Es scheint sie muss sich an die ploetzliche Stille erst gewoehnen. Die Sinne sind noch immer im ‚overdrive‘. Sie streckt sich aus, benutzt den zusammengerollten Schlafsack als Kopfkissen. Sie starrt eine Weile in den Himmel. Waessrig blau ist er und kuehl. Die feuchten Nebel lassen sich bereits erahnen und Sterne wird sie heute Nacht vielleicht keine sehen. Feuchte Luft streichelt ihre Wangen. Wie eilig die Sonne es mit einem Male hat! Grad war sie noch hinter den Baeumen zu sehen, jetzt ist sie weg und die Schatten werden immer laenger.
Sie springt auf, nimmt sich die notwendigen Dinge und eilt zum Wasserfall. Besser sie macht sich fertig fuer die Nacht, spaeter wird sie dazu keine Lust mehr haben. Sie waescht sich sorgfaeltig. Das Wasser ist kalt, aber es regt die Durchblutung an. Nachdem sie sich vehement trockenreibt und in den warmen Trainingsanzug schluepft, fuehlt sie sich behaglich frisch. Sie fuellt die Thermosflasche voll und kehrt zum Lager zurueck. Dort werkelt sie munter weiter, sammelt Holz fuer’s Feuer und richtet sich ihr Nest zum Schlafen. Irgendwann faellt ihr auf, dass die Voegel rund um sie laermen, grad so als befaende sie sich auf einem Schulhof voll schreiender Kinder. Sie schaut um sich. Die Daemmerung ist fortgeschritten und die Muecken tanzen nicht mehr. Der Nebel sammelt sich im Tal. Der Himmel glaenzt metallen blau und tatsaechlich blinken vereinzelt die Sterne. Nur der Mond laesst sich noch nicht blicken. Er ist im Abnehmen, - also nicht grade in seiner romantischen Phase. Aber das ist sie auch nicht, und die Duefte aus dem Wald erinnern an Moder und Schimmelpilz. Es ist die Wuerze des Herbstes, mit unverkennbarem Geschmack.
Sie stuelpt sich einen Pullover ueber und setzt sich mit verschraenkten Beinen auf die Matte, schaut aufmerksam das Tal entlang. Graue Schwaden kriechen die Huegel hoch und der Nebel wird immer dichter. Nebel hat sie als Kind schon gemocht. Da gab es die weissen Nebelfrauen in ihren Maerchen, die um ihrer Schoenheit willen, Schleier trugen. Und da war der Prinz, der sich in ihre Prinzessin verliebte, als er sie einst im Spiel auf den Feldern sah. Er hat seine Angebetete nicht bekommen, denn jedesmal, wenn er nach ihr greifen wollte, hatte er Nichts in der Hand. Er wurde krank vor Liebe, bis er eines Tages beschloss, ins Reich der Nebel zu gehn. Dort hat er seine Liebe dann wohl gefunden, denn fortan wurde er nicht mehr gesehn. Traurig schoen!!!!!
Oder schoen traurig???? Ist das nicht der sprichwoertliche Widersinn? Vielleicht ist es die Widerspruechlichkeit in den Worten, die sie mit einem Male irritiert. Oder auch nur ihre Abneigung Schoenheit mit Traurigkeit zu verbinden? Hm, sie macht wirklich den Fehler, Absolutes zu isolieren und Zusammenhaenge zu negieren. - Trauer ist schoen?! – Igitt! - Auch wenn das der Fall ist, - sie lacht lieber. Aber drum gibt es die Maerchen, sie machen selbst das Traurige schoen.
Mittlerweile hat der Nebel das Tal unter ihr mit seiner dunkelgrauen Decke weggeschluckt. Es ist nun ziemlich dunkel und auffallend still. Jetzt kann sie den Wasserfall rauschen hoeren und das Rascheln von Nachtgetier. Sie macht Feuer, bringt es richtig schoen zum Brennen. Kein Windlueftchen regt sich und die trockenen Zweige knistern und knacken, spucken die Funken uebermuetig umher. Sie schiebt groessere Aeste nach, und schichtet schliesslich ein paar dickere Holzstuecke drueber, solange bis sie genug Glut hat, um ihre Maiskolben zu roesten, die sie zu diesem Zweck mitgebracht hat. Sie plaziert die preparierten Paeckchen in den Kohlen seitlich des Feuerherdes. Das Feuer ist hoch genug und strahlt in wohltuender Waerme. Es wird kein Problem sein es wach zu halten und wenn sie es noch fuer eine Weile mit den dicken Aesten fuettert, wird die entstehende Glut lange genug weiterglosen, vielleicht sogar bis in die kuehlen Morgenstunden, sollte sie es neu anfachen wollen. Doch das ist diesmal nicht unbedingt noetig, da sie vorhat, mit Tina und der Kleinen im Gasthaus zu fruehstuecken.
