Die Lautsprecherstimme ertoent wieder, kalt und unmissverstaendlich. Sie laesst kein spekulieren zu, wie die Bande reagieren wuerde, sollte sie auf Widerstand stossen.
„Spart euch lange Reden! Ihr seid nicht auf der ueblichen Nordroute! Steigt ab! Stellt euch neben das Vorderrad eurer Maschinen! Falls ihr Waffen habt, haendigt sie aus! Und versucht keine faulen Tricks, ausser ihr wollt nicht weiterreisen!“
Sie steigen also ab und treten nach vor, um sich, wie geheissen, in Reih und Glied zu stellen. Der Desperado hinter der Schranke hebt seine behandschuhten Haende. Er richtet die Fingerspitzen gegen sie, die ploetzlich rot aufleuchten, als gaebe es darin Gluehbirnen, und schweift langsam und systematisch ueber ihre Koerper. Offensichtlich bedient er sich einer speziellen Kamera, oder Skanners. Wie dem auch sei, in Femina kriecht der Aerger hoch, ist es doch ein Eingriff in ihre Privatsphaere. Freilich! Das ist mehr eine Reflexaktion als Absicht, und natuerlich voellig sinnlos. Sie muss die Prozedur ueber sich ergehen lassen, so oder so, egal was sie davon haelt oder wie sie sich fuehlt.
So ruhig sie nach aussen hin auch scheinen mag, in ihrem Kopf jagt ein Gedanke den anderen. Sie fegen alle rosaroten Wolken aus ihrem Gemuet, nur um ihr wieder klar zu machen, dass es viel Schlimmeres gibt, als den Tod, und, - dass sie sich besser auf einen Horrortrip einrichtet, - falls man sie ueberhaupt weiterreisen laesst. Sie fragt sich auch, wie man die Messer im Gepaeck beurteilen wird. Zwar sind sie nur fuer’s Campieren und gut verstaut, aber es sind durchaus Waffen, wenn man so will. Es ist auch das erste Mal, dass sie sich die Frage stellt, ob ihre Begleiter bewaffnet sein koennten. Bisher hat sie das nie ins Auge gefasst, aber unter den juengsten, und erst recht jetzigen Umstaenden, - alles ist moeglich. Schliesslich haben die beiden mit Absicht diese, und nicht eine andere, Reiseroute gewaehlt. Sie wussten um die hiesigen Landessitten, zumindest teilweise, und um damit verbundene Gefahren und Probleme. Sich fuer den Notfall mit einer Waffe versehen zu wollen, waere naheliegend.
Die roten Fingerspitzen wenden sich endlich von ihnen ab, aber nur, um Motorraeder und Gepaeck ins Visier zu nehmen. Trotz ihrer Bedenken atmet sie auf. Sie ist erleichtert, dass ihre Gefaehrten waffenlos sind. In ihren Augen sind Waffentraeger naemlich keine ‚easy rider‘ und sie ist grundsaetzlich misstrauisch gegen alles, und jeden, das Waffen braucht. Dass sich jemand freiwillig bewaffnen wuerde, ist ihr fremd, wenn nicht gar raetselhaft, ist es doch grad so, als wuerde man Treibstoff trinken wollen, anstatt Wasser. Allerdings! Wie man an den Messern in ihrem Gepaeck sieht, Waffen und Werkzeuge sind ein und dasselbe, bloss die Absicht dahinter, naemlich wie man sie verwendet, ist wie Tag und Nacht. Wie die Desperados darueber denken, oder darauf reagieren, wird man ja sehen, wenn sie auf die Messer stossen.
„Ihr habt Messer im Gepaeck!“ kommt es auch schon durch den Lautsprecher. Wie sie es befuerchtet hat, sehen die Desperados Waffen, die man verbergen wollte. Es ist nur Ger’s geschickter Redekunst zu verdanken, dass man ihnen nicht gleich die Motorraeder konfisziert und sie davonjagt, oder gar eine Kugel verpasst, wie sie drohen. Immer wieder weist er darauf hin, dass sie nur seines Bruder’s wegen in diese Gegend gekommen waren, dass sie die Messer zum Campieren brauchten, und dass sie nichts verbergen wollten, dass sie bloss nicht daran dachten.......etc, etc.
„Also beweise, dass alles so ist, wie du sagst!“ kommt es schliesslich barsch zurueck. „Zeigt uns eure Papiere und was immer, aber ruehrt euch ja nicht von der Stelle! Was im Gepaeck ist, bleibt im Gepaeck!“
Dan und Ger fassen gleichzeitig in ihre inneren Jackentaschen, waehrend Femina noch mehr erstarrt, als sie es ohnehin schon war. Sie hat keine Papiere! Sie kam doch voellig unvorbereitet auf diesen Trip. Sie wendet ihren Kopf zu Dan, verdreht verneinend ihre Augen.
