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DNS II, Kapitel 6, Teil 8

Posted by on in Buch Kapiteln

Femina’s Schlaf war allerdings unruhig. Sie weiss manchmal nicht, ob sie wach ist, oder traeumt. Traum und Wirklichkeit gehen ineinander ueber, ohne Grenzen oder Anhaltspunkt, wo das eine endet und das andere beginnt. Es ist ein Zustand, wo alles wirklich ist oder alles ein Traum. Sie glaubt, Dan neben sich zu fuehlen und vermeint, von allerlei Stimmen und Kommotionen aus ihrem Schlaf gerissen worden zu sein, doch wahrscheinlich hat sie das getraeumt oder sie leidet an Halluzinationen. Ihre Sinne scheinen zu funktionieren, auch ihr Verstand scheint in Ordnung zu sein, nur den Zeitsinn hat sie verloren, und sie vermag nicht zu differenzieren, was die Realitaeten betrifft. Sie laesst es dabei bewenden, denn da ist ohnehin nichts, was sie dagegen tun koennte. Sie weiss nur, dass sie im Moment, und wieder einmal, im Nirgendwo wandert, Traum oder Wirklichkeit, eines grad so gut, wie das andere.

Sie wundert sich, wo wohl der Mond geblieben sei und warum die Nacht ploetzlich so dunkel geworden ist und warum es nicht einmal Sterne gibt. Hat Dan vielleicht die Balken dicht gemacht? Sie greift um sich, aber Dan ist ganz gewiss nicht an ihrer Seite! Sie steht daher auf und tastet sich zum Lichtschalter. Stimmt! Die Laeden sind geschlossen, doch weder Dan noch Ger sind hier. Das heisst also, ihre Freunde sind hier gewesen und wahrscheinlich hat sich dabei Wirkliches in ihren Traum gemischt! Aber ..... sie horcht auf..... da sind noch immer Geraeusche und Stimmen, wenn auch nur wie ein fernes Echo, das im Ausklingen ist. Sie loescht sogleich wieder das Licht und lauscht. Eigenartigerweise kommen die Toene von unten, vom Fussboden, oder eher aus einem verborgenen Lueftungsschacht nahe dem Fussboden, den man eben nicht sofort sieht. Langsam und ohne selber ein Geraeusch zu machen, tastet sie sich weiter hinein ins andere Zimmer, von wo sie glaubt, dass die Laute kommen und stolpert dabei ueber eine Unebenheit. Das ist voellig unerwartet, denn sie kann sich an keine Schwelle erinnern, weder im Tuerstock, noch sonst irgendwo.

Sie kniet nieder, ertasted einen harten Rand, folgt ihm entlang und spuert eine Rille, die sich zum Spalt oeffnet, aus dem eben jene Laute kommen, denen sie auf der Spur ist. Es kann sich hier nur um eine Falltuere handeln, die jemand wohl aufgemacht, aber, mit oder ohne Absicht, nicht wieder voellig verschlossen hat. Nach einigem Hin und Her, in diese und jene Richtung, gelingt es ihr, sie voellig zu oeffnen, lautlos und sogar ohne Muehe, denn sie besteht aus einer relativ duennen Platte, die sich leicht verschieben laesst. Sie laeuft offensichtlich auf sorgfaeltig gepflegten Achsen und Schienen, und, wenn geschlossen, fuegt sie sich derart unauffaellig in den Boden ein, dass es nicht den geringsten Hinweis auf sie gibt. Wieder eines dieser Dinge, erstaunlich, verblueffend und trickreich, die Femina beeindrucken, - und – sie fragt sich, wie man sie wohl oeffnet, wenn sie fest verschlossen ist! Jetzt allerdings gewaehrt sie Zutritt zu einen Schacht, der nur ganz spaerlich beleuchtet ist, mit einer kurzen Leiter, die auf einem kleinen Plateau landet, von dem dann enge Spiralstufen weiter nach unten fuehren. Nur eine Person kann sich darin bewegen, also nur einer nach dem anderen kann rauf oder runter und es ist unmoeglich weiter nach unten zu sehen, da die Treppe zwischen festen Mauern verlaeuft.

Femina will natuerlich wissen, wohin dieser geheime Schacht fuehrt. Sie ist nicht verwundert, dass es ihn gibt, nur ueberrascht, es hier zu finden. Freilich, Oliver ist Wilson’s Darling, und das kommt mit Privilegien. Wie dem auch sei, sie will zwar nicht, dass man sie entdeckt, doch was koennte schon passieren, folgt sie doch nur Oliver’s Spur, die er, wahrscheinlich ungewollt, hinterlassen hat. 

Vorsichtig, langsam und auf blossen Fuessen, steigt sie die Leiter hinunter und folgt dann der engen Wendeltreppe, ohne auf den Betonstufen auch nur das geringste Geraeusch zu machen. Sie muss hin und wieder absetzen, denn es ist warm und das Rundum macht sie schwindlig, und die Knee brauchen ebenfalls Rast. Die Stimmen werden jedoch zunehmend lauter, und dann ploetzlich gibt es auch mehr Licht. Kurz danach endet die Spindeltreppe und sie steht vor einer Wandoeffnung, im vollen Schein von Neonlicht, das so hell ist wie der Tag. Man kann auf eine kleine Platform rausgehen, mit einer anderen steilen Treppe, die weiter nach unten fuehrt, doch diesmal auf normalen Stufen und mit einem Gelaender als seitliche Absicherung. Von dort unten kommen die Geraeusche und Stimmen, und da der Raum recht hoch ist mit festen Mauern rundum, erklaert es auch das Echo, das durch den geheimen Schacht nach oben schallt.

Sie kauert sich auf den Boden, um einen Blick nach draussen zu werfen, und dann, auf dem Bauch wie eine Raupe, kriecht sie vorsichtig hinaus auf die Landung. Sie schaut hinunter auf eine gutausgestattete kleine Werkstatt, mit Regalen und Werkbaenken, so wie es sich gehoert, angefuellt mit Werkzeugen und Geraeten, sowie halbzerlegten Motorraedern, Motoren und allerlei Zubehoer, und einem grossen Arbeitstisch in der Mitte. Auf Drehscheiben, nahe seinem Rand, niedlich aufgereiht rund um ihn herum, stehen lebensgrosse Figuren, die man nicht nur drehen, sondern auch, offensichtlich mit Hilfe hydraulischer Pressen, heben und senken kann, und an denen eine Gruppe Maenner emsig herumwerkt. Sie vergewissert sich, bevor sie sich auf eine laengere Beobachtung einrichtet, dass das Gelaender genug Schutz bietet, um nicht sofort gesehen zu werden, sollte jemand, unerwartet, nach oben schauen. Sie nimmt allerdings an, dass das nur dann der Fall ist, wenn sie Anlass dazu geben wuerde, wie durch zu schnelle oder zuviel Bewegung, oder irgendeinen Laut. 

