, nicht einen kritikfaehigen Geist. Sie bemueht sich, sich anzupassen und da sie koerperlich und geistig ein vielversprechendes Exemplar ist, das man zu jenem Produktideal formen koennte, schafft sie sich durchaus eine gute Basis von der aus sie manoevrieren kann. Doch Monate spaeter muss sie eingestehen, sie verschwendet ihre Zeit, vorallem deshalb, weil es sie intellektuell ganz und garnicht stimuliert. Sie hat kein Interesse Brillianz in der Doktrin zu erreichen, Computer sind dazu bestens geeignet. Sie will nicht zu sowas programmiert werden. Also muss etwas geschehen. Das heisst, sie wird es aendern muessen. Tatsaechlich ist das schnell arrangiert. Sie beginnt die Schwaechen jener, sie sie nicht mag mit gezieltem Zynismus oeffentlich blosszulegen. Die Betroffenen haben meist keine andere Moeglichkeit als sich mit hochrotem Gesicht abzufinden, denn jeglicher Gegenangriff wuerde ihre Laecherlichkeit nur vergroessern. Sie schafft sich Feinde aber auch Verbuendete und die Vortragenden sind sehr bedacht sich keine Bloesse zu geben. Tatsaechlich ist Eitelkeit die reinste Goldmiene und sie ist gut in der Goldgraeberei. Die Lehrer werden allerdings immer mehr frustriert mit ihr und waeren froh, sie los zu werden. Es ist daher nicht ueberraschend, dass es schliesslich zu jenem Zwischenfall kommt, mit jenen Konsequenzen, auf die sie hingearbeitet hatte, ohne es jedoch so geplant zu haben. Sie macht naemlich den Fehler, allein mit einer Vortragenden, die sie in ihr Zimmer geheissen hatte, um ihr eine Strafpredikt fuer irgendwelche Unterlassungen zu halten, so zu veraergern, dass diese ihr mit Schlaegen droht. Bisher war Femina immer faehig gewesen, koerperlichen Strafen zu entgehen, doch anstatt ihren Mund zu halten, sagt sie mit hoehnischem Grinsen, dass sie die koerperliche Zuechtigung wohl versuchen koennte, aber dabei wuerde es bleiben. Die Herausgeforderte kann sich nicht zurueckhalten und versucht ihr darauhin eine Ohrfeige zu versetzen. Femina weicht jedoch geschickt aus und verschanzt sich schnellstens auf der anderen Seite des Schreibtisches, ausser Reichweite. Sie schaetzt die Distanz zur Tuer. Leider ist diese zu weit weg, um der Furie entkommen zu koennen. Damit beginnt ein Ringelspiel um den Schreibtisch, das sie in jedem Fall gewinnen wird, denn sie ist juenger und wesentlich fitter als ihre Gegnerin. Die ist nicht nur uebergewichtig, sondern bereits ausser Atem und ihr Gesicht ist verdaechtig rot mit hervortretenden Augen. Es fehlt nur noch der Schaum um den Mund. Sie ist dem Kollaps naeher als sie jemals die Chance hat, Femina in die Haende zu kriegen. Sie laesst sich auch bald in ihren Sessel sinken, mit schriller Stimme, ihr Hoelle und Untergang prophezeiend. Femina hoert nicht weiter hin, sondern entschwindet schnellstens, nicht nur aus dem Zimmer, sondern auch aus dem Zentrum. Sie weiss sie verlaesst diese Folterstaette fuer immer. Dimitri kann dagegen nichts machen, denn die Zentrumsleitung wuerde sie nur zuruecknehmen, falls sie sich entschuldigte, aber es waere ohnehin ratsamer, wenn sie ihre Erziehung anderswo suchte. Klarerweise ist sie nie und nimmer bereit sich zu entschuldigen, im Gegenteil, sie besteht darauf, dass die Vortragende sich bei ihr zu entschuldigen haette. Und damit kann sie der „Zwangsanstalt“ erfolgreich den Ruecken kehren. 

Das oeffentliche Zentrum, das sie jetzt besucht, hat wenigstens keine koerperliche Zuchtordnung mehr, ist aber sonst auch nicht viel besser. „Wischen Sie sich die Kriegsbemalung aus dem Gesicht!“ hat heute eine Vortragende zu ihr gesagt. So eine bloede Person! Sagt sie zu ihr, dass sie wie eine Vogelscheuche aussieht und dass sie sich am besten verstecken soll, um den Kindern nicht Angst zu machen? Sie haelt nicht einmal einen guten Vortrag, aber mit Nebensaechlichkeiten, die sie garnichts angehen, da spielt sie sich auf. Was soll’s! Das ganze System ist zum Kotzen! ‚Diener des Herrn!‘ Gewalt ueber andere zu haben, Macht die einem nicht einmal gehoert, - igitt,- zum Kotzen. Die Vogelscheuche kann ihr den Buckel runterrutschen! „Tut mir leid,“ hatte sie ihr geantwortet, „aber ich muss sie aufklaeren. Das ist keine Kriegsbemalung. Es nennt sich Kosmetik. Ich trage es, weil es mir gefaellt, nicht, um ihnen zu gefallen.“ Freilich, damit hat sie sich einen neuen Feind geschaffen.

