Liebe Ini!
Ich bin nicht sicher ob Dich meine Zeilen je erreichen werden. Wie dem auch sei, sie sind fuer Dich bestimmt. Du bist immer in meinen Gedanken, denn ich weiss, Du wanderst in Dunkelheit, zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Es tut nichts zur Sache, was Du denkst, was Du Dir wuenscht oder was Du tun sollst oder auch nicht, Du leidest und Du hast Dich in Deine Muschel zurueckgezogen, voll mit Einsamkeit, wo Dich niemand erreichen kann und wo auch niemand ist, der Dir zuhoeren koennte. Selbst Deine Stimme ist nur ein Fluestern, das nicht einmal Du wahrzunehmen vermagst.
Ich erinnere mich an Dich und Deine Schwester, Zwillinge bei Geburt, aber ach, so verschieden wie Tag und Nacht, Sonne und Mond, oder Lavaregen und Schneegestoeber. Sie war die Sonnenblume, Du die Lilie der Nacht.
Ich bedaure unendlich, die Gelegenheit versaeumt zu haben, Dich wissen zu lassen, dass Du im Gegensatz zu Deiner Schwester, die Koenigin im samtblauen Nachthimmel warst. Ich habe denselben Fehler gemacht, wie viele andere wahrscheinlich auch, naemlich, Dir zu versichern zu wollen, wie speziell Du seist, anstatt Dich einfach zu beschreiben, wie ich Dich sah; Dein Gesicht der sich stets veraendernde Silbermond, der nach Belieben Licht scheinen liess oder auch nicht; Deine Augenlider, wenn sie sich senkten, gleich Wolken, die Deine elfenbeinerne Wangen kuessten; und Dein Mund ein Zaubertor, hinter dem sich ein Lichtermeer verbarg, aus dem Du Mondlicht stroemen lassen konntest, wie einen wundersamen Wasserfall, der auf die Welt schimmernde Perlen regnete, sodass die Nacht ihre Dunkelheit verlor.
Ich erinnere mich, dass Du Dich stets im Schatten Deiner Schwester fuehltest, und obwohl jeder Deinen Zauber sehen konnte, niemand, einschliesslich mich, hat Dir deutlich gemacht, welcher Art dieser Zauber war. Das lag wohl daran, dass Tag und Nacht keinen Vergleich gestatten. Auch wenn sie beide wichtig sind und sie sich gegenseitig brauchen, es bleibt dem Einzelnen ueberlassen, ob er das eine oder andere mag. Waehrend der Tag Dinge wachsen laesst, die Nacht laesst alles ruhen, und waehrend der Tag fuer Arbeit sorgt, die Nacht sorgt fuer die Traeume. Wie koennte eines besser als das andere sein, wenn doch beide lebensnotwendig sind?
Du magst sagen, die Sonne sei so hell, so warm, bringt soviel Freude. Stimmt! Aber der Mond hat Zauber, ist sanft und bringt soviel romantische Gefuehle. Die Koenigin der Nacht ist grad so maechtig, wie die Koenigin des Tages. Allerdings glaube ich, dass mehr Poeten Luna‘s Schoenheit preisen, als sie das mit der Sonne tun. Und warum auch nicht? Hat sie doch einen Koerper der die Erde beleuchtet, wenn die Nacht faellt, traegt sie doch einen sternenbesetzten Umhang, der funkelt, als sei er mit Billionen von Diamanten bestickt, mit einer Schleppe aus Frieden und Ruhe fuer eine hektische Welt, und einem kuehlen Atem, der von der Hitze des Tages Erloesung bringt.
Waehrend ich hier sitze und schreibe, scheint ein voller Mond auf mich. Er leuchtet unwahrscheinlich stark. Milchig weiss und voll mit Licht, - man koennte meinen, er habe keinen Koerper. Er ist von einer weiten Korona umgeben und, hin und wieder, eilen einzelne Wolken an ihm vorbei, grad so, als vertreibe sie sein Schein. Ich aber bin von Luna‘s Strahlen gefangen. Ihr sanftes Licht liebkost mich, ihre magische Schoenheit verzaubert mich. Und ich denke an Dich.
Trotzdem nun Dein Licht unter den Schichten Deiner Schmerzen verborgen liegt und Du einen stacheligen Mantel traegst, um Dich zu schuetzen, Du bist, mehr denn je zuvor, verwundbar und verletzlich. Traurigerweise, egal wie sehr Dich andere lieben, ich fuerchte, Du hast Dich selber nie wirklich geliebt, aber das ist es, worauf’s ankommt, alles andere zaehlt nicht viel. Freilich, es hat nicht geholfen, dass der erste Mann Deines Lebens, Dich, sowie Deine Schwester, verlassen hat; nicht weil Du, ihr beide, es nicht wert ward zu bleiben, sondern, weil er nur sich selber schaetzte und fuer nichts und niemanden Sorge trug. Ungluecklicherweise war das Oel fuer Dein emotionales Feuer. Immer Dich selbst bezweifelnd, hat es Deine innersten Aengste bestaetigt, wenn auch nicht der Wahrheit entsprechend, fuer die Du sie aber gehalten hast.
Warum schreibe ich Dir? Vielleicht ist es der Vollmond, der mich an Dich erinnert. Und doch! Ich denke an Dich auch wenn der Mond nicht scheint, denn Du leidest und ich wuensche von ganzem Herzen, dass Du nicht zu leiden brauchtest.
Ich sende Dir meine Liebe, aber bitte, finde Deine Liebe auch in Dir selbst.
J.S. Deine Freundin, immer.