Ger hat neben seinen Papieren auch noch Fotos dabei, von ihm, zusammen mit seinem Bruder, Er nimmt ebenso Dan’s Ausweis und ueberreicht dann alles dem Handlanger, ohne Femina einen Blick zu zuwerfen. ‚Er hat wohl meine verneinende Geste gesehen,‘ faehrt es ihr durch den Kopf. Femina ist davon ueberzeugt, dass ihre Identifikationslosigkeit noch mehr Probleme schaffen wird, aber sie wartet ab, geduldig wie das Lamm, das man zum Schlaechter fuehrt. Sie ist sich nun auch wieder voellig sicher, dass sie sich nach wie vor in diesem Haus befindet, aus dem sie bis jetzt keinen Weg finden konnte, denn, Papiere, Gesetze, autoritaere Bedingungen, und alles was dazugehoert, das hat man ihr nur in diesem Haus aufgezwungen, nur da scheint man ohne diesem Kram nicht auskommen zu koennen.
Der Desperado faehrt mit dem rechten Handruecken ueber Papiere und Fotos. Er gibt sie aber nicht zurueck. Schweigend warten sie. Femina wuenschte, die Sonne haette Zeiger, anstelle der unbarmherzig heissen Strahlen, die auf sie niederbrennen und die, anstatt der Zeit ein Mass zu geben, das Warten zur Ewigkeit machen. Sie glaubt, sie ist die Ursache dieser Warterei. Allerdings hat sie schon laengst Fragen erwartet. Sie wundert sich erst recht, als endlich die Stimme wieder ertoent, und dass man weder ihr, noch ueberhaupt, eine Frage stellt.
„Okay! Ihr koennt passieren,“ hoert sie die Stimme sagen, die zwar noch immer scharf, aber nicht mehr bedrohlich ist. „Folgt der Strasse! Wir senden euch eine Eskorte entgegen. Aber seid gewarnt, keine faulen Tricks. Ihr wuerdet uns nie und nimmer entkommen!“
Ihre Freunde kriegen auch die Papiere zurueck und der Vormann schliesst sich wieder seiner Truppe an. Waehrend sie auf die Motorraeder steigen, hoeren sie das Anlaufen der anderen Motoren. Wie auf Kommando wenden sich die Desperados, einer nach dem anderen, der offenen Strasse zu und immer schneller werdend, rollen sie weg von der Blockade. Die Garde in ihrem Ruecken entfernt sich ebenfalls, wenn auch nicht gerade gleichzeitig, sondern eben so, wie man sich das von einem gut organisierten Truppenabzug erwarten wuerde. In einiger Distanz und unter entsprechendem Getoese entzuenden sich die Raketen. Femina und ihre Freunde verfolgen, wie die Truppe hochsteigt, und rasant an Hoehe gewinnt. Schliesslich werden sie wieder nur Punkte, die dann voellig entschwinden, waehrend der Donnerlaerm noch lange hinter ihnen ueber den Himmel rollt.
„Mein Bruder ist also hier,“ sagt Ger erleichtert, als sie sich endlich vom Himmel abwenden. Er setzt seinen Helm auf. Dan nickt nur und tut desgleichen.
Femina zoegert. Sie hat viel zu viele Fragen fuer die beiden. Sie weiss nicht einmal, womit sie beginnen soll. Ihr Kopf ist das reinste Bienenhaus, voll mit emsigen Bienen, die jedoch statt Honig, Gedanken produzieren. Wozu die Eile? Der Schranken ist noch immer zu und wer weiss schon, wann die besagte Eskorte auftauchen wird. Dan ist allerdings anderer Meinung. Und er hat recht, denn ploetzlich hoert man das Geraeusch einer Maschine. Die grossen Steinbloecke beginnen um ihre Achse zu rotieren, waehrend sich gleichzeitig der Baumstamm mit seinem Metallgatter, wie ein Tor oeffnet. Schnellstens starten sie ihre Motoren und rollen ueber die Querrille, die der geschlossenen Barrikade als Halterung dient. Sie mag aber auch ein Monitor fuer die passierenden Fahrzeuge sein. Sie hoeren naemlich ein Klicken, waehrend sie ueber sie drueberfahren; und die Blockade schliesst sich hinter ihnen, sobald sie den Oeffnungsradius ueberschreiten.