Nicht nur Oliver und ihre beiden Freunde sind dort unten, sondern auch Wilson und seine zwei Leibwaechter. Sie wundert sich weniger ueber Wilson’s Anwesenheit, denn ueber die beiden, sind sie doch immer und ueberall dabei. Sie sind wohl seine Lebensader, ohne die er nicht ueberleben  wuerde, weil er wahrscheinlich mehr Feinde als Freunde hat. Freilich, in einem Rudel wilder Tiere gibt es stets Positionskaempfe. Warum sollte es hier anders sein!

Femina findet es zudem mehr als eigenartig, wie eifrig die Maenner an diesen Figuren arbeiten. Da wird poliert und geschliffen und geschraubt, grad so, als wollten sie diese auf Hochglanz bringen, ja grad so, als wollten sie irgendwelche Preise gewinnen, mit solcher Hingabe und Aufmerksamkeit sind sie bei der Arbeit; und so wie sie die Figuren hin und herdrehen, stellt Femina mit Erstaunen fest, dass diese das Abbild der Person sind, die an ihnen arbeitet. Und um sie noch mehr zu verwirren, die Figuren sprechen, nicht die arbeitenden Maenner! Die Stimmen klingen ein bisschen hohl, es ist jedoch kein Problem sie auseinander zu halten. Da sind aber auch noch Stimmen, die ueber einen Lautsprecher kommen. Sie fragt sich, ob sie es hier mit Hologrammen zu tun hat, denn das Ganze ist mehr als bizarr. Wer, oder was da echt ist, das heisst, wer von den Anwesenden Fleisch und Blut hat, ist ihr nicht klar, denn waehrend die Abbilder bestens poliert und lebensecht aussehen, kann man das von ihren Adjudanten nicht sagen. Die sind rotaeugig und rohhaeutig, ungepflegt und unattraktiv und ausserdem sind sie stumm. Die Gespraeche drehen sich vorwiegend um Alltaegliches, Angelegenheiten und  Anliegen der Organisation, das heisst, es ist vorwiegend Wilson, der sich ueber das Intercom mit nicht anwesenden Desperados unterhaelt, ihnen Anordnungen gibt, oder sich berichten laesst. Oliver hat des oefteren etwas beizutragen. Die Leibwache, Dan und Ger sind nur selten aktiv mit im Gespraech. 

Femina findet das Ganze zwar ungewoehnlich, aber es ist friedlich. Es erinnert sie an Maenner, die gemeinsame Interessen haben und in der Garage zusammensitzen, um sich ihrem Hobby zu widmen, waehrend der Hausherr ueber die Sprechanlage anstehenden Geschaeften nachgehen kann. Das interessiert sie allerdings wenig und sie beschliesst, sich zurueckzuziehen, als sich  ein „Mac“ zum Berichterstatten meldet:

„Hei,“ sagt er, „Mac hier. Will dir nur mitteilen, wir sind alle zurueck und okay. Waren Devil Infiltranten. Wir haben ein paar ihrer Anhaengsel, der Rest ist normale Ware, alle gute Qualitaet.“     

„Wieviele habt ihr zurueckgebracht und wie willig sind sie?“ hoert sie Wilson’s Stimme fragen. 

„Zwanzig,“ kommt es aus dem Lautsprecher, „und zwei davon voellig unbeschaedigt.“

„Abfall?“

„Nicht der Rede wert. Drei Ratten haben ihren Flug vom Dach genommen. Einer ist im Verhoer. Fuenf der Anhaengsel sind zum Verkauf, die zwei Intakten fuer die Auktion, der Rest ist happy mit unseren Freunden zu spielen. Transport zurueck morgen fuer ein paar, die anderen je nach Bedarf.“

„Okay!“ Wilson’s Stimme klingt zufrieden. „Sendet den Devils ein Andenken! Verfuettert den Rest!“

Femina beginnt zu wuergen. Sie zieht sich sofort in den Schacht zurueck und bemueht sich, nur ja keine Laute von sich zu geben. Sie moechte am liebsten nach oben stuermen, aber ihr ist uebel und sie zittert am ganzen Leib. Und doch! Sie will nichts mehr hoeren, sie will nur weg. Sie versucht, sich zu beruhigen, indem sie ein paar tiefe Atemzuege nimmt. 

Vom Lautsprecher kommt wieder eine Stimme: „Wilson, einige von uns wollen wissen, was mit der Fremden geplant ist. Ist sie zu haben? Nicht jetzt, aber vielleicht spaeter?“

Femina erstarrt, schliesslich kann es sich bei der „Fremden“ nur um sie handeln. Oder leidet sie bereits unter einem Verfolgungswahn? 

Wilson’s Antwort in scharfem Ton hat etwas Drohendes in sich. „Lass alle wissen, dass sie unter meinem persoenlichen Schutz steht! Das ist alles! Ende und Aus!“ 

Der Lautsprecher verstummt.

„Sie ist auf keinen Fall sicher!“ hoert sie Wilson’s Stimme sagen. „Lasst sie nie allein! Nicht einmal in deinem Quartier, Oliver. Zuviele Interessenten!“

Femina wartet keine Minute laenger. Egal wie uebel ihr ist, es gibt keine Zeit zu verlieren. Allerdings, so wie sie nach oben eilt, nimmt auch die Uebelkeit zu. Freilich, das ist mehr ihrer Atemlosigkeit zu verdanken, als sonst irgendwas und, diesmal ist der Weg zurueck unendlich lange. Schliesslich steht sie doch vor der Leiter und mit letzter Anstrengung hantelt sie sich hoch. Wenigstens hat sie genug Adrenalin in sich, um nicht im Endspurt ihre Umsicht zu vergessen. Alles soll so sein, wie die Maenner es verlassen haben, auch die Falltuere. Sie laesst sie grad so offen, wie sie sie vorgefunden hat. Endlich im Bett, konzentriert sie sich auf ihren Atem. Sie muss sich schnellsten beruehigen, denn sie ist sicher, sie hat nicht viel Zeit, bis jemand auftaucht, um nach ihr zu sehen.