Eine Weile spaeter angelt sie die Maiskolben aus der Glut und ist sehr zufrieden mit dem Resultat. Tief golden sind sie, mit einigen wenigen dunkelbraunen Brandflecken, grad richtig, um sie saftig genug sein zu lassen. Die Aluminiumfolie, mit der sie sie eingewickelt hatte, dient gleichzeitig als Behaelter, der das Ablaufen der zerschmolzenen Butter verhindert. Hmhm, yumm! Sie ist versucht, ihre Delikatessen zu verschlingen, doch damit waere dem Genuss ein zu schnelles Ende gesetzt. Sie nimmt daher jeden Bissen mit all ihrer sinnlichen Aufmerksamkeit und kaut ganz langsam, sodass das Aroma sich entfalten kann und seinen direkten Weg in ihr Gehirn findet. Die leeren Kolben schmeisst sie ins Feuer, schuert die Glut und legt mehr Astwerk und dicke Holzstuecke drauf um das Feuer zu beleben. Sie unterlaesst es sich Tee zu bruehen. Stattdessen langt sie nach der Thermosflasche und trinkt das klare Wasser, das vorzueglich schmeckt. Was koennte im Augenblick besser sein!?
Nachdem sie sich befriedigt ausstreckt, haben ihre Gedanken wieder freie Bahn, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Eigentlich wuenscht sie sich nichts mehr als Ruhe, aber sie ist zu satt fuer Widerstand. Sie laesst ihnen daher freien Lauf.
Abschiednehmen! Das ist das Thema, mit dem sie sie herausfordern, ist es doch das letzte Mal, dass sie diesen Platz besucht. Zweifelsohne, sie will nichts wie weg. Und doch, sie muss gegen ihr eigenes Verharren wollen ankaempfen. Das Bekannte macht alles bequem, eben weil es so vertraut ist. Das Unbekannte mag zwar vielversprechend sein, aber es ist ebenso mit Angst besetzt. Der Verstand will naemlich immer alles ganz genau wissen und Kontrolle haben, draengt damit auf einen detailierten Plan. Er weiss aber gleichzeitig, dass die beste Planung nichts hilft, denn Unvorhergesehenes kann man nicht einplanen und es mag unter Umstaenden jeden noch so guten Plan voellig ueber den Haufen werfen. Am meisten bedrueckt sie jedoch der Abschied von ihren Eltern. Sie sind grossen Reisen nicht mehr gewachsen. Selbst die kleineren werden immer seltener. Sie hat keine Garantie, dass sie sie wiedersehen wird. Doch das ist Abschied. Jeder Augenblick ist Abschied. Nur weil ein Augenblick so kurze Zeit fuer Trauer laesst, nimmt man davon keine Notiz. Abschied hat das Endgueltige im Schlepptau, egal ob es sich dabei um einen Augenblick oder einen Atemzug handelt, oder um Stunden, Monate oder ein Leben. Es bleibt einem nichts anderes uebrig als die Trauer miteinzubeziehen, jedesmal, auch wenn man nur ‚Auf Wiedersehen‘ sagt oder gar ‚Adieu‘. Das Unvorhergesehene kann naemlich immer geschehen. Man wuerde jedoch seinen Verstand ueberfordern und von Trauer ueberwaeltigt sein, wuerde man das Ende in jedem Augenblickes bewusst erleben, oder gar erleben wollen. Allerdings findet sich darin aber auch das Einmalige, sozusagen, jeder Augenblick ist ein Grund zum Feiern. Abschied nehmen ist viel schlimmer, wenn man das Feiern nicht wahrgenommen hat. Zweifelsohne, sie wird ihre Lieben vermissen, jetzt oder spaeter, denn irgendwann werden naemlich ihre Eltern sich von ihr verabschieden. Die Trauer bleibt ihr nicht erspart.