Femina kann nur staunen. Diese Desperados besitzen nicht nur die Technologie, sie sind auch intelligent, etwas, das sie sich von Strassenraeubern und Banditen im allgemeinen nicht erwartet. Hier hat sie es also mit Kriminellen besonderer Art zu tun. Faszinierend! Es ist hoechste Zeit, dass sie ihre bisherige und, zugegeben einseitige, Meinung von Intelligenz, einer Revision unterzieht. Bis jetzt hat sie Intelligenz immer nur als etwas Positives betrachtet. Jetzt muss sie sie im negativen Spektrum zur Kenntnis nehmen. Ihre Emotionen moegen revoltieren, soviel sie wollen, ihr Verstand und ihre Gefuehle moegen sich raufen, soviel sie wollen, diese Art Gesellschaft oder Gemeinschaft, Bande oder Syndikat, was auch immer, sind eine Gattung Mensch, die der negativen Weltordnung angehoert, dort entsprungen, dort zu Hause, und mit seiner eigenen, dementsprechenden Evolution. Sofern sie sich erinnern kann, war sie nie in diese ‚andere‘ Welt geraten, hatte es hoechsten mit deren Auswirkungen zu tun. Jetzt steht sie allerdings an deren Eingangstuer. Trotz der Hitze kriegt sie ploetzlich eine Gaensehaut, denn ihr inneres Auge laesst ihr ein Bild zukommen, das wesentlich grausamer ist, als ihre eigene Phantasie es sich je ausmalen koennte. Es ist der Blick in eine Hoelle, fuer die man nicht tot zu sein braucht. Diese Hoelle gehoert naemlich zum Leben, grad so gut, wie das Amen zum Gebet.
Sie ist also in ein Abenteuer geraten, das sie nicht freiwillig waehlen wuerde. Und doch! Treibholz hat kein Ziel! Es laesst sich treiben! Worin auch immer es sich verfangen mag, ist bedeutungslos! Die Reise allein ist Sinn und Zweck! Waehrend sie im Warterraum sass und haderte, hat sich ein wichtiges Stueck ihres abhanden gekommenen Gedaechtnisses zurueck in ihr Bewusstsein bringen koennen. Gut und Boese haben dabei ihren moralischen Stellenwert verloren. Gerechterweise! Denn positive und negative Dimensionen sind ein Groessenmass, kein Urteil moralischen Wertes. Moral ist schliesslich nur eine Uniform, die einem von der Gesellschaft, in der man lebt, aufgezwungen wird, ob man sich darin wohl fuehlt oder auch nicht. Sie hat sich noch in keiner Uniform wohlgefuehlt, und endlich den Grund dafuer zu verstehen, war eine Erloesung. Tatsaechlich! Moral ist nicht wesentlich. Sie ist nur ein Begriff, abstrakt und relativ, eine Massnahme, dessen sich die Intelligenz bedient, zweckdienlich fuer eine Gesellschaft, oder zerstoererisch, das haengt von den Machthabenden und deren Ideologien ab. Interessanterweise, Zivilisation geht mit Bekleidung Hand in Hand, grad so, als muesste sich der Mensch seiner Nacktheit schaemen. Kleidung ist aber im urspruenglichen Sinn nur eine Schutzmassnahme und nicht, wie manche Gemeinschaften es handhaben, eine moralische Notwendigkeit. Tatsaechlich, je mehr man sich aus moralischen Gruenden bedecken muss, desto mehr hat man zu verbergen. Bekleidung macht den Menschen noch lange nicht moralischer, es macht ihn bloss pruede. Der naechste Schritt zur Uniform ist allerdings nur all zu logisch. Intelligenzia schafft sich damit ihr eigenes Koenigtum, oder aber ihre eigene Hoelle.
Femina war nie beeindruckt von Sitten und Gebraeuchen, egal welcher Art Kultur sie auch zugehoeren. Sie sieht nur den Menschen, nackt, so wie er eben ist, nicht so, wie er vorgibt, zu sein. Trotzdem, erst im Warteraum hat sie jenes Stueck ihres Bewusstseins wiedergefunden, das sie als „easy rider“ deklariert, und damit ist es egal, in welches Abenteuer sie geraet. Jedes Erlebnis ist eine Bereicherung, wie auch immer es sich gestaltet. Moral ist nicht ihr Anliegen, Integritaet allerdings ist, denn die ist ihre Haut, und die kann man im Gegensatz zu einem Kleidungsstueck, nicht so leicht wechseln oder ablegen.