Zudem gibt es in ihrem Kopf nichts wie Tumult. Sie hat also recht mit all ihren Vermutungen! Natuerlich, wie koennte es anders sein! Hier ist nichts billig zu haben. Hier gibt es nichts geschenkt. Auch das Vergnuegen hat seinen Preis, und man bezahlt fuer alles mehr, als man glaubt. Unter Wilson’s Schutz zu stehen mag teuer werden, teurer jedenfalls als sie oder ihre Freunde es sich vorstellen koennen, falls er ueberhaupt dazu steht. Sein Wort ist nicht mehr wie Katzengold. Grad so wie sein Charm; alles sitzt nur an der Oberflaeche. Leider ist ihr nun auch klar geworden, dass er und ihre Freunde wesentlich mehr gemeinsam haben, als ihr lieb ist. Wie sonst koennten sie eintraechtig im Keller zusammen sitzen, wo sie ihr Image polieren, waehrend sie fuer sich selber nicht viel uebrig haben. Arme Maedchen! Unglueckseliger Infiltrant! Ihr Schicksal ist besiegelt, sowie das aller Gegner und erst recht das von Feinden, denn wer seinem Aeusseren mehr Aufmerksamkeit schenkt, als er Wert auf sich selber legt, schaetzt nichts und niemanden. Leben hat keinen Wert! Abfall, wie Wilson sich ausgedrueckt hat. So schaffen sie sich ihre grausame Welt, schieben aber die Schuld dafuer auf andere. 

Tiefe Traurigkeit und Traenen steigen in ihr hoch. Freilich, die helfen weder den Gequaelten, noch ruehren sie die Quaeler, aber sie kann wenigsten darin ihre Gedanken verschicken, bis der Fluss sie reingewaschen hat, und nur mehr Sediment uebrig bleibt, als Nahrung fuer die schoenen Wasserlilien und die bunten Fische.

Wie schwarz die Nacht ist, so ohne Licht und weggeschlossen hinter Steinmauern und Fensterbalken! Sie hoert weiter auf ihren Atem. Sie lauscht, auch wenn sie nur Bewegung hoert, mit seinem Ein und Aus. Er ist ihre Wiege und ihr Wiegenlied, mit seiner Stimme eine sanfte Welle, - was macht es schon aus, dass die Nacht so finster ist, so ohne Mond und Sterne.

Fuer einen Moment herrscht auch Stille, doch wie lange ein Moment sein kann, ist relativ. Unruhe, Geraeusche und Stimmen sind mit einem Male wieder da und draengen sich in ihr Bewusstsein. Der Schein einer Taschenlampe tanzt ueber sie hinweg. Sie ruehrt sich nicht, atmet ruhig weiter. Ihr Haar bedeckt teilweise ihr Gesicht, wie ein Vorhang, der die Strahlen der Sonne einfaengt und den Schlafenden weitertraeumen laesst. 

„Alles okay“, hoert sie eine Stimme wispern, dann das Geraeusch einer sich oeffnenden Tuer und wie sie sich schliesst. Danach macht jemand Licht, ein Zeichen, dass sich alles wieder zum Normalen wendet. Stuehle werden gerueckt, und, wenn auch nur sehr leise, beginnt eine Unterhaltung, Dan und Ger, wie anzunehmen ist. Sie unterbrechen sich nur, wenn sie zwischendurch einen Schluck nehmen, begleitet vom Getoen ihrer Flaschen. 

Femina kann nicht wirklich verstehen, worueber sie sich unterhalten. Hin und wieder faengt sie Worte auf, Fragmente, mit denen sie sich manches zusammenreimen kann, nur ist es muehselig und ermuedend und ist die Muehe nicht wert. Eines hat sie jedoch mitgekriegt, naemlich, dass sie unbedingt das Halsband anlegen soll, nicht nur weil es notwendig sei, sondern auch als Zeichen ihrer Zuneigung fuer Dan, oder Loyalitaet, oder was der Teufel sonst. ‚Er brenne‘, so glaubt sie, hat er seine Gefuehle fuer sie deklariert, was auch immer das heissen mag.

Sie rollt zur Seite, versucht zu schlafen. Bis jetzt hat sie wenig Ruhe gefunden. Wer weiss, wie sich die restliche Nacht noch entwickeln wird. Und so ist es denn auch. Grade als sie an der Schwelle schlaefrigen Hinuebergleitens ist, holt Dan sie wieder zurueck. Er schluepft an ihre Seite, presst sich ganz fest an sie und schlingt einen Arme um sie. Seine Lippen im Nacken sind warme aufregende Kuesse. Und sie hat geglaubt, dass er diesen Abend nur mehr betrunken ins Bett fallen wird! Freilich, das ist nur den Pillen zu verdanken, die er genommen hat, weil sie ihn ‚aufmuntern sollten‘, so aehnlich hat sich doch Ger ausgedrueckt, als sie sich fuer den Weg zurueck in die Burg fertigmachten. Noch ist sie nicht sicher, was seine Absichten sind, doch das spielt keine Rolle mehr, denn ihre haben die Wahl getroffen. Gruenes Licht also fuer ihre Sinne und gruenes Licht fuer Dan; armer Ger im Zimmer nebenan! Als sie endlich wieder zur Ruhe kommen, macht sie eine entsprechende Bemerkung, doch es stellt sich heraus, dass Ger garnicht anwesend ist. Oliver hat nach ihm verlangt und so ist er gegangen und seitdem nicht mehr zurueckgekommen, wie sie weiss. Sie lachen, wenn auch nicht unbedingt aus dem selben Grund.

Dan ist allerdings rastlos. Sie fuehrt es auf die Drogen zurueck, die er in sich hat, doch er versichert ihr, dass das, was er genommen hat, weniger damit zu tun hat, als dass er etwas mit ihr besprechen muesste. Er sei mit sowas noch nie konfrontiert gewesen, und reden falle ihm ohnehin nicht leicht, schon garnicht ueber solche Sachen. Sie schaut ihm in die Augen. Da ist nichts drin wie Verlegenheit, wie das mit vielen Maennern so ist, wenn sie persoenliche oder heikle Anliegen zur Sprache bringen sollten. Wie auch immer, Femina weiss ohnehin, was er will und was sie darauf zu sagen hat. Doch es spricht fuer ihn, dass er wenigstens versucht, mit ihr zu reden. Schliesslich koennte er sie ohne vieler Worte zwingen, zu tun, was man von ihm erwartet, dass er tut, naemlich sie in Ketten legen. Sie wuerde es ihm freilich nicht leicht machen, doch sie kann von niemandem Hilfe erwarten, waehrend seine Welt in Solidaritaet hinter ihm steht.

„Okay,“ sagt sie, „was gibt’s, was hast du auf dem Herzen?“

Er rollt herum, langt nach seinen jeans und sucht in den Taschen. Dann dreht er sich wieder zu ihr, und streckt ihr seine zur Faust geschlossene Hand entgegen. Waehrend er sie langsam oeffnet, blickt er sie forschend an, wohl um ihre Reaktion zu sehen. Da ist sie also diese Kette, um die soviel Aufhebens gemacht wird! Sie laechelt ueberrascht, denn er hat sich durchaus was besonderes einfallen lassen, wenn vielleicht auch nur aus Notwendigkeit.