Tatsaechlich , in der ganzen Zeit, mehr oder weniger seit ihrer Ankunft, hat sie keine wirklichen Freunde gefunden. Bekannte hat sie viele, aber troztdem sie versuchte Freundschaften zu schliessen, sie endeten in Enttaeuschungen. Genau betrachtet sind Dimitri und Pia die einzigen geblieben, denen sie vertraut. Auch wenn  ihr Verhaeltnis zu Dimitri einem Minenfeld gleicht und sie sich staendig und verbittert streiten, sie weiss zumindest woran sie mit ihm ist. Abgesehen davon hat sie festgestellt, dass er ihr ziemlich oft, insgeheim, durchaus recht gibt. Aber er wuerde es nie eingestehen! Er gibt hoechstens nach. Er ist, obwohl er es im  Grunde seines Herzens nicht unbedingt will, ein strikter Vertreter dieser Luegenwelt. Leider ist der Graben zwischen ihnen immer weiter geworden, so dass es kein Drueberspringen mehr gibt. Femina will sich mehr oder weniger von ihm fernhalten. Sie ist auf der Suche nach einer eigenen Bleibe. Ohne Pia’s Unterstuetzung waere das unmoeglich, denn Dimitri fuerchtet, die Kontrolle aus der Hand zu geben. Als es dann wieder, in diesem Zusammenhang, zu einem fuerchterlichen Streit kommt, endet es damit, dass Dimitri sie vor die Tuer setzt.

„Es kann ohnehin nicht mehr lange dauern, bis ich die Verantwortung fuer dich los bin. Aber du kannst jetzt schon verschwinden. Tu was du willst! Doch erwarte dir keine Hilfe von mir! Du wirst schon sehen, wie weit du kommst, du wirst dir deinen Kopf auch noch anrennen! Ich hab genug von dir. Ich will dich, wenn ich heimkomme, nicht mehr sehen!“ Darauf laesst er sie, und Pia, allein.  Nachdruecklich knallt er die Tuer hinter sich zu.

Pia ist voellig niedergeschmettert und Femina kann nur sagen, dass sie sich den Kopf, seitdem sie hier ist, angerannt hat. Schlimmer kann’s garnicht werden.

„Ich verstehe ihn nicht,“ sagt Pia klagend. Das hat sie aber noch nie. „Wie kann er nur so sein!“ Femina zuckt mit den Schultern. Er ist immer so gewesen! 

Seit ihrer Ankunft hier, oder zumindest ziemlich bald danach,  ist nichts so gelaufen, wie die Beteiligten es sich gewuenscht haben. Femina muss eingestehen, dass sie nicht unschuldig ist. Oder ist es gar einzig und allein ihre Schuld? Sie fuehlt sich schuldig, so oder so.  Nun ist es soweit, sie haben es geschafft: Sie beginnt, an   s i c h  zu zweifeln. All diese Kaempfe, ihre Schuld? All diese Ungluecklichkeit, ihre Schuld? Es ist hoechste Zeit! Sie muss fort! Sonst kann man sie doch noch beherrschen. Und warum? Weil sie das Gegebene nicht akzeptieren kann? Hatte sie wirklich ein Leben bevor dieses? Vielleicht hat Dimitri tatsaechlich mit allem recht und sie hat ihre Zeit damit verschwendet ihr Leben und das ihrer Freunde miserabel zu machen. Wann war sie das letzte Mal gluecklich? Wann hat sie das letzte Mal jemanden anderen gluecklich gemacht?

Sie reisst sich zusammen. Es ist wahrhaftig hoechste Zeit, dass sie geht. Sofort! Ohne Verzoegerung! Sie ist tatsaechlich in Gefahr, sich zu verlieren. 

Pia versorgt sie mit Proviant und steckt ihr etwas Geld zu. Der Abschied faellt ihnen nicht leicht, obwohl es keineswegs eine endgueltige Trennung ist. Aber der Schritt ist markant, denn es ist ein Weg, den sie nicht kennt und Pia kann nicht mitkommen. Das muss wohl so sein, ihre Loyalitaet gehoert Dimitri und Femina ist lieber ungluecklich allein, mag ihre Freunde nicht laenger quaelen. 

   

 

    

 

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Gast Sonntag, 22 Dezember 2024