Was aber ist es, das ihre Flucht so brennend macht? Es ist Flucht, auch wenn sie keine Gefangene ist. Es war freiwillig, dass sie einen Arbeitsvertrag einging. Sie war sich bewusst, dass das Land einiges zu wuenschen uebrig liess, aber es ist ganz gewiss nicht das Schlechteste von allen. Ja, die Menschen moegen wenig Toleranz haben, strikt an ihren Traditioenen haengen, sie moegen wenig Humor haben und ziemlich phantasielos sein, aber das ist keineswegs schlimmer als es andere Voelker sind, oder? Freilich, man kann sich schwer vorstellen wie sich die taegliche Realitaet auf seinen Gemuetszustand auswirkt. Der stete Tropfen hoelt den Stein. Es gibt schliesslich nicht umsonst eine Folter, die tatsaechlich diesen Effekt zur eleganten Anwendung bringt. Man laesst einen Wassertropfen stetig auf den Kopf des armen Individuums fallen. Nach einer Weile ist der Wahnsinn garantiert. War sie diesen Tropfen zu lange ausgesetzt? Ist es die Borniertheit, das Schienendenken, oder nur Einbildung und Unfaehigkeit, die das hiesige Volk selbstgefaellig macht und hindert, sich dem Neuen oder Fremden gegenueber aufgeschlossen zu zeigen? Sie lieben Uniformismus, leben mit Scheuklappen, um ja nicht in ihrem Trott gestoert zu werden. Sie luegen sich frei von jeder Verantwortung, wenn man ihre korrupten Entscheidungen aufdeckt und sind ziemlich humorlos, ausser sie koennen andere zum Gespoett mach. Es scheint, sie haben nicht einmal Zeit zum Traeumen und verstehen sich selbst nur durch ihre Arbeit. Tatsaechlich, das kann jeden gesunden und lebensbejahenden Menschen zur Flucht veranlassen! Nicht dass der Rest der Welt ein Paradies ist. Das gibt es nirgends, wo man Menschen findet, vorallem nicht, wenn sie in Massen auftreten. Deren Verhalten mag anderswo noch viel grausamer sein. Allerdings es noch nicht lange her ist, dass hier der Wahnsinn stattgefunden hat. Seine Spuren sind noch deutlich zu sehen und die Ereignisse sind unvergessen. Sie laechelt zynisch. Sie haben sehr oft von Vergangenheitsbewaeltigung gesprochen, - sie haben sie nicht bewaeltigt, sie wollen bloss nichts mehr davon hoeren. Letztlich ist alles beim alten geblieben. Systeme moegen sich aendern, aber der Mensch aendert sich nicht. Damit sind die Vorzeichen fuer kommende Zeiten mehr als besorgniserregend. Tatsaechlich, sie hat genug Gruende fuer’s Weiterziehen. Vielleicht ist Alpha 7 auch nur eine Fata Morgana, aber es ist zumindest die Muehe wert, es herauszufinden.
Sie starrt in die lodernden Flammen. Orange-rot sind sie und heiss. Sie rutscht ein wenig zurueck, ihre Beine bleiben verschraenkt. In dieser Stellung ist es leicht, die Wirbelsaeule grad zu halten und dabei durchaus entspannt zu sein. Der Mond ist nun auch aufgegangen. Er sieht ein wenig verbeult aus. Das einseitige Abmagern scheint ihm nicht zu bekommen. Er versucht den akuten Verlust seiner Schoenheit durch helles Silberlicht auszugleichen, aber feiner Dunst schiebt sich vor ihn. Tatsaechlich braucht er sich keine Sorgen zu machen. Die Zeit loest seine Probleme und verhuellende Nebel helfen ihm. Ihr Blick kehrt zurueck zum Feuer und ihre Gedanken zum Widersinn. Ihre Stimmung hat umgeschlagen. Es gibt kein Karussel mehr in ihrem Kopf. Sie braucht sich ebenfalls keine Gedanken zu machen. ES hilft sich selbst und sie bedarf keiner Eitelkeiten. Sie ist viel zu ehrlich, um ihre Schwaechen zu uebersehen. Sie ist viel zu aufgeklaert, um die Wahrheit zu verkennen und viel zu abgeklaert, um das Schicksal des Menschen zu beweinen. Sie glaubt naemlich nicht, dass die Menschheit sich friedlich regulieren kann. Sie wird sich zu diesem Zweck dezimieren muessen, sonst hat sie insgesamt wohl keine Chance. Und es ist faszinierend, wie konsequent sie auf ihren Selbstmord hinarbeiten, obwohl sie’s garnicht wollen, das behaupten sie wenigstens. Es ist durchaus glaubwuerdig, denn der Grossteil weiss wirklich nicht, was er tut. Ewiges Leben ist nicht erstrebenswert, ausser man lebt im Paradies. Die Erde