„Es sind einige Knoepfe von meiner Weste, die ich mit einer Schnur aufgefaedelt hab, sodass ich ich die Laenge anpassen kann und sie niedlich am Hals sitzt. Ich hab leider nichts anderes bei mir, aber es erfuellt den Zweck. Nimm sie,“ sagt er, „die Kette ist ein Symbol der Liebe. Es ist eine Ehre fuer jede Frau, eine Kette zu tragen. Frauen ohne sie, sind vogelfrei. Unsere Maenner geben nur jenen ein Halsband, die sie schaetzen.“

Femina hoert aufmerksam zu und jedes Wort mitsamt seinen unterschwelligen Vibrationen wird in ihrem Gehirn sorgfaeltig seziert und registriert. Sie schuerzt ihre Lippen. Was er sagt, klingt einladend, aber das ist nicht alles, was zu hoeren und zu verstehen ist. Sie gesteht ihm zu, dass er seine Ware gut verkauft, was wohl daran liegt, dass er tatsaechlich glaubt, was er sagt. Allerdings verschweigt er einige Details, nur, wen kuemmert das schon! Er muss ihr die Kette anlegen, so oder so, hauptsaechlich, um sein Gesicht zu wahren! Mit Liebe hat das nicht viel zu tun!

„ W a s  bedeuted es fuer mich, wenn ich das Halsband trage?“ fragt sie

„Es gibt dir Respekt und Sicherheit in unserer Gesellschaft. Sollte jemand wagen, dir nahe zu treten, versetzt er sich ins Unrecht. Es ist meine Pflicht, Dich zu beschuetzen.“

„ W a s  bedeutet es fuer dich, wenn ich das Halsband trage?“ fragt sie weiter.

„Dass du mir gehoerst. Dass ich stolz auf dich bin und ich dich liebe.“

Sie nimmt einen tiefen Atemzug und sieht ihn nachdenklich an. Es ist, als saehe sie ihn zum ersten Male, attraktiv verpackt, doch Bitterschokolade. Dann sagt sie langsam und ihre Stimme klingt dumpf:

„Du sprichst von Liebe, aber du meinst Besitz. Das Halsband ist ein Symbol der Unterwerfung! Liebe bedarf keines Symbols, egal welcher Art und schon garnicht dieser! Halsband, Kette, Zugehoerigkeit, Abhaengigkeit, Ehre oder Pflicht, was hat das mit Liebe zu tun!?“

Er faehrt hoch und starrt sie an, als sei er von einer Tarantel gebissen worden.

„Du verstehst nicht! Du verstehst mich nicht! Nicht ein bisschen!“ Er haelt kurz inne und faehrt fort: „Freilich, du bist eine Fremde... wie koenntest du schon verstehen!“

„Nein,“ erwidert sie, „ich verstehe sehr gut, sowohl dich, wie deine Gesellschaft. Und ja! Natuerlich! Ich bin eine Fremde! Das heisst aber auch, dass du  m i c h  nicht verstehen kannst. Vielleicht soll ich dir was von meiner Welt erzaehlen und dann werden wir sehen, ob wir uns verstehen koennen, oder eben nicht.“

Er nickt, doch Femina hat den Eindruck, dass es ihn nicht wirklich interessiert, oder, sie hat ihn aus der Fassung gebracht und er ist mit sich selber beschaeftigt. Na ja! Sie kann zumindest versuchen, sein Interesse zu wecken.

„Also,“ sagt sie, „beginnen wir mit Liebe, von der die Rede war: Liebe bedeutet fuer mich nicht Hingabe, sondern einfach nur geben, freiwillig, grosszuegig; ohne Belohnung. Es ist fuer mich wesentlicher, dass ich liebe, als dass ich geliebt werde. Natuerlich, versteh das nicht falsch, wenn jemand mich zurueckliebt, das ist ideal, das wuenscht sich doch jeder, aber wenn ich fuer eine Person nicht Liebe empfinde, hat die Liebe, die mir die Person entgegenbringt, nicht denselben Stellenwert. Zu lieben bedeutet allerdings nicht, dass man sich Rechte erwirbt. Liebe stellt keinen Anspruch, es gibt keine Erwartung, sie verpflichtet niemanden. Mich macht Liebe frei! Sie legt mich nicht in Ketten. Auch nicht in Halsketten. Und eines ist gewiss:  Ich gehoere niemandem!  Noch will ich jemanden in Besitz nehmen!   Ein Paar ist zusammen, weil es  zusammen sein will! Freilich! Es muss deshalb nicht aus Liebe sein. Sehr oft natuerlich ist es zum Zweck der Fortpflanzung, was die Natur klugerweise nicht dem Zufall ueberlassen hat. Sie regelt es mit Hormonen. Nur heute braucht man dafuer kein Paar mehr zu sein. Heute hat man Sex zum Vergnuegen und Nachkommenschaft kann man sich aus dem Gefrierschrank holen. Liebe ist, so oder so, keine Voraussetzung, um fuer Nachwuchs zu sorgen. Doch Liebe wurde immer schon, und wird nach wie vor, missverstanden und missbraucht. Nur! Ich kann es einfach nicht vertragen, wenn man von Liebe redet, wo eigentlich keine ist, denn Liebe ist fuer mich das ‚Um und Auf‘ aller Dinge. Sie ist eine  U r k r a f t , ohne die nichts existieren kann. Damit ist Liebe universell, aber damit beginnen auch die Probleme, denn jede Gesellschaft verpasst ihr Normen, die ihrer eigenen Ideologie und moralischen Auffassung entspricht. Leider entsteht dabei nichts wie Verwirrung und - Schlimmeres.“ Kurzes Innehalten, nicht laenger wie ein Atemzug, aber als Nachdruck fuer einen anderen Punkt, den sie zur Sprache bringen will.