Sie folgen der Strasse in Erwartung jener Eskorte, doch waehrend die Berge naeher kommen und Wald sie zu begleiten beginnt, von den angekuendigten Lotsen ist nach wie vor keine Spur. Die Sonne, nun tief am Himmel, wirft lange Schatten ueber ihren Weg, abwechselnd mit Streifen goldenen Lichtes. Schliesslich wird der Wald so dicht, dass sich dafuer weder Fenster noch Spalten finden. Die Strasse verengt sich, beginnt anzusteigen. Schmale Bruecken spannen sich ueber Tuempel und plaetschernde Gewaesser, waehrend sich mit allerlei Pflanzen verwachsene Felsnasen immer wieder vorbuchten, sodass sich der Anstieg in Kurven um sie herumwinden muss. Die Luft wird feuchter und kuehler je mehr sie an Hoehe gewinnen. Femina kann an manchen Stellen die Ebene erspaehen, durch die sie gereist sind. Sie ist im letzten Licht der untergehenden Sonne mit einem rotgoldenen Schimmer ueberzogen, der aber in der Daemmerung schnell verlischt. Stattdessen funkeln Lichter, verstreut und immer nur in kleinen Haeufchen, aber wesentlich zahlreicher, als ihre einsame Reise es haette vermuten lassen. ‚Ach was‘, sagt sie sich. ‚Immer nur Fragen! Nie genug Antworten! Wie kommt es, dass man sie passieren liess, ohne Papiere?‘ Auch so eine Frage, fuer die sie gern eine Antwort haette.
Sie erreichen ein kleines Plateau und da finden sie nun die Eskorte, die offensichtlich auf sie gewartet hat. Es sind ihrer vier, auf zwei Motorraedern. Alle tragen Jeans, hohe Stiefeln und Lederjacken, jedoch nur die zwei auf dem Ruecksitz sind behelmt, die anderen zwei haben den ihren vorne auf dem Tank. Sobald sie die Ankoemmlinge sehen, springen die Behelmten von ihren Saetteln und winken sie heran. Man heisst Femina, abzusteigen und auf einem ihrer Motorraeder Platz zu nehmen, waehrend sie Dan und Ger auf den Ruecksitz ordnen und sie selber die Lenkung uebernehmen. Femina bemerkt, dass ihr Lenker einen Revolver in der Hand hat, was aber durch den Helm vor ihm nicht gleich ersichtlich war. Der zweite Unbehelmte geht indessen von einer Maschine zur anderen. Er traegt ein paar grobe Stofflappen, die sich als Kopfsaecke herausstellen, und die er Dan, Ger und schliesslich ihr ueber ihre behelmten Koepfe stuelpt. Zwar ist es ohnehin bereits recht dunkel geworden, aber nun sieht Femina rein garnichts mehr. Sie spuert ihren Lenker hantieren, wahrscheinlich setzt er sich seinen Helm auf, dann hoert sie zwei Schuesse, das Starten der Maschinen und schliesslich beginnt die Fahrt, mit ihrem Motorrad in Fuehrung, denn sie hoert die anderen hinter sich.
Es geht nach wie vor bergauf. Die Strasse ist so kurvig, dass ihr nichts anderes uebrig bleibt, als die Mitte ihres Lenkers zu umfassen, um nicht von der Maschine zu fallen, zumal ihr Lenker auch noch Geschwindigkeit liebt. Das ist aber nicht das Schlimmste. Viel schlimmer ist, dass es ihr zunehmend uebel wird. Und die Fahrt scheint kein Ende nehmen zu wollen. Wenn es so weitergeht wird sie sich uebergeben muessen. Das will sie aber auf keinen Fall. Nur keine Schwaeche aufkommen lassen! Nur nicht klein werden! Nur nicht hilfsbeduerftig, nur ja kein Opfer sein! Immer wieder sagt sie sich das wie ein Mantra, in der Hoffnung, dass ihr Koerper darauf hoert. Sie kaempft leider einen aussichtslosen Kampf. Hilfe kommt jedoch gerade noch rechtzeitig, indem das Kurvenreiten aufhoert und sie nun, zumindest mehr oder weniger gerade dahinfahren. Freilich, es ist eine kurzlebige Erleichterung. Die Kurven beginnen wieder, und diesmal geht’s bergab. Wenn sie nicht baldigst Halt machen...... Sie beschliesst, sobald es unumgaenglich wird, selbst waehrend der Fahrt, ihren Helm samt Sack abzunehmen, so dass sie sich wenigsten frei erbrechen kann. Sie wird sich nicht selber bespeien, zum Teufel auch! Wenn ihr Koerper sie schon in Stich laesst, dann kann man eben nichts machen. Sie erlaubt ihrem unschuldigen Magen das Kotzen, schliesslich ist die ganze Situation zum Kotzen, aber sie wird nicht klein beigeben, so oder so. Wenn sie sich schon uebergeben muss, dann mag zumindest einer ihrer ‚Henker‘, vielleicht, oder hoffentlich, eine kleine Kostprobe als Dank erhalten.