koennte sowas werden. Ohne Mensch ist sie es ohnehin. Dann wuerde sie bleiben und nicht mehr weiterziehen. Waere das ein Stagnieren? Sie lacht. Das eine ist nicht besser als das andere, die Frage ist nur, was sie gluecklich macht. Ein wunderhuebscher Gedanke fliegt durch ihren Kopf. Er ist viel zu schnell, sie kann ihn kaum fassen. Es war schliesslich nur ein Wort. – Liebe - ,das war’s! Tja, die verdient ganz gewiss einer besonderen Beachtung. Ist es als Ersatz fuer das Paradies? Nicht doch! Als Intrument des Diesseits?! Oder als Verheissung des Jenseits? Weder noch! Der Gedanke an Liebe ist deshalb so schoen, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes eine Urkraft ist, hueben wie drueben. Doch auch sie beinhaltet das Gegensaetzliche. Oh Liebeskummer, oh Toetungsschmerz, oh schaurigschoene Himmelsmacht!
Sie wird immer vergnuegter. Die Flammen tanzen ein verruecktes Spiel. Schizophrenie des Natuerlichen, Zerrissenheit der Seele, Kampf im geschlossenen System. Heiss leckende Zungen sprechen von Vernichtung, rot gluehende Glut zeugt von dramatischen Erfolg. Wie uebermuetige Kobolde vergnuegen sich die Funken. Es knistert und knackt wie toll. Es ist ein Schauspiel sondergleichen. Feurige Liebe, schaurig schoen, - s’ist keine Komoedie, nichts zum Lachen, - aber alles kann man einseitig sehen. Ihr Vergnuegen liegt im Betrachten. Sie hat nicht den Wunsch durch ein Feuer zu gehen. Angst? Aber natuerlich! Tod durch Verbrennen? – Nicht, wenn sie die Wahl hat! Da ist ihr eine scharfe Klinge lieber. Wirklich spassig! Werden und Sterben, aus Liebe.......! Na ja, eine Kraft wirkt in zwei Richtungen, sagt die Physik. Eine Kraft kann sowohl schoepferisch wie zerstoerend sein, sagen die Philosophen. Kraft ist Macht, sagt sie, Femina, und kennt damit die Ursache aller Triebe.
Sie streckt sich durch, verlegt den Schwerpunkt ihres Kopfes in die Achse ihrer Wirbelsaeule. Darauf kann der Schaedel ruhen, ist nicht mehr als ein Teil der Achse. Sie streckt ihre Arme, lagert sie auf ihren gebeugten Knien. Das gibt ihrem Koerper optimales Gleichgewicht. Wie angenehm ihm das ist! Spannungen loesen sich, sammeln sich in Kanaelen und fliessen ab, ohne Schaden anzurichten. Sie verlassen ihren Koerper durch ihre Knee, Fingerspitzen und Kopf, sanfte Kaskaden stetig im Lauf als waeren Wassertraufen ploetzlich geoeffnet worden. Sie versenkt ihren Blick in die heisse Glut. Die Gedanken benutzen dies als Bruecke, am Ende verbrennen sie dabei. Und das Feuer kriecht hoch zu ihr, als sei da ein Geruest. Bald kann sie nicht mehr sagen, was Feuer und was Femina ist. Sie schliesst halb die Augen, macht ihre Laeden dicht. Jetzt hat sie jedenfalls keinen Koerper mehr. Sie ist frei und kann durch den Kosmos fliegen. Der herbstliche Nebel bildet bloss eine duenne Wand und bietet tatsaechlich keinen Widerstand. Ihr Geist darf gluehen, weiss wie die Sonne und ebenso heiss. Sie versucht mit den Sternen und Planeten zu spielen, doch ach, die duerfen nichts aendern an ihrer Bahn. Die Monde sind damit sehr zufrieden, selbst der ueber der Erde lacht. Er meint, das Chaos da unten sollte genuegen, doch sie sollte an mehr denken, als nur an Gaude und Schabernak. Hm, was ist er doch fuer eine brummige Seele, aber bitte, jeder wie er will! Sie transferiert sich in andere Dimensionen. Sie sucht das Heitere, Zwangslose, mit einem Wort, das froehliche Spiel, ein lebensbejahendes und glueckliches Gefuehl. Aber ueberall gibt es Gerichtetheiten, und egal welcher Art sie sind, - sie repraesentieren Zustaende, und die kann man moegen oder auch nicht. Sie fuehlt sich schwer werden. Sie kehrt zum Boden zurueck. Doch der Raum dehnt sich ins Uferlose, da ist keine Erde zu sehen. ‚Was braucht sie dann Fluegel‘, fragt sie sich und schuettelt sich. Die Federn wirbeln wie Schneegestoeber. Ein paar fliegen ihr in den Mund. Ph, pf, tt......----, sie spuckt. Die Materie hat sie also wieder. Und das ist nicht besser oder schlechter als sonst irgendwas.