„Nun zu Gesellschaft: Deine Gesellschaft, so wie ich es sehe, ist nach wie vor in der traditionellen, animalistischen Ideologie verankert, wo Koerper, oder besser, Materie und alles Materielle, an erster Stelle steht, waehrend die anderen Dimensionen des Lebens, geistiger Natur, entweder ueber- , oder unterbewertet, jedoch immer missverstanden, dahinvegetieren. Das ist aber weder zweckdienlich, noch tragbar, zumindest nicht mehr. Ob du es willst oder nicht,  Evolution bedingt Aenderung und was sich nicht aendern kann oder aendern will, stirbt aus. Obendrein gibt’s da noch das Problem, dass ihr eure Welt in zwei Teile spaltet, die sich stets in den Haaren liegen: Mann oder Frau, Koerper oder Geist, Gut oder Boese, Leben oder Tod. Das eine versucht ueber das andere zu dominieren, das eine wird bevorzugt, das andere abgelehnt. Es endet immer nur in Streit und Konfrontationen. Kein Wunder, dass man hier mit Gewehren rumrennt. In meiner Welt gibt es zwar auch die zwei Teile, doch sie stehen in verbindlicher Beziehung zueinander. Es gibt das UND:  Mann  und  Frau;  Koerper  und  Geist; Gut  und  Boese;  Leben  und  Tod.  Wir sprechen von Menschen, von Leben, Elementarkraeften und von Existenz. Das UND schafft Einheit, es macht uns ganz. Das UND muss das ODER abloesen! Ist das nicht der Fall, wird’s keine Nachkommen unserer Art geben, produziert auf die natuerliche Weise, sowie im Labor.“

„GENUG!“ faehrt Dan aufgebracht dazwischen. „GENUG! Wovon redest du ueberhaupt? Aggressionen unter den Menschen hat es immer schon gegeben, aber deshalb rotten sie sich doch nicht aus! Und ja, mag schon sein, dass man heute seine Kinder im Labor fabrizieren kann, aber ich will damit nichts zu tun haben. Ich will Nachkommen zeugen, so wie es sich gehoert! Ich will eine Familie haben, mit einer Frau, die gluecklich ist, ihr Leben mit mir zu verbringen. Ich bin ein Mann, dem das Seine was bedeutet und ich bin stark genug, es zu schuetzen und zu verteidigen, wenn es sein muss. Ganz gewiss ist das nicht mit dir! Offensichtlich nicht! – Aber, wir haben vom Halsband geredet! Und du redest von Dingen, die im Moment voellig unwichtig sind. Und noch dazu....., ich weiss nicht einmal wie ich es nennen soll, ....Unsinn, Bloedsinn, Blasphemie, wenn nicht alles zusammen! Ich hab noch nie von einer solchen Gesellschaft gehoert, die den Koerper ablehnt und die Gesetze der Natur! Aber wenn schon.....“, er macht eine wegwerfende Handbewegung, „eines steht fest, - wenn du das Halsband ablehnst, sagst du nein zu mir, und generell, zu Mann, Familie und Recht und Ordnung. Tatsaechlich! Du bist verrueckt! Nein, schlimmer noch! Du bist mein Feind, nicht nur eine Fremde. Lass dir gesagt sein: Ohne Halsband will ich dich nicht! Du kannst dich zum Teufel scheren!“

Easy rider? Nicht doch! Aktion vom Kriegsschauplatz schon eher! Maennerwahn, zum Teufel damit!

„Nun,“ sagt sie und verzieht spoettisch ihren Mund, „hab ich dir als Feind nicht gerade noch zuvor grosses Vergnuegen bereitet? Und du, mein Feind, hast du nicht Bomben geworfen, ohne Schaden zu verursachen? Wo siehst du eine Abneigung gegen alles Koerperliche und wo bin ich dein Feind? Diese Art Feindschaft ist doch kein Problem, oder?“

Er starrt sie an, schweigt verbissen, als wuesste er nicht, was er darauf sagen sollte. Dann langt er nach seinen Zigaretten, steckt sich hastig eine in den Mund, zuendet sie an, nimmt einen tiefen Zug und atmet mit Nachdruck aus. Schweigsam und hastig raucht er weiter. Sie wuerde gerne fortfahren, denn sie hat noch lange nicht alles gesagt, was zu sagen waere. Andererseits, er kann ruhig im eigenen Saft schmoren. Hat sie nicht immer schon gewusst, dass diese Affaere frueher oder spaeter enden wuerde? Besser, sie schenkt der praktischen Seite ihrer Situation Aufmerksamkeit, als sich ueber das Wenn und Aber einer sich ohnehin bereits im letzten Atemzug befindlichen Beziehung Gedanken zu machen. Also wie sieht es aus? Braucht sie ihn, um aus ihrer gegebenen Zwangslage heil raus zu kommen? Mag schon sein. Mag sein, dass sie einen Kompromiss mit ihm eingehen muss. Seine verwirrten Gefuehle fuer sie sind nicht das Problem! Wilson ist! So betrachtet sitzen sie und ihre Freunde in einem Boot. Es wird eher der Zusammenarbeit beduerfen, denn auf Prinzipien zu bestehen.   

„Okay!“ meldet sich Dan. Offensichtlich hat er wieder seine Sprache gefunden. „Wenn du das Halsband schon nicht nehmen willst, weil du mich nicht genug liebst, ..... ich kann dir nur versichern, ich hatte urspruenglich keine Absicht, es dir anzubieten und schon garnicht, dich dazu zu zwingen, ....obwohl....,“ erneutes Zaudern, um die richtigen Worte zu finden..., „ich bin inzwischen....., ach was, kurz gesagt, ich habe meine Meinung geaendert, oder besser, ich hatte meine Meinung geaendert, .......nur das ist nicht das Ausschlaggebende!“ Und wieder haelt er  inne, um dann mit fester Stimme fortzufahren: „Du bist dir wahrscheinlich nicht im Klaren, wie gefaehrlich es hier fuer dich ist. Aber ich will nicht, dass dir etwas passiert. Dazu hab ich dich zu gerne. Allerdings! Jetzt steht fuer mich fest, ich will nicht mehr mit dir weiterreisen. Bloss jetzt ist nicht der richtige Moment dafuer, denn wie gesagt, du weisst nicht,  w i e gefaehrlich die Desperados sind. Und glaub mir, nur weil Wilson dir schoene Augen gemacht hat, heisst das noch lange nicht, dass dir nichts passieren kann. Selbst er weiss das.“

Sie ist verbluefft. Wie bitte? Wilson ist doch die groesste Gefahr! Sieht er das denn nicht? Erneut fragt sie sich, ob ihr Freund wirklich so naiv ist, oder was in seinem Kopf vorgeht, doch sie laesst es ohne weiteren Kommentar dabei bewenden. 