Eigenartigerweise scheint der Magen damit einverstanden zu sein, denn auch wenn ihr nach wie vor uebel ist, der Brechreiz laesst nach und als ob Fortuna ihr behilflich sein wollte, die Fahrt verlangsamt sich, und nach einem kurzen Stueck geraden Weges, bleiben sie schliesslich stehen. Sie hoert Geraeusche wie das Oeffnen eines grossen Tores. Langsam rollen sie ein Stueck weiter, bleiben wieder stehen. Diesmal endgueltig. Jemand klopft ihr auf die Schulter und heisst sie, abzusteigen. Sie hoert noch andere Stimmen um sich. Endlich nimmt man ihr auch den Sack vom Kopf und sie kann sich des Helms entledigen. Froh, festen Boden unter ihren Fuessen zu spueren, die Uebelkeit weicht deshalb noch lange nicht. Alles dreht sich um sie und sie muss sich am Motorrad festhalten. Dan kommt an ihre Seite und fragt sie, ob sie okay ist. Bloede Frage! Natuerlich ist sie nicht okay, aber sie nickt, denn leben tut sie ja noch. Er ruft etwas, zu wem auch immer. Ger taucht auch sogleich mit einem Stuhl auf, auf den man sie, trotz ihres Straeubens setzt. Um sie gibts Gelaechter, ein Hin und Her, und Motorengeraeusche, und allerlei Geschaeftigkeit. Vielleicht lacht man ueber sie. Sei’s drum! Sie muss erst ihren Schwindel loswerden, bevor sie sich ueberhaupt ihrer Umgebung widmen kann. Sie setzt sich gerade, heftet ihren Blick auf den Boden vor ihr und konzentriert sich auf ihren Atem. Rein, raus und Stille, und rein, raus und Stille. Es dauert nicht lange bis sie soweit Kontrolle hat, dass sie sich umschauen kann.
Sie befinden sich in einer hoehlenartigen Halle oder Bunkeranlage, gross und weitlaeufig. Auch wenn Femina nur einen Teil von dem sieht, was tatsaechlich vorhanden ist, sie ist beeindruckt. Der Boden ist betoniert, doch Waende und Plafonds der unterschiedlich hohen Gewoelbe sind, soweit sie es von hier sieht, Fels und Felsgestein und nur teilweise gemauert, mit Betonsaeulen und Holzstuetzen dazwischen, zur Absicherung. Da, wo sie sitzt, scheinen die Motorraeder abgestellt zu werden. Alles schwere Maschinen, in Reihen entlang der Seite und vor ihr. Wieviele, kann sie garnicht sagen, viele jedenfalls. Nicht weit von ihr, zur anderen Seite, fuehrt eine solide Holztreppe nach oben. Dahinter gibt es eine andere Garage, in der sich alle Arten von Autos befinden, eindeutig schnelle, wenn nicht gar Rennautos, und Gelaendewaegen, gross und klein. Es scheint auch Werkstaetten zu geben. An einem Teil unter der Treppe und weiter nach hinten verlaufend gibt es kleinere Raeume, die allgemeinen Nutzen haben duerften und wo die Maenner ihre Ausruestung haben. Das nimmt sie zumindest an, denn sie sieht sie in Montur reingehen und ohne rauskommen. Allerdings! Nichts deutet darauf hin, wo jene spezielle Ausruestung zu finden waere, die Femina ganz besonders interessiert.
Dan und Ger gesellen sich zu ihr, nachdem sie sich vergewissert haben, wo sie ihre Motorraeder finden koennen. Femina’s Lenker ist mit dem seinen ebenfalls weggerollt. Sie sind seitdem allein, aber man hat sie aufgefordert, bis auf weiteres, zu warten. Warum hat niemand erklaert. Interessanterweise hat sich das Verhalten der Bandenmitglieder ihnen gegenueber gebessert. Keiner fummelt mehr mit Waffen vor ihnen herum. Man hat Dan und Ger sogar ein Bier in die Hand gedrueckt. Femina entgeht allerdings nicht, dass man sie beobachtet. Sie sieht Monitoren und Kameras ueberall, die offensichtlich alles, nicht nur sie drei, bewachen. Sie bemerkt auch, dass man sich fuer sie interessiert, viel mehr jedenfalls, als ihr lieb ist. Immer wieder kommen einzelne Typen in ihre Naehe, wenn auch unter der lahmen Vorgabe, etwas anderes inspizieren zu wollen, oder Dinge von oder zu ihren Maschinen bringen zu muessen. Leider findet sie nichts Schmeichelhaftes in den Blicken und sie ist froh, dass sie noch immer in voller Reisemontur steckt, und dass sie wahrscheinlich eher mitgenommen, als attraktiv, aussieht.