Sie sinkt weiter in die Tiefe, die Federn hinter ihr drein, gleich dem Schweif eines Kometen. Sie koennten aber auch die Schleppe eines Pfauenvogels sein. Ihr ist beides recht, denn eines hat sie auf ihrer Reise schnell festgestellt: Nirgendwo anders als in sich selbst, kann sie finden, wonach sie sucht. Der Versuch, andere fuer ihr Spiel zu interessieren, hat nichts mit ihrer Existenz zu tun. Sie kann sich auch allein amuesieren, ihr tut das auf jeden Fall gut. Doch sie will nicht ungerecht sein. Das „Draussen“ hat gewiss seinen Sinn. Auch wenn es nur darum geht, Hilfe zu geben, und das Sinnvolle des Lebens wahrzunehmen. Na ja, es schuettelt sie nicht vor Dankbarkeit. Man springt durchwegs brutal mit ihr um. Da sind die starren Systeme, da ist der sture Geist. Aber bitte, jedem das Seine! Es gibt soviel anderes mehr, zum Beispiel, Gleichgesinnte und erfuellte Seelen, die Wahl ist damit garnicht schwer. Doch eines steht fest: Wenn Pflicht zum freudlosen Leben wird und das Glueck daraus verschwindet, dann ist es hoechste Zeit herauszufinden, wie oder was moeglich ist, diesen Zustand oder die Umstaende zu aendern.
Sie kommt grade am abmagernden Mond vorbei. Sie vergibt ihm die Ruege an ihr, weil er so schoen lacht. Sie laesst sich auf seiner Schlagseite nieder. Der Pfau entfaltet sein schillerndes Rad. Der Mond erkennt sie gleich wieder. Auch er ist ihr nicht mehr gram. Ihm gefaellt ihr praechtiges Gefieder. Sie moege bei ihm bleiben, solange sie mag, zusammen seien sie ein ungewoehnliches Paar. Sie hat nichts dagegen, in Symbiose zu leben, doch leider diktiert er den Lauf. Drum sagt sie ihm nach einer Weile ‚Auf Wiedersehen‘. Das stimmt ihn zwar traurig und er wird richtig blass, aber er kann sie verstehen, macht keine Szene daraus. Sie schenkt ihm die Pfauenfedern und gleich scheint er vor Freude hell auf. ‚Sie solle sich eine seiner Strahlen nehmen‘, meint er, ‚dann kaeme sie sicher und schneller nach Haus. ‚Gute Idee!‘ Das klingt ganz und gar nach Vergnuegen. So hopst sie auf eine seiner Bahnen und ab geht’s........ - aber herje! – Sie gleitet nicht, sondern sie rast!!!! Die Bahn ist eisig und glatt wie Glas. Die Reibung bringt sie zum Gluehen. Und wenn schon! Das ist jetzt voellig egal, denn sie findet, dass es keinen Unterschied macht, ob sie verbrennt oder am Boden zerschellt. Aber nichts dergleichen geschieht. Ploetzlich endet die rasende Fahrt. Es sind die Herbstnebel, die sie fangen und die kuehlen sie auch ab. Zugegeben, - sie fuehlt sich ziemlich mitgenommen. Alles dreht sich, Uebelkeit steigt in ihr hoch. Sie versucht, irgendwo Halt zu bekommen. Doch wo? Scheint ein recht aussichtsloses Unternehmen, denn um sie ist es kohlrabenschwarz und die Haende begreifen nur Leere. D a i s t e i n f a c h n i c h t s ! ! ! NICHTS ? ? ? Sie faengt lautschallend zu lachen an. Nichts? Das ist doch immerhin etwas. Ihr wird augenblicklich warm ums Herz. Und weil das Herz eine Pumpe ist, hat auch der Koerper was davon. Wenn das Nichts auch nicht viel zu sein scheint, es ist zumindest Alles, was da ist; es ist alles, was ihr zur Verfuegung steht. Ganz ehrlich! Durch d i e s e Deminsion ist sie wissentlich noch nicht gegangen. Jetzt hat sie gar keine andere Wahl. Doch sie straeubst sich. Sie ist nicht mutig, hat Angst verloren zu sein.