„Dan“, erwidert sie frostig, „ich mach mir keine Illusionen. Aber warum nicht gleich offen mit mir reden? Stimmt! Unsere Wege trennen sich, bloss muessen wir erst mal weg von hier. Abgesehen davon, ich habe nie eine gemeinsame Zukunft mit dir im Auge gehabt. Ich dachte, das waere klar. Jetzt frage ich mich jedoch, ob du mich je so gesehen hast, wie ich bin? Wahrscheinlich nicht! War bis jetzt nicht noetig, nicht wahr? Jetzt allerdings bestehe ich darauf. Nein, ich bin es mir schuldig: Nicht nur du lehnst mich ab, weil ich dieses Ding nicht freiwillig tragen wuerde, sondern auch ich lehne dich ab, weil du ueberhaupt von einer Frau erwartest, es zu tragen. Ich liebe dich fuer das was du bist! Aber das ist auch schon alles. Wir koennten nie zusammen leben, nicht als Paar jedenfalls. Siehst du, wir verstehen uns, als Reisegefaehrten, aber nicht fuer mehr.“

Er schweigt. Dann rollt er seine Augen und zuckt mit den Schultern, scheint jedoch das Gesagte ohne grossen Groll hinzunehmen, herablassend zwar, doch irgendwie auch erleichtert. Er ist jedoch neugierig geworden: „Was hast du bloss gegen mich und meine Welt, so wie die Natur es vorgesehen hat? Ich bin doch kein Monster und du liebst mich doch auf deine Art, wie du es ausdrueckst. Das ist doch widerspruechlich!“ Er haelt inne, schuettelt den Kopf. „Ach was! Alles viel zu kompliziert! Aber wenn wir schon dabei sind, was hast du  w i r k l i c h  an unserer Ideologie, so wie du es nennst, auszusetzen? Bist du vielleicht eines dieser Laborkinder?“

Ein Schatten faellt ueber sie und ihre Augen wandern in die Ferne, vorbei an Dan und durch alle Mauern. Es ist lange her, dass sie so unmittelbar an ihre nebulose Herkunft erinnert wird und es ist, als habe man sie an den Rand eines Abgrundes gestossen, wo sie sich grade noch vor dem Abstuerzen retten kann. Dort unten irgendwo mag zwar ihr verloren gegangenes Gedaechtnis liegen, nur wenn sie tot ist, nuetzt es ihr wohl nicht. Aber das, was ihr hier zur Verfuegung steht, weist eben leider immer noch mehr Luecken auf, als Material:  -  Sie hat, nach wie vor, ausser einigen Anhaltspunkten, keine Ahnung, was ihre Herkunft betrifft. 

Waehrend sie in die Tiefe starrt, als liesse sich dort vielleicht doch ein Hinweis finden, verspuert sie den Hauch eines kuehlen Atems in ihrem Gesicht. Taeuscht sie sich oder ist es ein Zeichen, dass es dort, tief unten, tatsaechlich Leben gibt, dessen Waerme sich bloss im Aufstieg verliert? Sie wartet, ihre Sinne gleich Satellitentischen, die auf Signale aus dem Weltall lauschen. Sie melden allerdings nur den Hauch aus der lichtlosen Stille, der jedoch so wohltuend ihre Haut beruehrt, dass sie voellig still haelt und ihn durch ihre Poren diffundieren laesst, im Austausch gegen ihre inneren Stuerme. Es bringt ihr zwar nicht die spezielle Antwort, die sie sucht, doch ist es mehr als genug. Freilich, nicht fuer ihren Verstand, der will immer alle Daten haben; er braucht die speziellen Informationen. Aber sie ist im Moment einfach nur froh, zu wissen, dass ihr Gedaechtnis in seiner Vollstaendigkeit sehr wohl lebt und sie mit intuitivem Wissen fuettert, wenn es schon, aus welchen Gruenden auch immer, derzeit, nur Bruchstuecke freigibt, und es sich nicht in ihr Bewusstsein integrieren laesst. Ist sie also im Labor gezeugt worden? Vielleicht. Wahrscheinlich nicht! Oder doch? Sie stellt fest, dass sie es hier mit zwei Dingen zu tun hat, die sie besser auseinander haelt: Das WIE ihrer Zeugung ist fuer sie dabei garnicht so wichtig, nur die Umstaende ihrer Herkunft sind es schon. Natuerlich will sie ihr Gedaechtnis zurueckhaben, ohne Luecken! Und das nicht nur, um ihren Verstand zu fuettern, sondern, um sich ‚ganz‘ zu fuehlen, nicht wie ein loechriges Wesen, das kein zu Hause hat. 

Sie kommt zurueck aus der Ferne, Augen gross und weit. Alles ist verschwommen. Dan drueckt  ihre Hand. „Bist du okay?“ hoert sie ihn fragen. 

„Ja! Ja, ja! Ich bin okay.“ Er ist wieder in ihrem Blickfeld und sie sieht sein erschrockenes Gesicht. 

Er drueckt wieder ihre Hand. „Was ist passiert? Du warst voellig weg. Du bist richtig erstarrt und deine Pupillen waren ploetzlich total weit und du ganz blass.“

„Ach,“ sagt sie, „tut mir leid, dass ich dir Angst gemacht hab, aber eine deiner Fragen hat mich zu ploetzlich an etwas erinnert. Bin wieder voll da. Um auf deine Fragen zurueck zu kommen, .... nein! Ich hab absolut nichts gegen Mutter Natur, auch nicht gegen Maenner und Familie. Und schon garnichts gegen Kinder aus dem Labor! Leben ist Leben! Ich bin auch dafuer, dass Kinder Vaeter haben, nur, Familienkultur und Raumzeitalter stehen im Verhaeltnis zueinander wie Steinzeitkultur und Aufklaerung.“ Sie winkt ab, als er was sagen will. „Das ist kein Werturteil, sondern ein Vergleich! Abgesehen davon, Maenner sind nicht obsolet, nur das Patriarchat ist es. Warum ich Evolution ins Gespraech gebracht habe, war, um darauf hinzuweisen, dass Aenderung zwangslaeufig ist und das schliesst auch jedwede Ideologie mit ein. Deine Gesellschaft muss sich aendern! Unbedingt! Familie allein tut’s nicht mehr! Die Gattung Mensch ist an einem kritischen Punkt, es geht um ihr Ueberleben. Kleinkraemerisches Denken hat darin keinen Platz, Machtspiele ebensowenig. Deine Gesellschaft ist aber voll damit. Schlimmer noch, es mangelt ihr an Liebe! Auch wenn du, oder Ger, die besten Absichten habt, ihr koennt die Nachkommen nicht retten, ausser ihr stellt die Weichen neu. Und nein! Ich bin fast sicher, dass ich nicht im Labor gezeugt worden bin, aber moeglich ist es.“

„Du irrst, was Familie betrifft,“ widerspricht er tief ueberzeugt. „Sie ist der beste Platz fuer Nachkommenschaft. Sie sorgt fuer die beste Zukunft unserer Kinder. Aber sag, weisst du nicht wer deine Eltern sind?“

Sie zoegert mit der Antwort, entschliesst sich dann aber, sich an jene Realitaet zu halten, die sie mit ihm teilt. Alles andere ist ihr Problem, nicht seines.  