Die Tuer am oberen Ende der Treppe oeffnet sich kurz. Ein junger Mann eilt die Stufen runter und geradewegs auf sie zu. Ger’s Gesicht leuchtet auf und im naechsten Augenblick liegen sich die beiden in den Armen. „Ah, so gut dich zu sehen.“ „ So froh, dich endlich wieder zu treffen.“
Waehrend all dem heftigen Schulterklopfen und freudigen Worten des Wiedersehens kann Femina Ger’s Bruder eingehend betrachten. ‚Was fuer ein schoener junger Mann,‘ faehrt es ihr durch den Kopf. ‚Ein Adonis, im wahrsten Sinne des Wortes. Wie kommt es, dass dieser blonde Engel sich mit Raubrittern eingelassen hat?‘ Er ist gross und schlank mit Muskeln an all den richtigen Stellen, ohne ein ‚Muskelpaket‘ zu sein. Jeans und T-shirt, beide ausgewaschen und einfach, scheinen seinen Koerper mehr zu schmeicheln, als ihn nur zu bekleiden, und bringen seine sanft getoente Haut erst recht zur Geltung. Ein Schopf dichten Haares, bis knapp in den Nacken, glaenzend wie ein reifes Aehrenfeld im Sommerwind, und ein Gesicht, feingeschnitten, mit blauen Augen so gross, als seien sie das Meer selber, in das man hineinfallen moechte, ohne Bedenken, dass man darin ertrinken koennte. Er hat Charisma, ist so voll damit, dass es aus seinen Poren dringt wie das schimmernde Licht eines vollen Mondes. Femina ist hingerissen und gleichzeitig, zu ihrem Erstaunen, unberuehrt. Das allerdings weckt ihre Neugierde noch mehr und, wie immer, entstehen noch mehr Fragen. Wie sehr sehnt sie sich zurueck zu jenen Tagen ihrer Reise, durch oedes Land und Menschenleere, wo Stille ihre Geistesnahrung war!
„Das sind meine Freunde Dan und Femina,“ hoert sie Ger’s Stimme. „Oliver“, sagt Adonis und schuettelt Dan’s Hand, nicht aber ihre, sondern laechelt sie nur an.
„Freut mich,“ faehrt er fort. „Die Freunde meines Bruders sind meine Freunde. Kommt, gehen wir nach oben! Ich will euch Wilson vorstellen. Aber zuerst bringt eure Sachen in mein Quartier. Das koennt ihr haben, solange ihr hier seid.“ Seine Stimme klingt angehnehm. Und doch! Femina findet auch da nur wenig Waerme.
Waehrend sie ihre praktischen Anliegen organisieren, wie oder was sie mit ins Quartier nehmen wollen oder sollen, sind es vorwiegend Ger und sein Bruder, die miteinander reden. Femina und Dan sortieren ihre Sachen schweigend aus. Es ist ohnehin nicht viel, das sie fuer sich brauchen. Sie haengt ihren eigenen Gedanken nach und versucht ihre Gefuehle zu entwirren. Die hadern mit all den Eindruecken und erst recht mit ihrem Verstand. So scheint es jedenfalls, denn nichts passt zusammen und ihr Gedaechtnis enthaelt keine Daten, die ihr behilflich sein koennten, weder als Hinweis oder Referenz. ,Natuerlich nicht!‘ meldet sich ihr Verstand. ‚Es sind doch funkelnagelneue Erlebnisse, mit denen du zu tun hast. Und wozu ueberhaupt etwas Altes als Vergleich heranziehen zu wollen!? Warum Vorurteilen oder Aengsten Einfluss geben? Weil sie zu einem besseren Urteil, zu besseren Entscheidungen fuehren, das Leben leichter oder gar sicherer machen? Unsinn! Hoer endlich auf, immer alles unter Kontrolle haben zu wollen!‘
Sie haelt inne. Stimmt! Nichts ist sicher. Das Leben selber ist unbestaendig und unberechenbar. Kontrolle haben wollen, ist der klaegliche Versuch, Angst eliminieren zu wollen. Aber grad so gut koennte sie einem Phantom nachjagen. Es gibt sie nicht, die absolute Kontrolle, sie ist nur Illusion. Auch wenn man Aengsten Herr werden kann, Angst ist elementar, man kann sie nicht ausrotten.