Ein Kauz ruft lockend: „Komm mit! Komm mit!“ Sie hoert den Wasserfall rauschen. Sie ist also zurueck, am Ausgangspunkt, vor dem kosmischen Trip! Das Feuer ist abgebrannt, die Glut beim Verloeschen. Sie ruehrt sich nicht. „Jetzt oder nie!“ faehrt es ihr heiss durch den Kopf. Es gilt die Angst zu ueberwinden. Die war es schliesslich, die sie runtergeholt hat von ihrem Trip. Sich mit seinen Widerstaenden zu arrangieren und sich mit seinen Aengsten zu verbuenden, ist keine gute Idee. Diese Artgenossen bringt man schwer wieder los. Sie werden zum Muehlstein um den Hals, oder zum Klotz an den Beinen. „Komm mit! Komm mit!“ ruft der Kauz. Sein Ruf hat einen suessen Klang. Die Glut ist tot, der Herbstnebel undurchdringlich. Der Wasserfall singt sein monotones Lied.
Bevor sie ins Nichts geht, will sie sich selbst noch einmal fuehlen, denn das ist das Einzige, das sie mitnehmen kann. Sie schliesst ihre Augen, kehrt den Blick nach innen. Dort ist alles ruhig. Sie fliesst mit dem Blut durch ihren Koerper, diffundiert durch Zellwaende und wieder zurueck, benuetzt ihre Nervenbahnen zum schnellen Transport in ihren Bestimmungsort. Im Hirn sammelt sie sich wieder. Sie besinnt sich und checkt die Speicher ihrer Gefuehle. Die sind voll. Das gibt ihr das noetige Vertrauen. Wenn sie das Nichts, als nichts begreift, dann kann sie sich auf nichts verlassen. Doch Wellen brauchen nicht viel, und ihr Pontential ist gross. Sie pflanzen sich fort, koennen sich arrangieren, kommen entweder als Echo zurueck oder reisen durch die Leere. Sie koennen sich sammeln oder divergieren und sind schwerelos.
Sie gleited hinunter in ihren Bauch. In seiner Tiefe findet sich eine Hoehle und darin ein wundersamer, angenehm warmer See. Er liegt geschuetzt in seinem Becken und lockt sie an ein Bad zu nehmen. Sie entledigt sich aller Habseligkeiten, die sie noch an sich hat. Nackt taucht sie hinein in seine Fluten. Fliessende Seide huellt sie ein und sie schwebt in Schwerelosigkeit. Sie laesst sich treiben, das Wasser spuelt alles fort, alles Unangenehme und alle Sorge. Es ist still, nur manchmal fuehlt sie das Rippeln sanfter Wellen, nur manchmal hoert sie deren Geraeusch als bewegten sie feinen Sand an fernen Straenden oder plaetscherten sie an glatten Felswaenden.
Eine Stroemung erfasst sie. Sie laesst es geschehen. Sie will nicht laenger verweilen. Sie ist auf dem Weg, wer weiss wohin. Die Stroemung wird stark und staerker, sie koennte sich, auch wenn sie’s wollte, nicht mehr daraus befreien. Die Zeit bleibt weit hinter ihr zurueck. Das Kohlrabenschwarz ist ihr neuer Begleiter. Dann ploetzlich bemerkt sie, dass da, wo eben noch Wasser war, ein Vakuum entstanden ist. Da ist auch keine Stroemung mehr. Stattdessen wirkt auf sie ein Sog, rund um sie und gewaltig.
Ist das das Ende ihres Trips? Sie beginnt sich aufzuloesen. Nichts bleibt von ihr zurueck.
Nichts? Das ist immerhin Etwas. Wellen pflanzen sich fort. Diesseits und Jenseits, Drinnen und Draussen.