„Oh ich habe ‚Eltern‘!“, sagt sie daher, „nur, meine Herkunft ist mysterioes. Ich weiss, dass sie Adoptiveltern sind, gemaess all der Buerokratie, die damit verbunden war, nur fuer sie bin ich ihr Kind und sie sind rechtmaessige Eltern.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Andere Laender, andere Sitten! Dort ist das der normale Prozess, wenn man Kinder haben will.“

Er schuettelt den Kopf. „Unglaublich! Kein Wunder, dass du so verdreht bist. Du hast nie kennengelernt, was Familie ist. Adoptiveltern sind nicht dein Fleisch und Blut!“

„Nein, nein“, erwidert sie heftig, „ich weiss, was Familie ist. Adoptiert oder nicht, wir alle sind von Fleisch und Blut. Wir sind ganz gewiss Familie! Wohlgemerkt, die Natur selber ist ein Labor mit einem Kochtopf voll chemischer Suppen. Wir kommen alle aus demselben Topf, nur vielleicht nicht aus derselben Kueche. Und im Sinne von Eltern, - es sind gute Eltern, aehnlich dem, was du in deiner Gesellschaft als gute Eltern bezeichnen wuerdest. Abgesehen davon, das Biologische ist schliesslich nicht das Um und Auf, oder das einzig Ausschlaggebende! Aber..., ach was! Du hast recht! Alles viel zu kompliziert. Ich bin muede. Ich brauch ein wenig Schlaf. Wie steht’s mit dir? Noch immer auf dem Trip?“

„Ich glaub, ich bin beim runterkommen,“ sagt er und legt sich ruecklings an ihre Seite waehrend er seinen Arm unter ihren Kopf schiebt, so dass dieser in der Grube zwischen Schulter und Brustkorb Platz findet, als sie sich an ihn schmiegt. „Schlaf nur! Ich versuch‘s auch,“ sagt er und drueckt ihr einen Kuss auf’s Haar.

Sie schliesst die Augen. Es waere voellig unnuetz weiter zu diskutieren. Er hat seine Meinung. Nichts und niemand wird ihn davon abbringen. Im Patriarchat ist er der Koenig und kein Koenig gibt freiwillig sein Zepter her, man muss ihn schon dazu zwingen. Sie hat aber weder Lust, sich ihre Zunge in Fransen zu reden, noch die Absicht, einen Krieg anzufangen.  E r  muss sich aendern, nicht sie ihn.

Ihr fallen die Augen zu und der Strom ihrer Gedanken bricht ab, als sei er am Rande eines Kliffs. Dort wartet der Sandmann mit seinen vollen Taschen und streut wunderlichen Sand vor sie her. Femina beginnt darauf zu wandern, in Gefielde fremd und bizarr, zeitlos, ziellos, von einem Platz zum anderen, und manchmal sogar durch den schwarzen, luftleeren Raum.

Dicke Wolken tauchen auf. Sie sind schwer mit Regen, nehmen der Sonne alles Licht und sie stolpert ueber Wurzel und Steine. Nur noch ein kleines Stueck bis zum Gipfelkreuz! Doch der Wind macht ihr das Weiterkommen schwer. So sucht sie nach einem geeigneten Platz, um sich vor ihm und dem drohenden Gewitter zu schuetzen. Da sind aber nur schwarze Wolken, kniehohes Gebuesch und weit verstreut auf den Haengen, einige wenige niedrig krumme, vom Wetter gebeugte Baeume mit nadelduennen Blaettern, wenn nicht gar kahl. Dafuer gibt es haufenweis Steine, grosse wie kleine, glatte Kiesel und rundgeschliffene Ruecken, die aus dem Boden wachsen. Sie laesst sich hinter einem der groesseren nieder, auch wenn das nur wenig Schutz gegen Wind und Wetter ist. Zudem kriegt sie Gesellschaft. Eine andere Person, in oranger Kleidung erscheint auf dem Weg und kommt raschen Schrittes auf sie zu. Es ist BABA! Niemand koennte ihr mehr willkommen sein! Der Lungi bedeckt halbherzig seinen Koerper und seine Haut ist ganz blass. Sie glaubt, es sei die Kaelte, die seiner Haut das Blut versagt, doch, so wie er naeher kommt, sieht sie, dass es weissgraue Asche ist, zum Schutz gegen die ungnaedige Natur. Seine braunen Augen jedoch scheinen warm wie immer, grad so, als habe sich darin die Sonne versteckt. 

Er nimmt seinen Turban ab, ein laengliches Stueck orangen Tuches und gibt ihr zu verstehen, dass sie es gegen den Wind halten sollte, so gut es eben ginge, waehrend er ein paar Dinge aus seinem kleinen Buendel holt und ein Shilom baut. Das ist natuerlich nicht ganz so einfach in den Sturmboen und erst recht nicht das Anzuenden, aber schliesslich gelingt es doch und er nimmt ein paar Zuege bis das Ganja ebenmaessig glueht, dann haendigt er es ihr aus, waehrend er ihr sein Tuch abnimmt und es wie einen Schal um sie beide schlingt. So sitzen sie eintraechtig im Wind und sehen den Wolken zu, wie sie sich zu einer duesteren bleiernen Decke verstricken, die der Wind nicht mehr bewegen kann, weil sie zu schwer wird und zu sinken beginnt, tiefer und tiefer hinunter zum Tal, bis sie unter ihnen liegen bleibt, wie ein dunkles bleigraues Meer. Der Berggipfel, auf dem sie sich befinden, ragt daraus hervor wie eine Insel, und sie haben auch wieder einen blauen Himmel ueber sich, mit einer freundlichen Sonne, die auf sie niederlacht. Ploetzlich leuchten in der Wolkendecke unter ihnen Strahlen gleissender Blitze auf, begleited vom Knall ohrenbetaeubenden Donnerns. So wie die beiden nach unten rasen verlischt das grelle Licht und das Gedonner, als habe der bleigraue Filz der Wolken nur darauf gewartet, dass er sie verschlucken kann, um seine prallgefuellten Wasserbaeuche zu oeffnen. Es mag der Welt darunter das Fuerchten lehren, doch sie und Baba kriegen davon nichts mit; sie befinden sich ueber dem Gewitter, wo ihnen die Natur ein besonderes Schauspiel presentiert. Sie lachen vergnuegt und begeistert wetteifern sie miteinander, wer zuerst erraet, wo der naechste Blitz und Donnerknall stattfinden koennte. Manchmal gibt es sogar mehrere zur selben Zeit. Und ueber all dem scheint die Sonne! Der Wind hat sich zwar nicht gelegt, er blaest ungeniert, doch seine Laune ist mehr verspielter Uebermut. Er nimmt sich Baba’s Tuch, wirbelt es von ihren Schultern und traegt es mit sich fort, nur um es nach einigen Metern wieder fallen zu lassen. Femina huept auf, um es zurueck zu holen, doch als sie danach fassen will, blaest er es wieder ein Stueck weiter. Sie folgt erneut und wieder wirbelt er es fort. Er treibt sein Spiel mit ihr noch einige Male, bis sie schliesslich genug von seinem Treiben hat. ‚Okay‘, sagt sie, ‚dann eben nicht‘ und dreht ihm ihren Ruecken zu, um zu Baba zurueck zu kehren.