Jemand klopft ihr auf die Schulter. Mit Adonis in Fuehrung steigen sie die Treppen hoch. Er presst seine Finger an einen Bildschirm neben der soliden Tuer. Es bringt sie ins Kellergeschoss, in dem sich, erklaert er durchaus mit Stolz, Vorratskammern, technische Einrichtungs- und Versorgungsanlagen befinden, ebenso Uebungsraeume fuer Kampf- und Koerpertraining. Freilich sehen sie diese Raeume nicht, sondern nur ein paar Gaenge, die vom Stiegenhaus abzweigen. Der Boden ist fein saeuberlich betoniert, die Waende gemauert. Licht stroemt aus Neonroehren, die wie ein Band an der Decke entlang laufen und alle Ecken und Nischen ausleuchten. Da sind ebenso Lueftungsschaechte, Leitungsrohre und Leitungen, und natuerlich Kameras. Schade, dass Oliver ihnen keine Tour gibt. Sie hat zwar nur einen kleinen Einblick, aber laut seiner Information, handelt es sich hier um eine recht ausgedehnte Anlage, gut geplant und bestens organisiert. Zudem duerfte nur Eingeweihten bekannt sein, was sich hier unter der Erde befindet. Sie wundert sich allerdings ueber Oliver, der sie so ohne Bedenken informiert, denn Femina nimmt an, dass dieser ‚Keller‘ noch einem anderen Zweck dient, naemlich als Schutz,- und vielleicht sogar, Verteidigungsanlage. Es ist eine ausgezeichnete Raubritterburg.
Nochmals geht es Treppen hoch, mit einer kleinen Landung am Ende und einer anderen Tuer, ohne Klinke oder Tuerknopf. Dafuer gibt es einen rot leuchtenden Tuerbuzzer, den Adonis drueckt. Und natuerlich halten Kameras Wache.
Sie gelangen in eine Art Foyer, mit Mauern aus Stein und einigen Tueren. „Mein Quartier ist zur Linken,“ sagt er. „Wir sind zwar im Haupthaus, aber dieser Teil liegt an einem Ende, abseits von den Kommunalraeumen in der Mitte. Die Zimmer hier sind vorwiegend fuer Wilson’s Garde und eventuellen Besuchern reserviert. Am anderen Ende auf der anderen Seite sind unsere Bueros und das innere Sanctum unserer Organisation, zu dem natuerlich nur bestimmte Genossen Zutritt haben. Der Gang hier ist die Verbindung zum allgemeinen Haus.“ Er deutet nach rechts.
In der Halle gibt es keine Moebel, nur eine Ansammlung leerer Kisten, wo man sich zur Not, oder Geselligkeit, niederlassen kann, wie leere Bierflaschen bezeugen. Kalter Rauch und Beergeruch haengt in der Luft. Es erinnert Femina an die Bierkeller, die sie manchmal in ihrer Studentenzeit frequentiert hat, wo man von hitzigen Reden und Diskussionen unter lauter Musik heiser geworden, mehr trank, als man vertrug. Freilich, die Halle hier ist mehr der Morgen danach, wo abgestandene Luft und Katzenjammer, die einzigen Erinnerungen sind.
Oliver’s Quartier ist ziemlich primitiv; zwei kleine, ineinander gehende Raeume, ohne Tueren, und ein Badezimmer, mit Dusche und Toilette. Wenigstens gibt es dort eine Tuer. Matratzen dienen als Sitz- und Schlafgelegenheit, und es gibt einen Tisch mit Sessel und Hocker. Als Luxus hat er sogar zwei Kaesten, in einem sind Decken, im anderen ein paar seiner persoenlichen Sachen, und in einer Ecke steht ein alter Kuehlschrank. Daneben auf Wandregalen finden sich einsam und truebe, einige Glaeser. Auch hier dienen leere Kisten als Seitentische und Sitzgelegenheit. Trotz der armseligen Behausung, die wenig Gemuetlichkeit vermittelt, alles ist sauber. ‚Zumindest haben wir einen privaten Bereich‘, faehrt es ihr durch den Kopf, was, so spekuliert sie, unter den Desparados nicht gerade ueblich sein duerfte.
Femina fragt, ob es ein Problem waere, wenn sie sich schnell duschen wuerde, bevor sie die anderen treffen. „Kein Problem“, sagt Oliver und holt drei Beerflaschen aus dem Kuehlschrank, um sich mit Dan und Ger niederzulassen, zur Feier des Tage, und wie es sich zum Ritual eines geselligen Wiedersehens gehoert, waehrend sie sich ihrem eigenen, wenn auch eher kurz gehaltenen Ritual der Reinigung widmet.
Frisch aus der Dusche, sucht sie nach ein paar Kleidungsstuecken. Die Maenner reden ungestoert weiter. Ohne Absicht, lauschen zu wollen, nimmt sie ploetzlich wahr, dass sie der Gegenstand ihrer Unterhaltung ist. Offensichtlich hat niemand gehoert, dass sie bereits im Nebenzimmer beim Ankleiden war.
„Traegt sie ein Halsband? Ich hab keines gesehen,“ fragt Oliver.
„Nein,“ sagt Ger. „Sie ist ein Findling. Wir haben sie unterwegs aufgelesen. Sie hat keine Ahnung von unseren Gebraeuchen. Schon garnicht, was die lokalen Sitten hier beftrifft, die obendrein noch viel drastischer sind, als im Sueden, wo wir sie gefunden haben.“
„Hast du versucht ihr ein Halsband anzulegen?“ fragt Adonis wieder
Er hat offensichtlich die Frage an Dan gerichtet, denn der antwort: „Nein, natuerlich nicht. Sie ist keine Einheimische. Abgesehen davon, habe ich nicht die Absicht, sie an die Leine zu legen. Kann mir ausserdem nicht vorstellen, dass sie zustimmen wuerde. Und zwingen will ich sie schon garnicht. Sie kommt aus anderen Landen und ist viel zu naiv. Ich glaube, sie weiss nicht einmal, warum man keine Papiere von ihr erwartet hat.“
„Ja,“ bestaetigt Ger. „Du hast recht. Ich habe mich gewundert, warum sie mich so perplexed angeschaut hat, als ich unsere aushaendigte.“
„Es waere allerdings besser, sie haette eines,“ hoert sie Ger’s Bruder sagen. „Sie ist ein viel zu exotisches Wesen. Das macht sie begehrenswert. Ohne Halsband, auch wenn man weiss, dass sie zu einem von Euch gehoert, koennte sie schliesslich noch jeder beanspruchen und in Besitz nehmen. Waere nicht das erste Mal, dass sich Maenner um eine Frau streiten. Nicht, dass es dazu kommen muss. Ich bin in gewisser Weise eure Versicherung, denn Wilson ist der Boss und ich bin sein Gefaehrte. Aber moeglich ist alles! Ich kann euch keine Garantien geben. Und das gilt auch fuer euch beide. Seid also vorsichtig! Und behaelt sie im Auge! Lasst sie ja nie allein!“
Femina oeffnet und schliesst die Badezimmertuer laut und nachgiebig. Sie hat genug gehoert. Nicht gerade, was sie hoeren wollte, aber sie ist froh, denn es beantwortet einige ihrer Fragen. Naiv? Allerdings, das ist sie! Und so soll’s auch bleiben! Sie spielt lieber die Ignorante, als sich auf Diskussionen oder gar Streitigkeiten einzulassen. Halsband? An die Leine legen? Ph! Nie und nimmer! Ph! Sie schuettelt sich. Ihre Gefuehle fuer Dan sind ploetzlich wie weggeblasen. Sie und er, das war einmal.
Leider kann sie ihre Enttaeuschung nicht verleugnen, denn wiederum stellt sich heraus, wie wenig ihre Welt, mit der anderer, zu tun hat. Schein und Wirklichkeit stehen zwar im Zusammenhang, doch das ist der Boden, auf dem die Illusionen gedeihen. Es hat wenig mit der Wahrheit zu tun. Und damit sind Erkenntnis und Enttaeuschung wie der unbeliebte Verwandte, den man in Kauf nehmen muss, weil er eben zur Familie gehoert, auch wenn man ihn am liebsten vermeiden moechte.
Um ganz sicher zu gehen, dass man ihre Anwesenheit wahrgenommen hat, verkuendet sie mit lauter Stimme: „Bin gleich soweit!“
„Schon gut,“ ruft Dan zurueck. „Es besteht keine Eile.“
Befriedigt setzt sie sich auf eine der Kisten und wartet einige Minuten, bevor sie sich schliesslich zu ihnen gesellt. Sie fuehlt sich wohl, gesaeubert, von innen und aussen. Sie ist bereit fuer den naechsten Schritt, auch wenn es tiefer in die Raeuberhoehle fuehrt.
Spannung pur,Abenteuer und der reinste Nervenkitzel!
Bin jedesmal dank deiner großartigen Erzählkunst, so gefangen und erlebe in meiner Phantasie alles mit. Bin aber gleichzeiteig sehr froh, glücklich und extrem erleichtert, dass ich mich daheim wiederfinde!!!!
So viel Aufregung ist wunderbar zu lesen, aber für mich im wirklichen Leben, NEIN, DANKE!
Freu mich jetzt schon auf die Fortsetzung!