Doch nichts ist mehr vorhanden, von dem was war und von dem der Wind sie weggelockt hat. Sie steht stattdessen auf der ehemals hinteren Seite der Schachbuehne aus ihrem Warteraum. Dieser liegt allerdings im Dunklen und von der Buehne selber ist nicht viel uebrig. Es gibt keine intakten Waende mehr, auch keine Decke, oder Dach. Da sind nur mehr Ruinen, Dachbalken und ein paar Dachreste. Das Schachfeld ist indessen unversehrt, auch der kleine Tisch mit den zwei Stuehlen am vorderen Rand der Zuschauerseite und auf einem davon sitzt Dan. Er hat eine graue Robe an und eine Krone auf dem Kopf. Er sieht einsam und verloren aus, wie ein Herrscher ohne Land.

Ein Scharren und Graulen und Knurren kommt von den in Dunkelheit liegenden Raeumen hinter den zerstoerten Mauern. Femina kann nicht wirklich sehen, was sich dort verbirgt, denn nur das Schachfeld ist im Licht. Aber schon im naechsten Augenblick bricht die Hoelle los. Ein Pack wilder Hunde  macht sich an sie heran, in ihrem Ruecken und von den ruinoesen Seiten. Sie sieht rote Augen und viele weisse dolchartige Zaehne. Sie sind hungrig und gierig und streiten sich um den besten Platz zum Angriff auf ihre Beute. Der Leithund, gross wie ein Wolf und schwarz wie der Hoellenhund selber, legt sich lauernd vor ihr nieder. Er starrt sie an, laesst sie nicht aus den Augen und immer wieder zeigt er ihr knurrend sein messerscharfes Gebiss. Es draengt sie zur Flucht, doch gibt es weder einen Weg vorbei an den Hunden, noch kann sie sich von der Stelle ruehren. Sie hat Beine aus Blei und eine Eisenkette um den Nacken.  

Lautes Kreischen und Geschrei im nachtfinsteren Himmel ueber ihr deuten auf einen Kampf dort oben. Ein Koerper faellt mit krachendem Laut gegen einen der Balken und landet dann auf dem Boden, nicht weit weg von Dan. Der springt auf, eilt zum unglueckseligen Haufen gebrochener Knochen und blutender Wunden. Qualvolles Stoehnen ist zu hoeren. Der Arme, wer auch immer es sein mag, ist also nicht tot. Ein riesiger schwarzer Vogel mit weiten Schwingen und gluehenden Augen stuerzt sich im Flug auf Dan, wirft ihn zu Boden, hackt mit dem spitzen Schnabel auf ihn ein. Der Angriff ist jedoch so schnell vorbei, wie er began, denn das gefiederte Ungeheuer mit seinen scharfen Faengen greift sich den Verletzten und traegt ihn mit sich fort. Femina spuert seinen Fluegelschlag und kauert sich dicht an den Boden. Sie hoert in seinem Kreischen schrille Befehle fuer die Hunde und Worte, als spraeche er zu ihr: „Du gehoerst mir!“

Ein Hund scheint sich an sie herangeschlichen zu haben. Er stoesst mit seinen Tatzen in ihre Seite und zerrt an ihrem Leinenhemd, reisst es in Stuecke. Sie versucht sich zu wehren, aber alles was sie damit erreicht, ist, dass ihre Warteraumkugel aus ihrer Brusttasche, schwer wie sie ist, hartklirrend auf den Boden faellt und davonrollt, quer ueber das Schachfeld und ueber den Buehnenrand, in das in der Dunkelheit liegende Wartezimmer.  

„Femina! Femina!“ Sie hoert wiederholt ihren Namen gerufen, weiss aber nicht wer ruft, noch woher es kommt.

Man ruettelt sie, „Femina! Femina!“, und ruettelt sie wieder. Es sind nicht die Hunde, die sich ihrer bemaechtigen wollen, es ist Dan, der da ruft und sie aus ihrem Albtraum holt.

„Wach auf! Komm! Rasch! Wir haben keine Zeit zu verlieren!“ Sie faehrt hoch. „Schnell, schnell! Zieh dich an! Wir muessen sofort los! Keine Zeit, viel zu erklaeren! Wir muessen weg!“ 

Sie setzt sich auf, die Beine nach wie vor schwer, sie braucht etwas Zeit. Ger ist im anderen Zimmer und redet mit jemanden, dessen Stimme ihr unbekannt ist, waehrend Dan die letzten herumliegenden Sachen in ihre Tasche stopft und ihren Schlafsack haben will, um ihn sogleich  zusammenzurollen und sie zur Eile antreibt. Als sie endlich auf die Beine kommt und sich schnellstens anzieht, hoert sie auch Oliver’s Stimme, wenn auch nur undeutlich und irgendwie dumpf. 

Freilich, als sie ihn sieht, wundert es sie, dass er ueberhaupt was sagen kann. Er ist grausam zugerichtet, zerschunden und zerschlagen, eine Seite seines Gesichts derart geschwollen, dass man kaum sein Auge sieht, das andere ebenfalls nur halb offen, rot und blutunterlaufen unter dicken Lidern. Im Haar hat er Blut und Blutkrusten um Nase und Mund. Er sitzt schlaff auf seinem Stuhl, einen Arm hat er in der Schlinge. Blaue Flecken und rote Schwielen ueberall auf Brust und Gliedern. Welches Untier hat ihm das angetan und warum!

Ger sieht ihr Entsetzen. „Wilson,“ sagt er nur, wendet sich aber gleich wieder der praktischen Seite ihres Aufbruches zu. Ein Freund Oliver’s ist anwesend um zu helfen, denn auch wenn Oliver weiss, wie sie am besten von hier wegkommen, er ist kaum faehig, sich auf den Beinen zu halten. Zudem kommt er mit ihnen, was wohl nicht dem Zureden seines Bruders zu verdanken ist, sondern mehr seinem Wissen, wie Wilson mit ‚Verraetern‘ umgeht.  Femina fragt lieber nicht, wie oder was und ob diese uebereilte und ungeplante Flucht nicht zum Scheitern verurteilt ist. Sie will ohnehin nur weg und das so schnell wie moeglich. Und so kommt es, dass sie mit Hilfe eines, oder vielleicht sogar mehrerer ergebener Freunde Oliver‘s, die Burg der Desperados heimlich, aber ueberstuerzt, noch vor dem Morgengrauen verlassen, wobei die Falltuere im Quartier das „Sesam oeffne dich“ ist, von wo aus ihre Flucht beginnt.           

 

 

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